Hans Reichel 1949 – 2011 [Update]

[Update: Lesen Sie auch den ausführ­li­chen Nachruf von Yves Peters im Fontfeed (engl)]

Der Wuppertaler Musiker und Designer Hans Reichel ist am vergan­genen Dienstag plötz­lich und uner­wartet in seinem Atelier verstorben. Typografen kennen ihn als Schöpfer der welt­weit erfolg­rei­chen Schriftfamilien FF Dax und Barmeno, sowie von FF Daxline, FF Sari, FF Schmalhans und FF Routes. Er war Sprecher auf den TYPO-Konferenzen 2007 (Music) und 2004 (Schrift). Reichel erhielt 1998 den Kunstpreis der Stadtsparkasse Wuppertal.

Hans Reichel erfreute das TYPO-Publikum mit wunder­baren Anekdoten, deren Wahrheitsgehalt oft im Unklaren blieb. Eine seiner Geschichten handelt von einer Freundin namens Sari, einer Japanerin, die ihm dabei half, sein Daxophon (siehe unten) im japa­ni­schen Fernsehen zu präsen­tieren. Die Beziehung schei­terte, so Reichel, als er aus Dankbarkeit eine Schrift nach ihr benannte. »Das fand sie wohl nicht so gut: Sari mager, halb­fett, fett.« Plötzlich scheint ein Schaf aus dem Dunkel der Bühne zu blöken. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung war klar: Reichels Handy klin­gelte. Er ging ran, hörte sich die Begrüßung an und antwor­tete knapp: »Ich ruf’ dich gleich zurück.« Gelächter im Saal … wie so oft während seiner Vorträge.

Reichels künst­le­ri­sche Karriere begann als Musiker und Instrumentenbauer. Anfang der sieb­ziger Jahre erschienen seine ersten Soloaufnahmen für Gitarre, wobei er schon damals unkon­ven­tio­nelle, noch nicht gehörte Spieltechniken prak­ti­zierte. Durch sein Talent auf dem Gebiet der Klangforschung, gepaart mit seiner musi­ka­li­schen Experimentierfreude, veröf­fent­lichte Reichel immer wieder über­ra­schende Tonaufnahmen. Die Konstruktion und Funktionsweise seiner Instrumente wurden in ameri­ka­ni­schen, japa­ni­schen und euro­päi­schen Fachzeitschriften ausführ­lich gewürdigt.

Anfang der 1980er Jahre erfand Reichel ein völlig neues Streichinstrument, das Daxophon, das er regel­mäßig spielte und für das er eigens Musikstücke kompo­nierte, die auf CD erschienen. Das Instrument besteht aus einem kleinen Holzblock, an dem sich hölzerne Zungen befes­tigen lassen, deren Bauart die Klangfarbe und Tonhöhe bestimmen; gespielt wird das Daxophon mit einem Geigenbogen, wobei laut­ma­le­ri­sche Gesänge entstehen. Für das Kronos-Quartet schrieb Reichel das Daxophon-Stück »Namakemono«, das er erst­mals 1997 mit den vier Musikern aufführte. Konzert-Tourneen führten Reichel in über 40 Länder in Nordamerika, Europa und Südostasien. In Japan ließ er sich für längere Zeit nieder.

Weblinks: Hans Reichels Website www​.daxo​.de, Video seines TYPO-Auftritts am 14. Mai 2004, das Spiegel-Online-Interview mit Hans Reichel, sein Daxophon-Album Lower Lurum auf iTunes und sein letztes Album Self Made (gemeinsam mit Ganesh Anandan) auf iTunes.

Foto: Marc Eckardt


16 Kommentare

  1. sharif

    Oh, das ist traurig. 

    Vor allen Dingen der Musiker Hans Reichel war mir ein Begriff. Ich fand die Mischung impro­vi­sierte Musik und Typografie immer sehr span­nend. Absolute Freiheit und strengste Reglementierung. Es muss ein erfülltes künst­le­ri­sches Leben gewesen sein.
    Naja, wer weiß.

  2. Michael

    Das ist traurig. Hans Reichel war einer der ganz großen!

  3. Da Stefan

    Oh, traurig… Kannte ihn selbst nicht, aber seine Dax sehr wohl. Sie hat die Schriftenlandschaft in Deutschland in den letzten Jahren geprägt wie wenige andere. Kaum ein Gebiet, auf dem die Dax nicht zum Einsatz kam. Ich selbst habe sie auch etliche Male einge­setzt, da sie einfach etliche tolle Glyphen hat, die jedem Schriftzug etwas Besonderes geben. Eine tolle Arbeit!

  4. Andreas Frohloff

    Ja, das ist wirk­lich traurig! Hans Reichel hatte viele Talente, sein Leben war sehr facet­ten­reich, wie der Artikel zeigt. Ich füge gern noch hinzu, dass er gerade auch im Type Design sehr präzise und und bis ins kleinste Detail genau, arbei­tete. Die Zusammenarbeit mit ihm war für uns bei FSI, immer eine wunder­bare Herausforderung und Bereicherung. Wir werden ihn vermissen!

  5. Christian Büning

    ich kannte Hans Reichel nicht persön­lich, aber Portugal wäre ohne die Dax unbe­schriftet geblieben, wie mir scheint. Wunderbarer Nachruf, vielen Dank.

  6. Udo Leist

    Den sehr unter­halt­samen Vortrag auf der Typo 2007 habe ich noch gut in Erinnerung, die Dax vor kurzem noch für ein Projekt einge­setzt und die CD im Regal. Er war eine inter­es­santer Gestalter, den ich gerne noch einmal live erlebt hätte.

  7. Dorothea Schwabe

    Ich kenne ihn aus dem Kongo – unser aller Stammkneipe, die etwas mit Kunst und Design in Wuppertal zu tun hatten, in der er zum Interieur gehörte. Immer war er da, trank Wein, spielte Karten…
    Er war ein echtes Wuppertaler Urgestein, Typograf, Musiker… ein Künstler durch und durch. Die Wuppertaler Kunst- und Kulturszene hat einen groß­ar­tigen Menschen verloren.

  8. Dorothea Schwabe

    Ich muss mich berich­tigen: Hans trank lieber Bier statt Wein
    ….

  9. Detlef D. Signer

    Wirklich sehr traurig. Ein Verlust.

  10. Etienne

    ich lese das erst heute und bin berührt: wirk­lich ein verlust. heim­lich hatte ich gehofft, ihn noch einmal zu erleben. die wenigen male sind mir in klarer erin­ne­rung an einen vor allem in seiner authen­ti­zität beein­dru­ckenden menschen.

  11. Susanne Zippel

    Was für ein verlust­rei­ches Jahr …

    Hans wird fehlen — den Schrift- und Musikkennern, vor allem aber den Menschen um ihn herum !

    @ Sharif: Die aufwän­dige Arbeit, die Dax zur OpenType auszu­bauen, hat ihn ausge­zehrt, wie er sagte. Zuerst blieb er immer Musiker …

  12. Jürgen Hoge

    tschö hans,

    auch deine konzerte in whoo­o­pataal werden uns fehlen ….

  13. Roland Stieger

    2004 hatte ich ihn an der Typo Berlin gesehen – und seither habe ich grossen Respekt für seine Schriften, das war eine eindrück­liche Präsentation. Getoppt hat er es, als er dann noch auf dem Daxophon gespielt hat. Eine eigen­stän­dige charak­te­ris­ti­sche Person, die fehlen wird.

  14. Ich an euch!

    Um solche Menschen ist es wirk­lich schade. Mein herz­li­ches Beileid an alle, die ihn betrauern!

  15. luckydalton

    ich kannte hans nur als musiker, bis ich von einem freund erfahren habe, daß er auch fonts entwi­ckelt hat. zu meiner studen­ten­zeit hatte ich eimal die gele­gen­heit, ihn näher im rahmen eines inter­views (jazz­thetik) in seiner wohnung in wuppertal kennen zu lernen. live habe ich ihn in diesen jahren mehr­fach erlebt.
    nur durch zufall habe ich heute erfahren, daß er bereits ende 2011 verstorben ist. es macht mich wirk­lich traurig, daß sein tod (wie eigent­lich auch sein leben) in der öffent­lich­keit nicht wahr­ge­nommen wurde. aber es gibt über die ganze welt verstreut gute menschen, die hans´ musik lieben und ihn als phan­ta­sie­vollen künstler kannten.
    mit eintritt in das berufs­leben hat sich leider ein großer abstand zur subkul­tur­szene wupper­tals (und anderer orte) einge­stellt – mit dem ergebnis, kaum noch konzerte mit all diesen wunder­baren musi­kern erlebt zu haben. zum glück habe ich in den 80ern einen haufen toller platten von hans gekauft, zwei davon von ihm signiert.
    ich habe ihn als einen wunder­baren musiker und menschen in erin­ne­rung, und durch seine musik wird er immer lebendig bleiben.
    hoffent­lich findet er an dem ort, wo immer er nun ist, auch weiterhin gele­gen­heit, selt­same holz­teile in wunder­schöne dinge zu verwandeln.

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