Im Wortlaut: Spiekermanns Masterplan

Die Rede von Johannes Erler zur gest­rigen Ausstellungseröffnung »erik spie­ker­mann. schriftgestalten«

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Frau Dr. Jaeggi,
lieber Erik,

vielen Dank für die Einladung, ein paar Worte zur Eröffnung dieser Ausstellung sagen zu dürfen. Ich fühle mich geehrt.

Dieser Abend ist ja so etwas, wie ein Heimspiel für Erik Spiekermann. Wir sind in Berlin, das ist seine Stadt. Wir befinden uns an einem Ort, an dem man den Begriff Design ausnahms­weise einmal nicht grund­le­gend erklären muss. Und wenn ich mich umschaue, dann sehe ich viele bekannte Gesichter. Die meisten unter Ihnen kennen Erik und seine Arbeit, viele von Ihnen haben Ihn über viele Jahre begleitet.

Ich werde Ihnen Erik Spiekermann also nicht in aller Ausführlichkeit vorstellen. Ich werde nicht über den Schriftengestalter und Typografen Erik Spiekermann spre­chen, der gleich mehrere der einfluss­reichsten Schriften der vergan­genen 20 Jahre geschaffen hat, von denen gleich vier vor kurzem in die stän­dige Sammlung des Museum of Modern Art in New York aufge­nommen wurden.

Ich werde nicht über den Designer und Bürogründer Erik Spiekermann spre­chen, der vor ein paar Wochen erst den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk erhielt und den sicher noch so manch ähnliche Ehrung erwartet.

Ich werde auch nicht über den Unternehmer Erik Spiekermann spre­chen, der mit dem FontShop aus seiner Passion für Schrift ein gutes Geschäft gemacht hat. Immerhin ist der FontShop heute der welt­weit größte Vertrieb digi­taler Schriften.

Und ich werde zuletzt dann auch nicht über den begna­deten Netzwerker Erik Spiekermann spre­chen, der die größte Designkonferenz Europas, die Typo Berlin, begrün­dete und dem mitt­ler­weile welt­weit über 100.000 Menschen auf Twitter folgen (zum Vergleich: ich habe unge­fähr 370 Freunde auf Facebook…).

Über all diese inter­es­santen und erstaun­li­chen Facetten erfahren Sie heute Abend von mir rein gar nichts. Und im Übrigen sollen Sie sich ja auch noch die Ausstellung anschauen.

Nein, mein Thema ist ein anderes. Mir geht es nicht um das WAS, mir geht es um nicht weniger, als das WARUM! Ich werde gleich also das große Geheimnis des Erik Spiekermann enthüllen, das all diese Leistungen über­haupt erst möglich gemacht hat. Er hat es mir selbst erzählt!

Am Anfang meiner Recherchen stand zunächst ein Artikel, den ich vor einigen Monaten für den Rat für Formgebung zu schreiben hatte. Es ging also um die bereits erwähnte Auszeichnung für das Lebenswerk und mit dem hatte ich mich entspre­chend zu beschäftigen.

Wenn man alles, was Erik in den letzten Jahren und Jahrzehnten geschaffen und geleistet hat, zusam­men­trägt, erkennt man zunächst die unge­heure Menge an Leistungen. Ich kann das ganz gut beur­teilen, weil ich ja auch schon ein paar Sachen gemacht habe und aber bereits jetzt, mit Mitte 40, fest­stellen muss, dass ich da, wo Erik heute ist, nicht mehr hinkommen werde. Ich schaffe das einfach nicht mehr, ich habe einfach nicht mehr genug Zeit, zumin­dest wenn ich weiter so arbeite, wie bisher.

Das ist dann natür­lich schon eine erste Erkenntnis: so etwas schafft man nämlich nicht allein. Und wenn man sich Eriks Arbeit anschaut, wird man schnell erkennen, dass er das alles tatsäch­lich selten allein gemacht hat. Er hatte immer Mitstreiter, Kollaborateure, Partner in Crime, die ihn gern unter­stützt haben.Das ist über­haupt nicht selbst­ver­ständ­lich, weil Designer oft auch große Individualisten und Egozentriker sind. Und das ist noch nicht einmal unlo­gisch, weil viele Entscheidungen im Design letzt­lich einsame Entscheidungen sein müssen. Um so erstaun­li­cher und bewun­derns­werter ist es für mich, wenn ich dann sehe, wie Erik diese schein­baren Gesetzmäßigkeiten außer Kraft setzt und es immer wieder schafft, viele Menschen um ein Thema herum zu versam­meln, die zusammen natür­lich viel mehr schaffen können, als ein Einzelner.

Das ist aber immer noch nicht das Geheimnis von dem ich sprach. Schon eher auf die rich­tige Spur kommt, wer im Überblick den Masterplan erkennt, der wohl hinter all dieser Aktivitäten zu stecken scheint (und an dieser Stelle muss man auch noch erwähnen, dass Erik viel schreibt. Bücher und Artikel und Vorträge). Dieser Masterplan heißt: Kommunikation. Um die dreht sich alles. Eriks zentrale Botschaft lautet: ohne Kommunikation geht nichts. Er hält sie für das Brot, das Gesellschaften nährt und zusam­men­hält, und Schrift für das Korn, also die wich­tigste Zutat (was erklärt, warum er diese wich­tige Zutat besser gleich selbst herstellt).

Erik hat ein ehrli­ches Interesse daran, Dinge zu erklären und zu verdeut­li­chen. Für mich ist das DIE zentrale Motivation und die edelste Aufgabe eines Kommunikationsdesigners, der Design nicht als schöne Oberfläche, sonders als Organisationsprinzip jenseits jeder verord­neten Ästhetik betrachtet. Und im Übrigen ist dies zu vermit­teln bis heute das große Problem unserer Branche, die immer noch auf die Oberfläche redu­ziert wird. Wir Designer kommen da einfach nicht aus dem Quark und Erik ist als einer der ganz wenigen schon erheb­lich viel weiter. Man hört ihm zu, man versteht ihn und man glaubt ihm.

Was aber treibt ihn nun dazu an? Ist da eine beson­ders heftige Form von Sendungsbewusstein zu entde­cken? Vielleicht sogar eine Art Weltverbesserungssyndrom? Möchte Erik Spiekermann viel­leicht einmal Bundeskanzler werden oder besser noch UN-Generalsekretär? Oder hat sich Erik Spiekermann nicht weniger vorkommen, als das unge­schrie­bene Gesetz von der Unfähigkeit des Menschen, vernünftig kommu­ni­zieren zu wollen, außer Kraft zu setzen? Denn die meisten können und WOLLEN es ja ganz offen­sicht­lich nicht. Wahrscheinlich , weil wir, archa­isch betrachtet, immer noch niemals und niemandem unsere über­le­bens­wich­tigen Feuerstellen und Jagdgründe preis­geben würden?

Das wären natür­lich alles hohe und hehre Ziele. So ist es aber nicht. Denn als ich neulich mit Erik zusam­mensaß, um Material für ein Buch zu sammeln und schon ganz viel zusam­men­hatte, weil Erik die ganze Zeit am reden war und wie so oft gar nicht aufhören konnte und ich mich fragte, wie ich das alles bloß jemals sortiert bekommen würde, da habe ich dann ganz zum Schluss doch mal sehr gezielt nachgefragt.

Ich fragte also: »Erik, sag mal, WARUM machst du das alles eigentlich?«

Und Erik antwor­tete nach kurzem Nachdenken und gar nicht mal laut, sondern eher nach­denk­lich: »Wahrscheinlich, weil ich so eine Plaudertasche bin …«

Und dann erzählte er mir, wie er als kleiner Junge und gerade erst der Sprache mächtig, ein unstill­bares Interesse an allem, was um ihn herum passierte, entwi­ckelte und diese stän­digen glück­li­chen Entdeckungen und Sensationen aber keines­falls für sich behalten, sondern immer auch alle anderen mitteilen wollte. Und wie er so die Sprache für sich entdeckte und später auch die Schrift. Und wie er nach und nach seine Fähigkeiten zu kommu­ni­zieren so weit verfei­nert hatte, dass er sie sogar beruf­lich nutzen konnte. Und Letzteres hat er mir übri­gens gar nicht mehr erzählt, sondern ich habe es mir zusamm­men­ge­reimt, weil es einfach Sinn macht. Weil es keine bessere Motivation und keine bessere Lehre gibt (was auch erklärt, warum Erik nie Design studiert hat).

Kommunikation also, wie sie tatsäch­lich gemeint ist. Um Informationen zu vermit­teln, um aufzu­klären, um Menschen mitein­ander zu verbinden.

Nicht jene Kommunikation als Selbstzweck, wie man sie z.b. in der verschwur­belten Rethorik deut­scher Außenminister oder japa­ni­scher Regierungssprecher findet. Auch nicht die Kommunikation, die heute fast jede Werbeagentur für sich rekla­miert, die genau so nicht mehr genannt werden will: Werbeagentur. Sondern zukünftig: Kommunikationsagentur. Weil ja Kommunikation die neue Werbung ist. Und schon gar nicht die Kommunikation der so genannten Kommunikationsgesellschaft, die man z. B. in Millionen von Internetforen bewun­dern darf, wo sich Menschen eigent­lich gegen­seitig helfen wollen und am Ende nur noch mehr verwirren, weil schon jeder Satzbau zum Desaster gerät.

Nein, es geht um jene Kommunikation als Mittel zum Zweck der reinen, klaren Informationsübertragung. Und genau die pflegt und vermit­telt Erik Spiekermann schon sein ganzes Leben lang, ganz einfach aus einem inneren Antrieb und aus Neugierde, weil das Leben toll oder zumin­dest hoch­in­ter­es­sant war (und ist). Und weil möglichst viele Menschen davon erfahren sollen.

Das ist ja fast schon eine evolu­tio­näre Weiterentwicklung der Spezies Mensch, wenn man, wie eben erwähnt, eigent­lich davon ausgehen muss, dass der Mensch zum Mauern neigt. Und das hört sich viel­leicht naiv an und ist gleich­zeitig als Motivation doch so klar und eindeutig, wie ein gutes Stück Information selbst.

Wahrscheinlich muss es auch Geheimnisse geben. Aber die Vorstellung einer Welt voller freund­li­cher und opti­mis­ti­scher Plaudertaschen finde ich zwar ziem­lich laut und manchmal ein biss­chen anstren­gend aber auch sehr schön.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


10 Kommentare

  1. Jay Rutherford

    Wow, Johannes. You hit the nail on the head. I wasn’t able to make it to the opening, but it looks as though Erik got at least some of the reco­gni­tion he deserves.

  2. Bernhard Pompey

    Herzlichen Dank für diese gross­ar­tigen Beobachtungen. Auch wenn ich leider gestern nicht dabei sein konnte, ein Vergnügen diese treff­liche Laudatio nach­zu­lesen. Danke.

  3. nora

    Ja, da schließe ich mich gerne an. Die absolut tref­fenden Worte gefunden. Großartige Laudatio von Johannes Erler. Und ich freu mich für dich Erik, du hast es verdient, dass sich sprach­lich auch mal jemand für dich ins Zeug legt! Leider konnte ich nicht dabei sein bei der Eröffnung, aber im Mai mach ich eine Stippvisite in Berlin, da werde ich dich „museal“ besuchen …

  4. CB

    ja, danke für den Wortlaut von Johannes’ Laudatio für einen Kommunikationsdesigner im wahrsten Sinne. Eriks Werk ist wirk­lich beein­dru­ckend und ich fürchte, ich kenne nur ein zehntel, wenn überhaupt.

  5. Richard

    bei soviel bla bla verwelken einem die ohren

  6. Johannes Erler

    lieber richard, danke für deinen beitrag. das musste nämlich wirk­lich mal gesagt werden!

  7. Hans Schumacher

    Bin selten so oft Hänschen genannt worden (verdient: die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche – F. W. Bernstein) aber es war jede Minute mit Übervater Erik wert. Die ultra­kom­pakte und infor­ma­tive Ausstellung sei jedem empfohlen, der an Prosa und (dem oftmals stei­nigen Weg zum) Corporate Design, Typografie sowieso inter­es­siert ist, siehe z. B. die Kopie des Briefes an den Auftraggeber oder Auftraggeber in spe BVG, der empfiehlt ein »avanti dilet­tanti« Schild über dem Haupteingang anzu­bringen. Sowas sucht man vergeb­lich im Handbuch, aller­dings wär ein parental advi­sory Aufkleber ‘don’t try this at home, kids’ ange­bracht – werd bestimmt noch mal vorbei­gehen, um mir u. a. das noch mal durch­zu­lesen. Besten Gruss.

  8. R::bert

    @ Richard
    Ist ja klar. War doch auch zum Lesen gedacht. ; )

  9. Helmut Ness

    Lieber Erik, schön, dass Du die Designszene mit Deiner unend­li­chen Energie, Authenzität und klaren Kommunikation prägst und moti­vierst! Vielen Dank Johannes, dass Du diese Leistung in so tref­fende Worte und Sätze geformt hast!

Kommentarfunktion ist deaktiviert.

<em>kursiv</em>   <strong>fett</strong>   <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a>   <img src="http://bildadresse.jpg">