Musicbon (4): »Der Kunde ist bereit zu zahlen …«
Um 13:45 kommt der Anruf: »Wir haben das System aufgespielt, sie können den Musicbon jetzt kaufen. Ich lege ihnen ›Alicia Keys‹ zurück.« Nur 60 Minuten später schwebe ich im gläsernen Aufzug in die 5. Etage des Saturn-Markts im Europa-Center. An der Musiktheke übergibt mir ein Mitarbeiter das knifflige Produkt, gekennzeichnet mit einem Notizzettelchen.
An der Kasse im Erdgeschoss läuft alles zunächst wie erwartet: erst den EAN-Code einlesen, dann fordert das System die Seriennummer, die ebenfalls als Barcode auf der Verpackung des Musicbon prangt. Doch was ist das: »Karte bereits freigeschaltet. Verkauf fehlgeschlagen …« meldet das Display des Computers. Zweiter Versuch, gleiche Meldung. Die Kassiererin ruft ihre »Chefin«, die es noch mal an einem anderen System versucht. Nix da …
Wir gehen gemeinsam in den 1. Stock an jene Kasse, wo gestern bereits der Kauf fehlgeschlagen war. Die Mitarbeiterin dort erinnert sich nicht nur an mich, sondern auch an die gestrigen Tests ihrer Kollegen aus der Musikabteilung, kurz vor Feierabend … mit zwei Musicbons, einer davon Alicia Keys: »Das hat dann irgendwann funktioniert«. »Na ja« kombiniere ich »vielleicht halten wir eines der gestern verwendeten Testexemplare in Händen, das bereits freigeschaltet ist.« Ein doppeltes Freischalten wird aus Sicherheitsgründen verhindert.
Anders als gestern geplant, gibt es im Saturn Europa-Center nun doch ein spezielles Musicbon-Regal … dazwischen einsortiert die hauseigenen Gutschein-Cards – die flexiblere Alternative zum Musicbon
Das klingt plausibel. Also beschließt die Abteilungsleiterin, ein anderes Exemplar des Alicia-Keys-Musicbon aus der 5. Etage zu holen. Zuvor bitte ich sie, auf den Aufdruck »Premium Edition: Album + Bonusmaterial« zu achten, denn das Album liegt in zwei Versionen im Regal, beide zu je 9,99 €.
Nur 3 Minuten später ist sie wieder zurück, und jetzt klappt alles … fast alles. Das System schaltet richtig, weist aber einen Preis von 12,99 € aus. Das überrascht mich nicht, denn so stand es auch in der Musicbon-Pressemitteilung: Alben mit Bonusmaterial sind 3 Euro teurer als Standard-Alben. Sie ruft wieder in der Musik-CD-Etage an. Es folgt ein längerer Dialog am Telefon, die Stichworte »falsch ausgepreist« und »ist jetzt freigeschaltet« fallen, und mir wird ganz schnell klar: Wenn ich jetzt auf die 9,99 € bestehe, verlasse ich den Markt ein 3. Mal ohne Freischaltcode. Also gebe ich schnell und freundlich zu verstehen, dass ich gerne die 12,99 € bezahle, so wie sie der Saturn-Zentralcomputer gespeichert hat. Die beiden Damen an der Kasse zeigen sich erleichtert und man beendet das Telefonat mit den Worten »Der Kunde ist bereit, den Preis auf dem Kassenbon zu zahlen …«.
Fast etwas stolz verlasse ich den Saturn-Markt … nicht ohne einen prüfenden Blick auf den Kassenzettel zu werfen. Ich vergleiche die ausgedruckte Seriennummer mit der auf der Verpackung und überfliege das Kleingedruckte: »Innerhalb von 2 Jahren einlösbar« … »In 2 Schritten zum Download …« … »Mit dem Erwerb der musicbon-Karte erkl∑rt sich der Kunde …«. OK, geschenkt … darum kümmere ich mich später. Jetzt fahr’ ich erst mal nach Hause und schalte die Musik frei.
Meine (vorläufige) Abschlussrechnung: 3 x Anfahrt per PKW (pauschal je 15,00 €) sowie 3 x Parken (4 € + 2 € + 0,50 €) macht zusammen mit dem Musicbon (12,99 €) 64,49 €. Die Alicia-Keys-CD kostet bei Saturn übrigens 14,99 € – aber ohne Bonusmaterial.
25 Kommentare
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Hendrik Runte
Unfassbar. Schlicht unfassbar. Und dann macht der Einzelhandel wie Saturn auch noch mit. Wahnsinn.
Cedric Kiefer
Auf dass das noch lange weiter geht, ich bin gespannt…
Ralph
Ich hoffe auch, dass es noch nicht vorbei ist… Es macht nämlich langsam Spass diese Geschichte… wie viel ein Kunde bereit ist für etwas ganz bestimmtes eine Unmenge an materiellen und immateriellen Aufwand zu bezahlen ;)
Aus Dresden grüssend
Ralph
Simone
Machst Du uns auch eine Zeit-Rechnung über die Story, Jürgen. Ist ja nicht ganz unerheblich wieviel Zeit dabei drauf geht, oder?
Felix
Ohje, Simone.
Dann hätte er sich vielleicht Alicia Keys live ins Wohnzimmer bringen lassen können. ;)
ppp
Ich denke es war die 64,49 wert. Denn Bonusmaterial hattest du doch jetzt wirklich eine Menge. :)
Coach
Mehr Font bitte im Blog.
Nico
»Innerhalb von 2 Jahren einlösbar«
Das halte ich übrigens für rechtswidrig. Du hast den Preis bezahlt, also hast du auch ein Recht darauf den Gegenwert (oder etwas vergleichbares) zu erhalten. Egal wann.
Simone
@coach: schau doch mal auf’s Alicia Keys cover und kommentiere. Das wäre doch ein Anfang, um Deiner Nachfrage nachzukommen oder? Nach dem Motto: selbst was tun!
@ Felix: stimmt – daran hab ich natürlich nicht gedacht! Aber wer will Alicia im Wohnzimmer, wenn eigentlich die Stimme interessiert ;-)…
Marc
spannend, spannend, spannend… *g*
(im gegensatz zu alicia keys und dem coverfont)
Georg Krüger
erklärt mir jemand den sinn hinter musicbon ????
Christian Büning
Irrsinn lässt sich um so vieles leichter ertragen in der Rolle des Journalisten. Ich glaube, ich wäre unleidlich geworden. Respekt für deine Geduld, Jürgen.
Sven
Was ist denn das für ne Milchmädchenrechnung? Da wird ja alles unerschwinglich! Bei 15 Euro Anfahrt ist der Saturn aber sehr weit weg.
jahn
@12: bei 30 cent kilometerpauschale macht das 50 km. in berlin ein katzensprung ;)
Heinrich
sven, du bist aber nicht von finanzammt, oder?
Simon Wehr
Hmm. wie wärs mit ner Monatskarte der BVG? Schont nicht nur die Umwelt, sondern auch den Geldbeutel …
Ansonsten freue ich mich schon auf die weiteren Fortsetzungen.
robertmichael
ich glaube du bist der erste kunde deutschlandweit der dieses system jemals ausprobiert hat. wahrscheinlich hat vor dir noch niemand einen dieser musikbons gekauft.
warum kostet der bon 3 euro mehr als eine cd, versteh ich nicht. ist da der smalltalk zwischen verkäufer und kunde schon mit eingerechnet?
Hans
Wieder ein herrliches Beispiel von Kundenvergraulung! Seit 30 Jahren arbeite ich jetzt als Verkäufer: 10 Jahre davon in Holland, 20 Jahre in Deutschland. Auch in der Heimat kenne ich Firmen und Verkäufer die sich Ausrutscher leisten. Ich bin aber absolut der Meinung, das Kunden sich hierzulande, einiges (!) gefallen lassen um Geld ausgeben zu „dürfen�?. Meiner Meinung nach, hat der Kunde immer nur die Aufgabe sich anständig zu benehmen, alle andere Beschäftigungen sollten ihn abgenommen werden von diejenigen die Geld verdienen wollen!
Jürgen
Da »Nebenkosten« einer Dienstreise zu berechnen – egal ob ÖPNV oder KFZ – ist vor allem dann eine Milchmädchenrechnung, wenn einem die eigene Zeit egal ist. Mir war sie egal, weil privat, … Bezgl. der investierten Zeit ist das Musicbon-System sowieso unschlagbar unökonomisch.
Laut ADAC-Tabelle betragen die realen Kosten meines Wagens 57,5 Cent pro Kilometer. Dass das Finanzamt dies anders sieht, dafür kann ich mir nichts kaufen. Die 15 € pro Saturn-Besuch sind eher zurückhaltend kalkuliert. Wäre ich mit der U-Bahn gefahren, hätte mich der Spaß 5 € gekostet.
robertmichael
es sei denn, dir hätte jemand in der u-bahn ein eis oder seine currywurst auf das jacket gekleckert oder die brieftasche geklaut. teurer spaß und respekt das du das so durchziehst, ichhätte schon nach dem ersten versuch aufgegeben.
Marc
grade noch gefunden:
Artikel von Stefan Fischerländer über das grandiose Musicbonsystem…
Max
Also wenn das bei jedem Kauf so ein hin und her ist bleibe ich lieber Altmodisch :)
Thorbjörn
Ich glaube kaum, daß die Stadt Berlin wegen der Masse an Musicbonkäufern verstopft ist. ;-)
Sehr schöne Geschichte, die 45,- EUR Fahrtkosten sind eindeutig unter Werbung verbuchbar, mich hat’s schon sehr interessiert, wie’s weitergeht.
Ansonsten: Hans hat recht, der Kunde muß sich meiner Erfahrung nach sehr verbiegen, um zu gefallen und das gewünschte Produkt bekommen zu können.
Andrzej
Sehr schöne Real-Satire…
Die technischen Probleme sind doch typisch bei der Einführung eines so neuen innovativen Systems, leider wird der Kunde hierbei in die Rolle eines Beta-Tester gezwängt, ohne dafür was zu können oder es gar zu wollen. Nun ja…
„Modern Times 2008“, sag ich nur, zum Glück auch so lustig wie das Original… ;-)