Neue typografische Töne bei Bild
Links die typografischen Todsünden der alten Bild: ➊ Zusammengequetschte Schrift, ➋ Meldungstext unterstrichen, ➌ Schlagzeile unterstrichen, �? Schrägsatz und ➎ kaputte Zeichen (hier €); rechts Neuerungen der Montagsausgabe: ➊ neue Headline-Schriften Escrow Compressed Black und Escrow Condensed Black (unten), ➋ einheitlicher Schlagzeilensatz über alle 4 Zeilen und 3 Versalzeilen aus Neuzeit Grotesk
Seit gestern zeigt sich die Bild-Zeitung in neuem typografischen Gewand. Dominierende Headline-Schrift ist jetzt Escrow, 2002 entworfen von Cyrus Highsmith für das Wall Street Journal. Der Vorzug dieser modernen Interpretation einer klassizistischen Antiqua: Sie liegt in den schmalen Schnitten Condensed und Compressed vor, ein unschätzbarer Vorteil für den Boulevard-Schriftsatz, wo es immer zu viel Text für zu wenig Platz gibt. Zwei weitere neue Headline-Schriften sind Interstate und Neuzeit Grotesk.
Das neu gestaltete tägliche Fernsehprogramm beweist (Schrift: Interstate-Familie), was gute Typografie in puncto Gliederung, Übersicht und Lesbarkeit leisten kann. Die horizontale Struktur basiert alleine auf Schriftgrößen, Strichstärken, Textfarben, Umbrüche und einen leichten Fond im Hauptprogramm. Die früher benötigten waagrechten Striche sind komplett entfallen. Auch die Show-View-Codezahlen wurden entsorgt, was ebenfalls der Lesbarkeit dient und mehr Platz für Text schafft. Das TV-Programm der BILD ist in dieser Form sicherlich eines der übersichtlichsten in einer deutschen Tageszeitung.
Nicht alle Veränderungen sind Verbesserungen. Der Nachrichtenblock auf Seite 1 wurde unruhiger. Die Antiqua-Headlines brauchen viel Raum und sind trotzdem nicht besser lesbar als die zuletzt verwendete, schmallaufende fette Grotesk. Die weiße Egyptienne (»Nachrichten«) im roten Balken hat zwar viel Charakter, besser lesbar ist sie nicht … Stammleser werden sich aber schnell an sie gewöhnen.
Was steckt hinter diesen typografischen Veränderungen? Ich habe versucht, es in einem BILDblog-Gastbeitrag zu entschlüsseln.
23 Kommentare
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DanU
Trotzdem ist das Blatt noch weit von „wahr, schön und wertvoll“ (inhaltlich wie gestalterisch) entfernt. nice try anyhow…
robertmichael
was war denn an dem eurozeichen kaputt? ich sehe keinen unetrschied zur vorherigen ausgabe.
irgendwie sieht die bild aber immer noch schlimm aus.
zwar besser als die typografische presswurst von vorher aber immernoch zu unruhig. ok, die bild ist nicht brand eins oder neon aber auch eine boulevardzeitung kann doch gut aussehen, oder?
die Neuzeit Grotesk als werkschrift ist grausam, eine geometrische schrift in dieser größe ist einfach schlecht lesbar, da kann man gleich die avantgarde nehmen. die headlineschrift hätte man auch ändern können, Amplitude von font bureau hätte ich da gern gesehen. :/
Christoph
Damit die reaktionären Massen „ihre“ Zeitung nicht mehr erkennen? Schön wär’s … ;)
robertmichael
die superillu hat auch auf die ‚bureau grotesk‘ umgestellt (schon vor längerer zeit) und ich glaube nicht das dies jemand gestört hat.
DanU
HAHAHA – seh ich jetzt erst: wie geil ist denn die „Lefax“ anzeige im linken nachrichtenblock!? und was, wenn doch… lol
Heinz
Bin ich der einzige der die verwirrende Numerierung im oberen Bild nicht versteht?
JeriC
Ich musste erst kurz grübeln, aber eigentlich gibts da doch nix nicht zu verstehen – blau alt (die zuerst aufgeführten numerierten punkte), grün neu (die zuletzt aufgeführten numerierten punkte).
Sharif
Ich verstehe gar nichts … und hoffe allerdings das die Bild-Zeitung so bleibt wie sie ist. Typografischer Wildwuchs! Herrlich. Kann man sich ernsthaft über „zusammegequetschte Schrift“ im Layout Europas größter Boulevardszeitung aufregen? Ich nicht. Das hat Tradition. Nehmt mir bitte nicht diese letzte Bastion der „design“-freien Presseerzeugnisse. Ich würde (fast) alles dafür geben, daß die Bild-Zeitung weiterhin so bleibt wie sie ist (nur was das Layout betrifft, versteht sich).
Dominik Lenk
Nun ja, es mag vielleicht ‚besser‘ aussehen, aber lesen würde ich es trotzdem noch nicht.
Und irgendwie gebe ich Sharif auch ein bisschen Recht. ‚Die Bastion der Design-freien Presse‘: Hört sich gut an.
Jean Pierre
> und einen leichten Fond im Hauptprogramm
Sollte das nicht ein „Font“ sein oder gibt es die BILD jetzt schon mit Geschmacksbeilage? :-p
Jürgen
Nein, es war Fond gemeint, und Designer wissen dann, dass nicht um Fleischsaft geht sondern einen (Hinter-)Grund.
Sven
Es ist die Bild-Zeitung … und auch wenn sie gerne von sich behauptet, dass sie die Mutigen sind, die die Wahrheiten aussprechen, ist es doch ein Blatt, das man nicht ernst nehmen kann! Und jeder, der wirklich wissen will, was in der Welt passiert, wird diese Zeitung nicht lesen. Und da passt, diese trash-ige Layout super und da kann auch eine noch so tolle Verbesserung nichts dran ändern!
thomas
okay inhaltlich mag das alles eine ziemliche katastrophe sein, dennoch habe ich ziemliche hochachtung vor den leuten, die das ding tag für tag setzen müssen. einfach ist das sicher nicht, die seiten so knallevoll zuzuballern!
besser finde ich auf jeden fall den verzicht auf diese fiese fette schreibmaschinentype. vielleicht wirds ja doch ein wenig ordentlicher insgesamt.
was ich jedoch nicht verstehe, sind so viele verschiedene schriften.
wo zieht man die grenze für die verwendung der interstate und der neuzeit grotesk?
das aus der bild kein hochglanzmagazin wird ist klar, die sieht eben aus, wie ein fabrikarbeiter der morgens um 6 uhr zu frühschicht antreten muss, bissel müde, dreitagebart …. (ich bin den jungs und den mädels auch dankbar, das sie das machen, ich wills nicht machen müssen, mir hats als schüler gereicht). die vogue oder die vanity fair können sie ja heimlich auf dem klo lesen ;-)
Geralf Eislar
Neue Typographie in der Bild Zeitung?
Interessiert doch – entschuldigung – keine Sau!
thomas
geralf. typografisch gesehen ist das eine arbeit von designern wie jede andere. die ansprüche ans zielpublikum sind nur andere.
Mr Crabtree
Ich check die fünfte Todsünde beim alten Bild-Layout nicht: Was ist denn an dem Euro-Zeichen bitteschön „kaputt“?
thomas
es ist a) das falsche zu schrift, es ist das »standard-zeichen« und nicht das im font enthaltenes.
und b) zu allem überfluß ist es auch noch gestaucht. das sieht man sehr schön bei den bögen, die haben oben links einen »knick«, dort sollten sie aber eher »rund« sein. bzw. durch das stauchen sind die horizontalen striche dicker, als die vertikalen. es ist aber eigentlich genau anders herum.
Jan
„Das neu gestaltete tägliche Fernsehprogramm beweist (Schrift: Interstate-Familie), was gute Typografie in puncto Gliederung, Übersicht und Lesbarkeit leisten kann. Die horizontale Struktur basiert alleine auf Schriftgrößen, Strichstärken, Textfarben, Umbrüche und einen leichten Fond im Hauptprogramm.“
Das alte basiert also nicht auf diesen Elementen?
Also ehrlich gesagt finde ich das neue TV-Programm nicht so die Offenbarung: Das sieht doch so aus wie in allen anderen TV-Zeitschriften.
Übersichtlicher finde ich eher das alte, das ist sauber, aufgeräumter, lebt vom Weißraum und ist nicht so zusammengequetscht wie das neue – trotz der horizontalen Linien.
david
Meine spontane Assoziation: Der Ein-Euro-Laden, dessen Umsätze in den Keller sanken, als die Preisschilder nicht mehr handbeschriftet waren. Ich finde, das alte Layout passte wesentlich besser zu Inhalt und Zielgruppe der Bild ;-)
The_Mistaker
Ob nun neue und bessere Schriften, Fonts und Fonds, einzig der Inhalt lässt mich jeden früh erheitert aus der Tankstelle taumeln. Freilich ohne Bild, dafür mit einem Becher Kaffee.
Sollte dieses Blatt irgendwann mal in einer Sonderausgabe in althochdeutsch erscheinen, hätte sie ihren Auftrag erfüllt: der Spiegel, der dem Volke vorgehalten (werden soll) wird, wäre für eben jenes Volk auch optisch nicht mehr wahrnehmbar. Der Till Eulenspiegel für Blinde quasi. Köstlich…