Kurt Weidemann 1922 – 2011
Wie die Stuttgarter Zeitung eben meldet, ist der stilprägende Grafikdesigner Prof. Kurt Weidemann gestern im elsässischen Sélestat gestorben. Weidemann war mehrfach Sprecher auf der TYPO Berlin, wo 2008 auch unser Porträt entstand (Foto: Marc Eckardt).
Als Corporate Designer überarbeitete oder entwarf Weidemann die Erscheinungsbilder vieler bekannter Unternehmen, darunter co op, Zeiss, Merck, Mercedes-Benz, Daimler-Benz, Deutsche Aerospace, Porsche und Deutsche Bahn. Darüber hinaus gestaltete er Bücher für die Büchergilde Gutenberg sowie die Verlage Ullstein, Propyläen, Ernst Klett und Thieme. Seine bekanntesten Schriften sind die Corporate ASE und die ITC Weidemann. Er wurde 1995 mit dem Lucky Strike Designer Award der Raymond-Loewy-Stiftung ausgezeichnet, ein Jahr später mit dem Bundesverdienstkreuz I. Klasse.
Kurt Weidemann siedelte im Alter von 4 Jahren von Masuren nach Lübeck über, wo er er seine Schul- und Lehrzeit verbrachte. 1940 zog er als Freiwilliger an die Ostfront, wo er im Schützengraben nur knapp dem Tod entging und zum Kriegsende in russische Gefangenschaft geriet. Über diese Jahre hat er spät in seinem Leben Auskunft gegeben, in den 2002 unter dem Titel »Kaum Ich«“ veröffentlichten Feldtagebüchern (Privatdruck).
Eigentlich wollte Weidemann Grafiker werden, »mit einer Eins im Zeichnen.« Aber es zog ihn zunächst nichts an die Hochschule. Also absolvierte er von 1950 bis 1952 eine Lehre zum Schriftsetzer in Lübeck, studierte aber anschließend von 1953 bis 1955 vier Semester Buchgrafik und Typografie an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in Stuttgart, wo bereits sein Bruder lebte. Ab 1955 war Weidemann dort als freiberuflicher Grafik-Designer, Werbeberater und Texter tätig. Von 1955 bis 1964 war er Schriftleiter der Fachzeitschrift Der Druckspiegel. Anfang der 1960er Jahre baute Weidemann zusammen mit Aaron Burns das International Center for the Typographic Arts (ICTA) in New York City auf und war von 1966 bis 1972 dessen Präsident. Im Jahr 1965 wurde Weidemann als Professor auf den selbstgewählten Lehrstuhl für Information und Grafische Praxis an der Stuttgarter Akademie berufen und lehrte dort 20 Jahre lang.
Anfang der 1980er Jahren beteiligte er sich an der Gründung der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar und unterrichtete dort ab 1983. Von 1970 bis 1972 war er Präsident des Internationalen Dachverbandes der Grafikerverbände (Icograda); ferner leitete er 7 Jahre lang das Stuttgarter Künstlerhaus. Neben seinem Lehrauftrag an der WHU lehrte er ab 1991 an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.
Weidemann war ein streitbarer Designer. Er verbreitete sein Wissen in vielen Fachbüchern und in ungezählten Reden. Legendär sind seine 10 Thesen zur Typografie, 1994 veröffentlicht in dem Buch »Wo der Buchstabe das Wort führt. Ansichten über Schrift und Typografie.« Sie münden in dem Appell: »Gott schütze uns vor der vagabundierenden Kreativität der Typomanen.« Mit der großen Vielfalt an Schriften konnte er sich nie anfreunden. Wörtlich sagte er 2010 in einem Gespräch mit dem Schweizer Mediaforum : »Es gibt zehn, fünfzehn sehr gute Schriften, mit denen man sich anfreunden kann, mindestens. Es gibt 30.000 auf dem Markt, davon kann man 29.990 im Stillen Ozean versenken, ohne Kulturschaden anzurichten.«
Weidemann gönnte sich selbst keine Schonung, aber auch allen anderen nicht, die in seinen Augen schlechte Kommunikation praktizieren oder lehren. Auch seinem Körper gegenüber war er gnadenlos. In einem Interview drückte er das zuletzt so aus: »Mein Körper hat mir zu gehorchen, und das tut er, weil er nichts zu sagen hat«. Da war er 87. Nun hat sein Körper unerwartet den Gehorsam verweigert. Weidemann starb am gestrigen Mittwoch, den 30. März, im elsässischen Sélestat.
54 Kommentare
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pheinlein
Hut ab.
Karin SchmidtFriderichs
R.I.P. – auch wenn man sich Kurt Weidemann in Frieden RUHEND kaum vorstellen kann…
Indra
Oh Mann, ich bin so traurig. Er war so ein toller Kerl. Niemand schimpfte und lobte wie Kurt. Ich werde ihn echt schwer vermissen.
pheinlein
@ jürgen siebert: tolles portrait. Evtl. fotocredits angeben?
(und dann diesen kommentar gerne löschen)
erik spiekermann
Die ersten Bücher über Typografie, die mir in die Finger kamen, waren entweder von Kurt verfasst oder zusammengestellt oder er hatte das Vorwort geschrieben. Jahrelang hatte ich ein Abo für den Druckspiegel, weil das die einzige Fachzeitschrift hierzulande war, die auch über Typografie berichtete.
Seine Trilogie der Corporate für Daimler Benz war und ist genial und seiner Zeit weit voraus. So etwas konnte nur einer verkaufen, der mit den Vorstandschefs auf Du war, denn Ende der 80er Jahre reichte den meisten Unternehmen noch eine Standardschrift – meistens Helvetica. Heute haben alle aufgeklärten Marken eine Schriftfamilie mit Sans und Serif. Den Beweis für die Notwendigkeit einer größeren typografischen Palette habe ich oft anhand der Corporate geführt.
Mit wem soll ich mich jetzt streiten?
erik spiekermann
@pheinlein:
Steht drunter: Marc Eckardt, der seit vielen Jahren alle Typo-Sprecher und Sprecherinnen fotografiert-
Indra
Erik, zum streiten bleibt wenigstens noch Alex Branczyk. Euer fontfight auf der Typo ist/war legendär.
andi kissel
das ist ein sehr schönes foto – kurt weidemann wird fehlen.
Stefan
TRAUERTAG…unser bester Setzer hat zuende gesetzt.
nora
Welch ein Verlust um diesen streitbaren Dickschädel. Ich habe ihm nicht immer zugestimmt, aber für die Klarheit und wildentschlossene Prägnanz mit der er Dinge auf den (seinen!) Punkt brachte, habe ihn sehr bewundert, Er wird nicht nur mir fehlen in der Welt der ganzen FähnchenIndenWindHaltern. Und Indra hat Recht, zum Glück haben wir Erik und Alex …
R::bert
Kenne Ihn leider nicht persönlich, aber die Corporate war eine meine ersten Lieblingsschriften. Diese Familie hatte mich wirklich überzeugt und begeistert.
Und ein DB-Zeichen seinerzeit dermaßen schlicht aber gekonnt zu verändern, beweißt Mut, Selbstbewusstsein und Überzeugungskraft. Hochachtung!
@ Erik: Der Fontblog ist ja auch noch da ; )
Claus Drueppel ceo
Herausragend.
Er ists.
Wen vermögen wir morgen noch so wahrzunehmen?
Dein unglaubliche Kraft.
Deine feine Typo.
Dein Fässchen Bier im Wohnzimmer!
So wars.
Kurt
Nick Blume-Zander
Ach mensch.
Die Bierflasche. Seine Typo.
Yes.
Ihn im Zug treffen. Und kurz plaudern. ICE Köln-Frankfurt irgendwann 2009.
Das letzte Mal.
Legendär. Adieu. Danke.
Heide Hackenberg
Große Trauer, dass Kurt nicht mehr unter uns ist. Wir vermissen nicht nur einen hervorragenden Typografen, wortgewaltigen und blitzgescheiten Kollegen, sondern auch ein Vorbild für viele junge Designer. Neben seinen Büchern, die ich verschlungen habe, faszinierte mich am allermeisten sein klares und sachlich fundiertes Beurteilungsvermögen während vieler gemeinsamer Jury-Sitzungen.
René Karla
Kurt ist jetzt kein „fleißiges Kerlchen“ mehr. –
Kirsten Lauterbach
Wunderbare Sätze stammen von Kurt Weidemann, wie „Herr Ober, da ist ein h in meiner Suppe!“ Ich habe ihn bei Kochan & Partner erlebt und war schwer beeindruckt von seiner Person.
Sascha
Leider hatte ich ihn nie persönlich gesehen.
Ein Bier öffne ich heute trotzdem für Kurt.
Ben
Respekt für diesen Beitrag.
Und Respekt für Weidemanns Arbeit.
thomas junold
es wird leider mal wieder zeit für den einen gedanken, den ich bei solchen gelegenheiten als ersters habe: »schade, wieder einer von den guten!«
ob wir jemals erfahren werden, wer graf typo ist?
und JA: alex kann sich schon mal warm laufen. ;)
Folkert Groeneveld
Kurt Weidemann | Wo der Buchstabe das Wort führt, Seite 360
Seine Zeit ist in seiner vorzüglichen Typografie lagerfähig geworden – und sie wird weiter reifen. Danke.
Severin Wucher
Sehr traurig. Wenn es heute nicht so bewölkt wäre, könnte man jetzt, irgendwo zwischen Beteigeuze und Sindelfingen, einen dreidimensionalen dreizackigen Stern am Firmament blinken sehen. Das ist Kurt, er lacht sich eins und trinkt auf uns! Und wir auf ihn! Danke und auf Wiedersehen!
Stefan Soellner
Ein ganz, ganz, Großer, ….. auf bald!
carrois
Traurig.
thomas junold hat es ja schon geschrieben: Ein Guter ist weg. Vergessen werden wir ihn aber nicht, eh klar!
thomas junold
@ralph: und genau DAS ist das gute an guter arbeit: sie bleibt und hat bestand.
DanU
Hier im Stuttgarter Westen regnet es. Seine roten Ferrari-Schuhe werden nie wieder durch unsere Straßen schlurfen. Was ein Lebenswerk. Vielen Dank, Kurt Weidemann.
Susanne Zippel
Trauer und Leere breiten sich aus …
Silke Koppai
Für mich einer der größten deutschen Schriftgelehrten und mutigster Rote-Turnschuh-Träger! Er wird mir in großartiger Erinnerung bleiben.
Florian
Einer der ganz großen ist von uns gegangen. Aber ich denke er hat sein Werk erreicht. Er hat uns alle zum Nachdenken angeregt und vieles auf den Weg gebracht.
Annika
Ein gern gesehener Gast an unserer Hochschule, ein Vorbild für uns Studenten und immer wieder eine Bewunderung seiner Person. Ein Mensch der mit seinen Werken viel erreicht und für Begeisterung gesorgt hat. Kurt Weidemann wird in Stuttgart wirklich fehlen, mit seinen roten Schuhen, seinem Schlapphut und natürlich einer Flasche Bier. Er ist hier wirklich zu einer Marke geworden und geht für mich als Legende der Typografie“bewegung“ in Deutschland.
Viktor
Farewell & salut. Eine große Persönlichkeit.
burned
Guter Artikel. Weiß jemand, bei wem Kurt Weidemann seine Schriftsetzerlehre gemacht hat?
Huck
Oh! :, (
Ich spüre noch seine kühle Hand, die er mir gab, als er uns den Red Dot überreichte. Selt’ne Ehrfurcht ich empfand.
czyk
Ich fahr lieber zur 30.000-Font-Typomania-Hölle, als in Weidis seligen 3-Schriften-Himmel. Kommt jemand mit?
*OPYT*
Ein toller Mensch der mir letztes Jahr die Ehre erwiesen hat und sich meine Diplom Präsentation angeschaut hat…sowie danach ein gutes Feedback gegeben hat was ich nie vergessen werde. R.I.P er war einfach ein super Typ!!!
Martin
Erik, gar nicht nötig. Die Wahrheit darf man immer sagen.
Manfred F.
Ich habe Kurt Weidemann vor etwa 10 Jahren einmal live erlebt. Ein bemekenswerter Exzentriker und grosser Typograf. Der Eindruck ist bis heute geblieben.
Pepe
Ganz nebenbei hatte Kurt immer wieder etwas zu sagen, was mich noch heute führt. Ein großer Grafiker und vor allem großartiger Mensch – ich bin sehr froh für die Zeit an der HfG Karlsruhe.
effha
Ich habe Kurt Weidemann immer sehr geschätzt. Er hatte etwas zu sagen anstatt nur zu reden. Von der Sorte Mensch gibt es nicht mehr sehr viele…
robertmichael
schade. hab ihn gern reden gehört, wenn er auch manchmal sehr eigene ansichten hatte. der fontfight auf der typo war genial und seine schriften und logos beein(drucken)flussen mich bis heute.
georg
mein liebelings kurt-satz:
»manchmal muss man dinge auch auf die gefahr hin sagen,
dass sie genau so verstanden werden, wie sie gemeint sind.«
patrick widmer
ITC Weidemann. Damals mein erster Schriftvortrag als Student.
Ein nachhaltiger Einstieg in die Welt der Typografie.
Iris Interthal
Dialog am frühen Nachmittag in 2003 in der Tübinger Straße:
»Und, wo gehst Du hin?«
»Ins Haus der Wirtschaft.«
»Siehst Du, ich geh in die Wirtschaft.«
Ein großes Leben ist vollendet. Sehr traurig.
R::bert
… auch Zeit, dort weiter machen, wo sie aufgehört haben. Das würde sie sicher am meisten freuen.
Oliver Schuh
Es geht eine echte Type …
Alexander Goletzko
Ein Mensch, der mir wichtig war, ging fort. Das Vorbild wird immer bleiben.
Hab‘ dich wohl alter Mann. Wir trinken noch einen Sliwowitz, wenn der Glaube es zulässt. Bis dahin, wirst du fehlen.
Uve Gierth
Man musste nicht immer „Ja” sagen zu dem, was er sagte und machte. Was ihn auszeichnete war, dass er’s sagte – und machte. Eine großartige Persönlichkeit – weil Raum genug für Widerspruch (und „Gegenentwürfe) war. Was er liebte und wie wenige sonst annehmen konnte. Außerdem ein Typograf und Grafiker (Gott, was alles sonst er noch war,- denn diese Bezeichnungen fangen nur einen Bruchteil dessen ein, was er in seiner Rolle bewirkte), der gegen „Wortarmut” kämpfte… Er wird uns sehr, sehr fehlen.
Paul S.
Weiß jemand zufälligerweise, warum Herr Weidemann im französischen Sélestat (früher: Schlettstadt) gestorben ist? Hatte er etwa einen Wohnsitz dort? Reine Neugier.
Georg Valerius
er hatte dort einen freund besucht.
Alex Tobin
„I am a serviceman—like a baggage porter at the station. Nothing else.“ Kurt Weidemann, a legend among graphic designers, has died at the age of 88. Full of modesty and humility, Weidemann helped form the identities of companies such as Mercedes-Benz, Porsche, Zeiss, and Deutsche Bahn. We dedicate this week’s Gestalten.tv podcast to the great man, with a never-before-seen interview.
http://www.gestalten.tv/motion/kurt-weidemann-1922-2011
jeanette lemmerz
hut ab vor ihnen herr gestalter! mit grossen respekt und wertschätzung ihrer person. behalte sie in bester erinnerung. DANKE
ein sonniger grüss aus der sich frühlingshaft entfaltenden bismarckstrasse
Paul S.
@ Georg Valerius: Danke für die Auskunft.
Antje S.
„Es gibt kein Paradies – nur dies und das – und Wunschträume.“ Stand auf einer Antwort-Postkarte von Kurt zur Frage seiner persönlichen Paradiesvorstellung. Lieber Kurt, ich hoffe, da wo Du jetzt bist, ist es dennoch paradiesisch. Danke für alles!
Wolfgang Wittor
Jetzt kann ich meinen Schülern nicht mehr sagen, wenn Kurt Weidemann in der Stadt ist, geht hin und hört ihm zu, der ist weit über achzig und lebendiger als manch Junger, die „gestalten“ wollen und in Hochschulen sitzen. Ich glaube jetzt muss Erik für diesen Satz herhalten, oder!?
Das ist ne Scheiße mit der Vergänglichkeit!
Jochen Pläcking
Ich bin sehr traurig.
Hab erst nach der Rückkehr aus dem Urlaub von seinem Tod erfahren. Er hat ein paar Weichen in meinem Leben gestellt. Zum E inen hat er mich für Daimler „gekeilt“, zum Anderen hat er mir seinen Lehrauftrag an der WHU vererbt, den ich dann 20 Jahre in seinem Sinne fortgeführt habe. Und ich habe mich prächtig mit ihm gestritten, vor allem für die Typografie für Daimler. Ich brachte ihn dazu, noch einen Schnitt der Corporate für Daimler zu machen (die condensed A), der nun seit 20 Jahren die Schrift in der Daimler Werbung ist und sich als sehr markenprägend durchgesetzt hat.
Aber die Diskussionen waren hart. Denn Kurt wollte nicht – „sind 48 Schnitte nicht genug?“ Nein. Ich musste ihm das Gegenteil beweisen. Die Andrucke habe ich noch… Er hats dann gerne eingesehen.
Ich gehe davon aus, dass er bei einem guten Essen mit einem guten Glas Wein von uns gegangen ist.
Tschüss Kurt, war gut und wichtig mit Dir. Und danke, dass Du mich in den Kreis Deiner „Quadtätler“ aufgenommen hast.