Klar ist Programm: Konstruktivistische Schriften


Malewitsch-Schwarzes Quadrat
Rodchenko Full Einfa­ches geome­tri­sches Formenvokabular, der Versuch, Kunstobjekte mittels mathe­ma­tisch fundierter Konstruktionen zu erstellen, dazu geome­tri­sche Abstraktion gepaart mit tech­no­iden Gestaltungsformen: Am Vorabend des Ersten Weltkrieges erhob sich aus Russland das geome­trisch-tech­ni­sche Gestaltungsprinzip des Kunstruktivismus zu einer der großen Kunstströmungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts (Abb. Schwarzes Quadrat auf weißem Grund von Kasimir Malewitsch, 1915).

Aus der klar-redu­zierten Formensprache ging im Laufe der 20er Jahre die Elementare Typografie hervor – Grundlage für das kommende Jahrhundert der visu­ellen Kommunikation (so Friedl, Ott & Stein in TYPO Wann, Wer, Wie, S. 40f – Könemann, 1998).

Für die Gestaltung von Schriften forderte der Bauhaus-Künstler Laszlo Moholy-Nagy in einem Aufsatz, anläss­lich einer Bauhaus-Ausstellung 1923, eine klare und eindeu­tige Schriftgestaltung, eine Abkehr von der Groß- und Kleinschreibung und die sinn­volle Ausnutzung der »neuen maschi­nellen Möglichkeiten«. Jan Tschichold griff in den Typographischen Mitteilungen 1925 Moholy-Nagys Thesen auf und brachte in den Folgejahren revo­lu­tio­nie­rende Vereinfachungen für die Satz- und Druckpraxis auf den Weg, begleitet von Thesen zur neuen typo­gra­fi­schen Gestaltung.

gill_sans_sketch

Eine Zeichnung von Eric Gill verdeut­licht die geome­tri­sche Konstruktion des kleinen »g« (1933, Quelle: St Pride Printing Library, London)

In schneller Folge enstanden in der zweiten Hälfte der 20er Jahre die neuen Leitschriften der Bewegung: Paul Renners Futura (1927), Eric Gills Gill (1928) und Jacob Erbars Erbar (1929).

Bis heute stehen konstruk­ti­vis­ti­sche Schriften für die Freude an Klarheit, die posi­tive Haltung zu tech­ni­schem Fortschritt und haben mit verschie­denen Spielarten und zeit­ge­mäßen Interpretationen einen beson­deren Charme oder sogar Formen von Humor entwi­ckelt. Spannende Vertreter diese Gestaltungstrends sind:

FontShop-P22-Constructivist-Mugs

на здоровье! Hoch die Tassen! P22 rufen mit dem Constructivist Set schwung­volles Sowjet Ambiente zurück

Diese sechs konstruk­ti­vis­ti­schen Schriften von P22 orien­tieren sich am mutigen Grafikdesign der frühen Sowjet-Künstler wie Alexander Rodtschenko, radi­kaler Konstruktivist und Erfinder des »Lineismus« und der Malerin und bahn­bre­chenden Industriedesignerin Ljubow Popova.

Die sechs­schnit­tige Familie, die neben dem Regular-Schnitt auch über einen Linear-, Quadrat- und  einen Blockschnitt verfügt, sowie über einen kyril­li­schen und einen Dingbats-Zeichensatz, bringt den revo­lu­tio­nären Schwung der russi­schen Moderne ins kollek­tive Layout.

P22 Constructivist Set | 6 Fonts: P22 Constructivist RegularP22 Constructivist LineP22 Constructivist ExtrasP22 Constructivist CyrillicP22 Constructivist BlockP22 Constructivist Square, € 59,95 | 1995 | Richard Kegler für P22

 

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Barnbrook, Meister der subver­siven Typografie, konstru­iert Gesellschaftskritik

Kühl stra­te­gisch kalku­lie­rend: State Machine basiert auf der Beschriftung der russi­schen und ameri­ka­ni­schen Militärfahrzeuge, die im Kalten Krieg einge­setzt wurden. Zusätzlich formu­liert die Familie mit fünf Schriftschnitten Kritik am Muskelspiel der Großmächte und der naiven Technologiegläubigkeit der Ära. Das PDF-Dokument verät mehr über die Angriffs- und Kriegssymbolik im kalten Technik-Look.

Barnbrook gilt als virtuoser briti­scher Schriftenentwerfer mit gesell­schafs­kri­ti­schen Schrift-Konzepten, zum Beispiel mit den Olympukes, die Kritik an der kommer­zia­li­sie­rung der Olympischen Spiele üben und die er im Sommer 2012 zu den London Olympics veröf­fent­lichte. Sein Gestaltungscoup des aktu­ellen Bowie-Covers, mit der eigens entwi­ckelten Schrift Doctrine, sorgte Anfang dieses Jahres welt­weit für Aufsehen.

State Machine OT | 4 Fonts: State Machine Light OTState Machine Medium OTState Machine Demi Bold OTState Machine Bold OT, 60 Euro | 2003, Jonathan Barnbrook & Marcus McCallion für Virus Fonts

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Purismus pur: hori­zon­tale und verti­kale Linien formen die Capibara (Abbildung von Paul van der Laan)

Pieter van Rosmalen greift mit Capibara typo­gra­fi­sche Experimente konstruk­ti­vis­ti­scher Künstler wie Theo van Doesburg und H.Th. Wijdeveld aus dem frühen 20. Jahrhundert auf. Mit der insge­samt zehn­schnit­tigen Capibara- und Capibara Mono-Sippe sorgen das Den Haager Schriftenlabel Bold Monday von Paul van der Laan und Pieter van Rosmalen für ein konstruk­ti­vis­ti­sches System.

Konstruktionsprinzip der streng-geome­tri­schen Familie sind exakt recht­winklig anein­an­der­sto­ßende hori­zon­tale und verti­kale Linien. Einzig die kaum wahr­nehm­baren Rundungen der Ecken erlauben es der Capibara der Härte und Kälte, charak­te­ris­tisch für die meisten geome­tri­schen Muster, zu entkommen. Eine umfang­rei­cher Zeichenvorrat an Akzentbuchstaben für die Mehrheit der euro­päi­schen Sprachen und OpenType-Funktionen für den Zugriff auf viele Extras wie Small Caps und verschie­dene Zifferntypen runden die inhalt­lich Schrift ab.

CapibaraCapibara Mono OT Famile |10 Fonts: je fünf Schriftschnitte von Light bis Black, je 219 Euro | 2007,  Pieter van Rosmalen  für Bold Monday

In der Fontliste »Constructivist« finden sich neben den hier beschrie­benen auch weitere konstruk­ti­vis­ti­sche Schriften.

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