Mobiles Grafikdesign in der Provinz

Seit Ende Juni ist die Berliner Designerin Eva Kretschmer mit ihrem gelben Hupe Design-Bus in Brandenburg unter­wegs und bietet kleinen Unternehmern und Firmen ihre Dienste an. »Mein Angebot ist offen für jegliche Art von visu­eller Gestaltung. Ich über­ar­beite Speisekarten, entwerfe Ladenschilder, entwi­ckele Logos und benenne Imbissbuden um. Darüber hinaus lasse ich mich gern auf indi­vi­du­elle Vorstellungen ein. Die ›Bezahlung‹ soll als Tauschgeschäft funk­tio­nieren, kann aber auch mit finan­zi­ellen Mitteln geschehen. Wichtig ist die Deckung des tägli­chen Bedarfs wie Essen, Benzin, Strom, Internet und Stellplatz.« Mit diesen Sätzen hat sie ihr Projekt in einem PDF formu­liert, das sie zu Beginn ihrer Diplomprojekt an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Prof. Alex Jordan übergab, der sie im Fachbereich Visuelle Kommunikation betreut.

Durch das Herumfahren und mittels Empfehlungen versucht die Designerin an neue Aufträge zu gelangen. Wochenweise lädt sie darüber hinaus immer wieder Gäste zu sich ein – Illustratoren, Fotografen, Architekten, Literaten und ähnliche – , die als »Special offer« ihr Angebot berei­chern. Nebenbei möchte sie auf ihren Fahrten inter­es­sante und enga­gierte (Geschäfts-)Ideen ausfindig machen und doku­men­tieren. »Brandenburg ist geprägt durch Wirtschaftsschwäche und Zersiedelung, dennoch entwi­ckeln gerade dort die Menschen inter­es­sante und unge­wöhn­liche Überlebensstrategien.« schreibt sie in ihrem Blog. Diese Menschen möchte sie kennen­lernen und inter­viewen. Ihr eigenes Geschäft wird auf diese Art Mittel zum Zweck, um diesen Menschen nahe zu kommen und ihre Ideen, Wünsche und Vorstellungen zu kommunizieren.

»Es geht darum heraus­zu­finden, ob ihre Überlebensstrategien wirken, was ihnen an ihrer Arbeit wichtig ist und was sie dafür in Kauf nehmen. Gleichzeitig hinter­frage ich meine Rolle als Grafikdesigner: kann ich über­haupt nütz­lich sein, wofür werde ich gebraucht und welche Kompromisse bin ich bereit dafür einzu­gehen. Diese Auseinandersetzung gibt mir die Möglichkeit, über Arbeits- und Identitätssuche beider Seiten zu reflek­tieren.« so beschreibt die Designerin das Ziel ihrer Diplomarbeit. Es werde inter­es­sant sein zu erfahren, welche Wertschätzung man für seine Arbeit oder Leidenschaft erfährt, also auch wie viel Auftraggeber bereit sind zu zahlen.

Nach den ersten Aufträgen in Zempow fuhr Eva Kretschmer weiter nach Heimland. Dort gestaltet sie im Moment Infotafeln für das Ferienland Luhme. »Der Mitinhaber und Linken-Stadtverordnete Freke Over hat sie außerdem gebeten, das Willkommensbild zu malen, dass seit gestern Reisende am Bahnhof der Prinzenstadt begrüßt. Es verdeckt ein Nazi-Graffito.« weiß die Märkische Allgemeine zu berichten. Auch andere Lokalzeitungen sind bereits auf das inter­es­sante Projekt aufmerksam geworden.


19 Kommentare

  1. Da Stefan

    Coole Idee. Ich weiß nur nicht, was das Finanzamt dazu sagen wird… „Die ›Bezahlung‹ soll als Tauschgeschäft funk­tio­nieren, kann aber auch mit finan­zi­ellen Mitteln geschehen.“

  2. Vroni

    Faszinierende Idee mit einem Grafikmobil quasi als reisende Zimmermännin durch die Lande zu fahren. Kenn‘ ich aller­dings woher, sie ist nicht der erste mit dieser Idee.
    Gibt dennoch bestimmt gute PR für die Autorin. Und sie bekommt später gewiss einen tollen Angestelltenjob angeboten. 

    Aus ihrem beglei­tendem Blog:

    … schon mal Kassensturz machen: die Kasse stürzt tief. Geschäftsfrau bin ich noch nicht – dafür gibts Aufträge genug und der Hupebus entwi­ckelt sich zur Psychocouch. 

    Das ist ihr Fazit nach unge­fähr einem Monat. Mal sehen, was noch kommt.
    Geschäftsleute sind ja viele Designer nicht.

    Als alter Zyniker und gleich­zei­tiges altes Landei, viel­leicht genau deswegen, [schmeiße ich mal die Mecker-Glaskugel :-) an] wage ich die elen­dige Prognose:
    Es wird so bleiben. Viele Aufträge, die aber alle nicht viel kosten dürfen plus kaum Gewinn plus viel reden müssen plus Bürgermeisters mit auf den Fotos.
    Am Ende sind aber alle glück­lich, man lobt die Erfahrungslust und die Diplomarbeit wird ein Hingucker, oder Hinleser.

    Bis dahin verbleibe ich mit der Weisheit, die ich im Internet aus dem USA-Blog eines Fotografen ( http://​bara​dell​.com/​?​p​a​g​e=9 ) zitieren darf:

    Amateur clients lack profes­sional distance; they are too close to the product. With them, busi­ness is personal.

    Here are four charac­te­ristics that most amateur clients share:

    1. They are terrible at brie­fing you on their needs or what they expect from you.
    2. They are slow at making up their minds or on giving you feed­back on your work.
    3. They frus­trate you and waste your time by chan­ging their minds frequently.
    4. Even though they run you in circles, they resent paying you for your time. 

    Wobei zu hinter­fragen ist, ob auf dem platten Land wirk­lich alle Auftraggeber Amateur Clients sind, die den Designer als Psychocouch verwenden. Glaub ich nicht. Wie es in München, Berlin oder Dallas es eben auch Amateur Clients gibt (Gauß’sche Normalverteilung).
    Da sind auch auf dem Land schon auch andere drunter. 

    Zum Beispiel solche:

    By contrast, the profes­sional client has expe­ri­ence working with photo­graphers, graphic desi­gners, writers and other crea­tive people. They under­stand the nature of what you do, and they are clear about their role and yours.

    1. They respect your time.
    2. They are also busy them­selves, so they don’t have time to micro­ma­nage you.
    3. They give you excel­lent crea­tive briefs and trust that you know what to do with them.
    4. They know what they want and rarely change their minds.

    Professional clients tend to be employees of large compa­nies; they have budgets and dead­lines, and as long as you meet them, they won’t haggle with you over every penny.

    Ich wünsch‘ ihr alles Gute!

  3. Jean

    Es ist unbe­strit­tener Weise sicher eine tolle Erfahrung und eine Aktion.

    Allerdings sehe ich das Risiko, dass hier die Aktion mehr im Vordergrund steht, im Sinne z.B. eines Happening. Zum anderen birgt es die Gefahr, dass hier eine Reduktion aufs visu­elle voll­zogen wird, es wird etwas „über­ar­beitet“ visuell und grafisch, aber die inhalt­liche und kontex­tu­elle Arbeit kann bei derar­tigen „Wanderarbeiten“ eher zurück­stehen. Und diese Auffassung einer rein visu­ellen Arbeit passt dann relativ gut in die öffent­liche Wahrnehmung von Gestaltung bzw. Design.

  4. carlos

    Ich finde das weder gestal­te­risch, noch inhalt­lich inter­es­sant. Aber erfolg­reich wird die Dame bestimmt sein… 

  5. anderer tom

    Hehe. Danke Vroni für die erhel­lenden Weisheiten über Auftraggeber. Nach meiner Erfahrung bringt es das genau auf den Punkt. Man kann Leute nicht dazu erziehen, sich für Erscheinungsbilder, Image und Design zu inter­es­sieren. Außer! es geht ums Geschäft und die Leute merken langsam, dass sich Design besser verkaufen lässt. Insofern sind gute Zeiten für Werber und Designer ange­bro­chen (nach meinem subjek­tiven Eindruck), denn langsam merken die Leute, dass ihr Image auf der Strecke bleibt. Es geht ums wahr­ge­nommen werden und es geht ums überleben.

    Wer das nicht checkt, wird auch weiterhin kein Interesse an Design haben und nicht viel Geld dafür ausgeben. Man lernt so oder so.

  6. Vroni

    Ja, Anderer Tom, so wird es sein.

    Das Herausfindenwollen, ob Design Nutzen stiften kann und wem (das, was die Autorin bezweckt laut Aussage), wird davon geleitet. 

    Aber: Nutzen hat nur der, der von Anfang an den Nutzen begreift.
    Erst noch liebe­voll missio­nieren? Weiß nicht.

    Leider ist unter allen Begreifern (der Unterteilmenge der Adressaten) der „Style“ und die PR noch dazu mehr im Vordergrund als der Inhalt. Noch.

    Diese meine Meinung bezieht sich jedoch auf alle poten­zi­ellen Design-Aufträge. Nicht nur auf die, die Eva Kretschmer bekommt. 

    (Warum glaube ich dauernd, dass sie einen weib­li­chen Fokus hat, den des Mütterlichen, Abwartenden, Schützenden, Bewahrenden und Lehrenden? Das Innovative, Herausfordernde, Angreifende vermisse ich in ihrem Konzept. Das wär’s gewesen. Wär‘ ich nochmal jung*, dann würde ich NUR SO EINE heraus­for­der­dernde Tingelaktion machen.)

    * Bin 50, yo!

  7. Da Stefan

    Hallo Vroni. Ganz richtig, was du schreibst. Aber:

    „Professional clients tend to be employees of large compa­nies; they have budgets and dead­lines, and as long as you meet them, they won’t haggle with you over every penny.“

    ich habe bezüg­lich der Firmengröße eher andere Erfahrungen gemacht: gerade die Geschäftsführer/Auftraggeber aus kleinen und mittel­stän­di­schen Unternehmen sind die besseren Kunden. Die Leute in den großen Firmen kommen groß daher und verste­cken sich hinter dem großen Namen. Die KMU wissen dagegen selbst, wie fein es ist, eine ordent­liche und pünkt­liche Bezahlung zu bekommen. Daher: Lanzenbruch für KMUs als Kunden. :)

  8. Jan

    Und gerade der Faktor: 

    „Amateur clients lack profes­sional distance; they are too close to the product. With them, busi­ness is personal“ 

    birgt auch große Chancen in meinen Augen. Klar kann es anstren­gend sein, weil die Leute nicht wissen wie ihr liebes Produkt denn wirken soll, aber dazu sind Designer oder „Design-Berater“ auch mit da. 

    Ich kämpfe mich lieber mit einem Kunden ab der an seinem Produkt hängt, als mich mit Feedbackschleifen zwischen Marketing- und Sales-Fronten rumzuschlagen…

  9. Vroni

    Da Stefan,
    das waren Insights aus US. Möglicherweise bei uns leicht anders.

    [Offtopic: Meine Auftraggeber sind größ­ten­teils Inhaber.
    Vorteile: gute Zahlungsmoral. Man kann eine Beziehung aufbauen.
    Marketingleiter sind mir dennoch etwas lieber. Sie briefen profes­sio­neller, man muss nicht lange herum­reden, beide Seiten wissen, was Sache ist. Ich schätze das eigent­lich immer mehr.
    Größere Agenturen hingegen versuche ich meist zu vermeiden. Ihre Zahlungsmoral ist oft unter­ir­disch. Aber alles vorges­tern haben wollen, als Dauer-Standby am besten, aber nur erbsen­zäh­le­risch nach Stunden abrechnen, Preise drücken, Organisations-Chaos und sehr sehr flüchtig bis gar nicht briefen… . Der letzte Punkt ergrimmt mich eigent­lich immer am meisten, da ich sehr, sehr job-orien­tiert bin und gute Arbeit liefern will.]

    Vielleicht hört Eva hier mit.
    Bin gespannt, was sie für Erfahrungen macht.

  10. Da Stefan

    @Jan: korrekt, das ist auch ein großer Faktor.

  11. Vroni

    Da Stefan, Jan,
    jaja, die Feedbackschleifen zwischen Marketing und Sales :-P
    dauern aber oft nicht ganz so lang wie die Entscheidungsfindung manches Inhaberkunden. Habe meine Erfahrungen mit beiden, Inhaberkunden tun sich schon oft sehr schwer. (Natürlich kann man mit Pacing, Aufklärung, Beratung vieles steuern und beschleu­nigen, bin da recht viel­fältig. Zu pushy darf man jedoch auch wieder nicht sein …, tss, ein pushy Grafiker … ein Alien …)

  12. Da Stefan

    pushy??? ;)

  13. Vroni

    von: to push =
    drän­geln, antreiben.

    pushy = aggressiv, aufdring­lich, penetrant.

    [Da gibts schon Momente, wo aufrechte Empfehlungen oder das freund­liche uner­müd­liche Hinweisen im Beratungsprozess auf schlichte Marketing-Basics oder auf einfache Typografie-Musts als pushy = pene­trant empfunden wird. … sncr]

  14. Janin

    »Brandenburg ist geprägt durch Wirtschaftsschwäche und Zersiedelung, dennoch entwi­ckeln gerade dort die Menschen inter­es­sante und unge­wöhn­liche Überlebensstrategien.« ….empfinde ich als Brandenburger als sehr nega­tive Behauptung …macht den Eindruck al wenn wir Brandenburger nur mit Essenmarken über­leben und wir unbe­dingt ein Design-Mobil brauchen …

  15. Nociola

    Also, ich bin Designerin in einer grossen Firma und werde jetzt den Sprung in die Selbständigkeit wagen, um genau solche Dinge tun zu können, in meinem VW Bus im (N)irgendwo sitzen und da lange Arbeitsschichten schieben, aber doch morgens um 6 ins Meer springen zu können. Es geht doch auch um die persön­li­chen Lebensunstände und da ist es sicher schöner in einem Bus, als in einem grauen, dunklen, stickigen Büro, gerade als „Kreativer“. Wofür viel Geld, wenn ich keine Zeit habe über­haupt zu Leben.
    Schönen Gruß und viel SPAß Eva

  16. Thomas

    Mh, das hört sich an wie: leben am Existenzminimum. Da lobe ich mir doch lieber meine feste Kundschaft, auch wenn ich oft verreisen muss. Kann aber immer wieder in mein festes Refugium zurück kehren. Aber gut, wenn es nicht anders geht, dann eben so. Auf jeden Fall besser als zu Hause rum sitzen und H4 bean­tragen. Viel Glück also

  17. Pixmac3Cmanager

    Sie macht exakt das Richtige. Man muss die Kunden und seine Probleme verstehen, und immer vor Ort sein. Man muss immer nett und hilfs­be­reit sein, dann sind die Kunden Freunde fürs Leben. Auch braucht Sie nicht immer Papiergeld, das soge­nannte Fiat Money – offi­ziell Falschgeld über­setzt. Wenn sie von der Reise zurück­kehrt, wissen die Leute die es wissen müssen, sie ist hilf­be­reit, und die Leute verwenden sie wieder anrufen, auch wenn sie nicht mehr so oft vor Ort sein kann. Vor allem in diesen Zeiten wo Dynamik gefragt ist kann man nicht stur in seinem Kammerl (Firma) hocken.

  18. Vroni

    Vor allem in diesen Zeiten wo Dynamik gefragt ist kann man nicht stur in seinem Kammerl (Firma) hocken.

    Ein inter­es­santes Statement in digi­talen Zeiten!
    (Nicht als Spott/Kritik gedacht, sondern ernst.)

    Wobei ich, ganz ehrlich, es sehr schätze, wenn ich in Ruhe etwas entwi­ckeln kann. Design braucht auch Rückzugsräume. Immer nur „Nähe am Kunden“ macht einen oft sehr unfo­ku­siert (Gewimmel im Kopf). Der Prozess braucht auch: Sortierung und Distanz.
    Mit der Betonung auf auch.

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