Merkelcast: Standpauke für High-Tech-Industrie

Standbild Merkel-Podcast

»Wussten Sie eigent­lich, dass der MP3-Player in Deutschland erfunden wurde, und dann trotzdem auf den Markt kam von einem auslän­di­schen Unternehmen. So ähnlich ging es auch mit dem Fax. Wir wollen uns damit nicht abfinden.« So beginnt der neue Podcast der Bundeskanzlerin, der inzwi­schen ordent­lich per RSS verkündet wird und endlich seinen Regierungserklärungs-Touch verloren hat: Angela Merkel sitzt nicht mehr, es gibt Kameraschwenks und eine lebens­echte Kanzleramt-Akustik.

Die Kanzlerin meint wahr­schein­lich, dass die MP3-Audio-Kompression in Deutschland erfunden wurde. Tatsächlich wurde auch der erste trag­bare MP3-Player in Deutschland gebaut, nämlich 1995 von der ober­pfäl­zi­schen Firma Pontis in Schwarzenfeld (mitt­ler­weile in einem anderen Unternehmen aufge­gangen). Auf dem Massenmarkt erfolg­reich waren jedoch die Player der Firma Rio Audio aus Santa Clara USA … erst im Oktober 2001 kam der iPod von Apple auf den Markt, dem »auslän­di­schen Unternehmen«, das Merkel eigent­lich anspricht.

Im Kern hat sie recht: Warum gelingt es deut­schen Unternehmen immer weniger, mit Hi-Tech-Geräten – außer Kraftfahrzeugen – auf dem Weltmarkt zu reüs­sieren. Dual weg, Schneider weg, Grundig weg, Loewe gerade noch gerettet. Ich denke, sie sollte mal ihren Wirtschaftsminister befragen … zu Themen wie Mindestlöhne, Lohnnebenkosten, Standortnachteil ….

Die am Dienstag beschlos­sene High-Tech-Strategie der Bundesregierung soll jetzt Abhilfe schaffen: Drei Prozenz des Bruttoinlandsprodukts will sie in Zukunft in Forschung und Entwicklung stecken. Und darum erwartet Angie, dass die Industrie jetzt ihren Beitrag zur Produktion und Vermarktung neuer Technologien leistet. Doch hören Sie selbst …


3 Kommentare

  1. Simone

    Schöner Podcast – sollte man sich wirk­lich anschauen…

  2. Andreas

    Mindestlöhne, Lohnnebenkosten, Standortnachteil kann ich mit der ange­spro­chenen Thematik beim besten Willen nicht verbinden. Auch ein iPod wird nicht in Cupertino zusam­men­ge­baut. Ich würde hier eher Begriffe wie Schlafmützigkeit, Angst vor Entscheidungen, Visionsdefizit, (hier­zu­lande leider begrün­dete) Angst vor Scheitern, „das haben wir schon immer so gemacht“ etc. sehen. Vergleichen wir doch mal Porsche/BMW und Opel/VW. Miele und AEG. Siemens (das waren, glaube ich, die mit dem Fax) und TrekStor.
    Interessantes Detail am Rande fand ich in der Wikipedia bei Rio, hatte ich schon vergessen: die RIAA hatte sie aufgrund des „Audio Home Recording Act“ verklagt. Hätte die RIAA gewonnen, gäbe es wohl die neuen Umsätze der MP3-Player und Online-Musik gar nicht. Ähnlich wie davor bei den Videorekordern, die Industrie steht sich halt auch oft selbst im Weg.

  3. HD Schellnack

    Da gibt es eine Menge Gründe… viele davon jenseits direkter poli­ti­scher Gestaltungsspielräume. Kredite, Bürokratismus… es gibt für Start-Ups wirk­lich bessere Rahmenbedingungen als in Deutschland. Und 3% des BSP für R&D, das ist eine fast pein­liche Ankündigung, und diffus oben­drein. Nichts gegen ein bisserl Symbolpolitik, aber die schafft eben keine Fortschritte. Kultureller und wissen­schaft­li­cher Aufbruch braucht Energie und die fehlt strukturell. 

    Deutschland ist ein im «Produktzyklus» einer Gesellschaft weit hinten ange­kom­menes Land, müde, bequem, verwöhnt, ausgedehnt.
    Auf der anderen Seite sind wir hoch­tech­ni­siert, hoch ratio­na­li­siert und haben eine beein­dru­ckend hohe Arbeitslosenquote bei gleich­zei­tigem Reichtum – was, so absurd das zunächst klingt, eine zivi­li­sa­to­ri­sche Leistung ist, wenn auch nicht zu Ende gedacht. Wir müssen jetzt gesell­schaft­liche Modelle schaffen, die sich für Länder, die im Produkzyklus weiter vorne sind, später Modellcharakter haben werden…

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