Fünf Fragen an Jens Kutilek, FF Font-Techniker

Vermutlich ist Azuro die erste Schriftfamilie, deren Bildschirmverhalten bereits in der Entwurfsphase unter Windows, Mac-OS und Apple iOS uner­müd­lich getestet wurde, Rückwirkung auf den Designprozess inbe­griffen. Daher ist Azuro am Bildschirm und auf Papier in hohem Maße leser­lich (zum Beweis: Azuro als Webfont für diesen Blog oben auswählen). 2011 bei FontShop erschienen, wurde Azuro von Georg Seifert entworfen und von Jens Kutilek gemastert.

Jens_Kutilek-FontShop

Neben seiner Arbeit an vielen FontFonts hat Jens auch dafür gesorgt, daß die Webfonts der Süddeutschen Zeitung am Bildschirm gut aussehen, ebenso wie der Schriftschnitt der Real Text, der Erik Spiekermanns Buch „Hallo, ich bin Erik“ beiliegt

Kommenden Freitag (14. November) spricht Jens  auf dem TYPO Day München darüber, wie sich sorg­sames Mastering auf die Qualität einer Schrift auswirkt. Jens Kutilek studierte Kommunikationsdesign in Braunschweig, grün­dete nach dem Studium mit zwei Freunden das Webdesign-Büro Netzallee und arbeitet seit 2007 als Fonttechniker bei FontShop.

1. Was hat Dich bewogen, Dein Augenmerk auf die tech­ni­sche Seite des Schriftenentwurfs zu legen?

Meine Interessen haben sich schon immer zwischen den tech­ni­schen und künst­le­ri­schen Feldern bewegt. Als Jugendlicher habe ich am C64 program­miert und gepi­xelt, und in der Schule meine Lehrer zum Verzweifeln gebracht, weil ich die Schulstunden damit verbracht habe, in mein Notizbuch zu zeichnen. Ich habe dann, weil ich an der Kunsthochschule nicht genommen wurde, ein Ingenieursstudium begonnen, was eigent­lich von vorn­herein zum Scheitern verur­teilt war. In den vier Semestern begann ich, mich für Serveradministration und Webdesign zu inter­es­sieren, und nicht zuletzt haben die Vorlesungsskripte für Mathematik mit all ihren Formeln mein Interesse für Typografie am Computer entfacht. Die waren offen­sicht­lich nicht mit Word gesetzt, sondern es gab (für mich) geheime, viel mäch­ti­gere Textsatzsysteme.

FF-Comic-Jens

Als Alternative zur allge­gen­wär­tigen Comic Sans veröf­fent­lichte Jens 2008 für den Einsatz in Kindergärten, Vereinen, im Büro und zu Hause  – Comic Jens. Inzwischen erfreut der Creative-Commons Font sich großer Beliebtheit und erhält im kommenden Jahr einen kommer­zi­ellen Nachfolger.

Beim zweiten Versuch bin ich dann an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig gelandet und habe dort Kommunikationsdesign studiert. Dort enteckte ich Typedesign – meine Professoren befassten sich jedoch mehr mit der Anwendung von Schrift. Diese Richtung habe ich nicht konse­quent weiter­ver­folgt und mich auf Webdesign konzen­triert. Die Erkenntnis, daß sich meine Interessen in der Schrifttechnik fast ideal vereinen lassen, entstand nach dem Studium, und ich hatte das Glück, dies zu meinem Hauptberuf machen zu können.

2. Berlin gilt zur Zeit als Hochburg für Typedesigner. Wo findet man die typo­gra­fi­schen Techniker? Bei GitHub?

Viele span­nende Tools werden aber auch als Auftragsarbeiten für Kunden entwi­ckelt und errei­chen die Öffentlichkeit nicht. Man sieht höchs­tens mal einen Screenshot davon.

Ja, auf GitHub stellen viele aus der neuen Generation der „program­mie­renden Typedesigner“ ihre selbst­pro­gram­mierten Tools freund­li­cher­weise der Allgemeinheit zur Verfügung.

Persönlich treffen kann man viele der im norma­ler­weise im Verborgenen arbei­tenden Fonttechniker aus aller Welt auf Konferenzen wie der Robothon in Den Haag, oder der jähr­li­chen ATypI-Konferenz.

3. Welche tech­ni­schen Anforderungen sollte eine moderne Schriftenfamilie erfüllen?

Zeitgemäße Font-Familien sollten in allen Umgebungen gut funk­tio­nieren, sei es als OpenType-, als Office-, Web- oder App-Font. Das hört sich selbst­ver­ständ­lich an, ist aber nicht ganz einfach zu errei­chen. Bei FontShop haben wir es gut, da wir durch die Automatisierung und unsere eigenen, ständig weiter­ent­wi­ckelten Produktionsstandards viele Klippen ganz auto­ma­tisch umschiffen.

Als „Einzelkämpfer“ ist man da im Nachteil, weil man nie so viele Testsysteme, sowohl hard­ware- als auch soft­ware­seitig, auf aktu­ellem und auch älterem Stand, vorhalten kann, und die Fontproduktion mit viel mehr Handarbeit verbunden ist.

FF-Hertz

Schmale Zeichen und hervor­ra­gende Lesbarkeit, vor allem am Bildschirm – die heraus­ste­chenden Eigenschaften der FF Hertz Textfamilie von Jens Kutilek, die sich zur Zeit im finalen Mastering befindet und Anfang 2015 als FontFont erscheint 

Immer noch wichtig ist auch die Bildschirmoptimierung, trotz ständig stei­gender Bildschirmauflösungen. Da ist die Handarbeit der Automatik immer noch über­legen, und wird es auch in den kommenden Jahren sein.

4. Deine Font-Technik-Tool Top 5?

Mein Schweizer Messer sind sicher­lich die Python-FontTools, mit denen man prak­tisch jedes Bit einer Fontdatei einzeln modi­fi­zieren kann. AnchorOverlayTool-RobofontUnd wenn es eine Funktion nicht gibt, kann man sie sich selbst dazu­pro­gram­mieren. Python hat sich als Programmiersprache der Wahl für alles, was mit Fonts zu tun hat, etabliert.

Ein ähnli­ches Tool, ohne Erweiterbarkeit, dafür mit grafi­scher Oberfläche, ist DTL OTMaster.

Glyphs und RoboFont sind zwei moderne Fonteditoren mit unter­schied­li­chem Konzept. Glyphs nimmt einem viel Arbeit und tech­ni­sche Entscheidungen ab und läßt einen so schnell zum Ziel kommen, RoboFont ist mehr eine Plattform, auf der man sich ein Schriftentwurfs- und -produk­ti­ons­system nach eigenen Vorstellungen detail­liert selbst bauen kann.

ToGA-Animation

Für die Bildschirmoptimierung von Fonts benutze ich immer noch FontLab Studio. Es gibt zwar Programme, die in dem Bereich mehr können, aber das beste Tool ist immer das, was man beherrscht.

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Abb. links: AnchorOverlayTool ist ein Tool, das Jens für RoboFont selbst program­miert hatt, um die Positionen der Akzente als Vorschau sehen zu können. Glyphs enthält diese funk­tion bereits, in RoboFont muss man sie selber program­mieren. Abb. rechts: ToGA (Topographic Glyph Analyzer) ist eines der so genannten „geheimen“ Tools, das charak­te­ris­ti­sche Punkte in nicht inter­po­lier­baren Glyphen iden­ti­fi­zieren kann. Der links ange­klickte gelbe Punkt wird vom Programm im rechten Buchstaben gesucht und dort mit einem blauen Kreis markiert.

5. Welche Deiner gemas­terten Schriften ist Dein persön­li­cher Liebling?

Technisch am span­nendsten sind Schriften, die an die Grenzen der Fonteditoren und Tools gehen, wie etwa Schriften mit mehreren Schreibsystemen. Die Superfamilie FF Amman von Yanone vereint zum Beispiel latei­ni­sche und arabi­sche Buchstaben in sich.

Dort ist man mit FontLab schnell am Ende, und muß sich andere Tools suchen, mit denen man arbeiten kann, oder, wenn es nichts passendes gibt, selbst anfangen zu program­mieren. Die Tools im Dialog mit den zu bear­bei­tenden Schriften weiter­zu­ent­wi­ckeln bringt das tech­ni­sche Know-How in unserem Type Department am meisten voran, glaube ich.

Bei den Webfonts für die Süddeutsche Zeitung, die ich für den Bildschirm opti­miert habe, bin ich stolz auf einen kleinen Hinting-„Trick“: Nachdem die neuen Fonts bei Lesern mit älteren Windowssystemen nicht gut ankamen, habe ich sie so gehintet, daß sie auf den alten Systemen fast nicht von der vorher benutzten Georgia zu unter­scheiden sind.

Auf neuen Systemen sieht die Schrift dagegen deut­lich unter­schied­lich aus, was ja auch der Sinn einer eigenen Hausschrift ist.

Das Mastern der FF Quixo von Frank Grießhammer hat mir großen Spaß gemacht. Vielleicht liegt es nur daran, daß ich Frank persön­lich kenne, aber ich habe in vielen Details der Buchstabenzeichnungen Franks Persönlichkeit und Humor erkannt. Außerdem hat er sehr gute und voll­stän­dige Arbeit gelie­fert, so daß ich nicht mehr viel zu tun hatte und nur noch ein wenig tech­ni­schen Feinschliff anbringen mußte …

Weil Jens nicht nur an den Schriften anderer Leute arbeiten wollte, hat er über die letzten Jahre konti­nu­ier­lich an einer eigenen Handschrift- und einer Textschriftfamilie gear­beitet. Die Familien FF Comic Jens und FF Hertz werden 2015 in der FontFont-Bibliothek erscheinen.


13 Kommentare

  1. Curd

    Also ich würde mir die Schlagzeile (Headline) und even­tu­elle Unterschlagzeilen (Subheadline) in der FF Suhmo, aber den Haupttext (Body-Copy) in der Sansa wünschen. – Ob die auch aus Ihrer Sicht (der profes­sio­nellen!) zusammenpassen?

    Ich Handwerkerdepp finde jeden­falls die Suhmo charis­ma­tisch und die Sansa einfach zu lesen, lesbar, leser­lich, lese­freund­lich, wie Sie es auch immer bezeichnen würden. Kann man das nicht kombi­nierbar machen, sodass man Head und Copy extra einstellen kann? Hui, das wär’ mal was!

    • Der Schnellversuch

      hat ergeben: Mir gefällt die Kombination gut, aber die FF Suhmo müsste etwas fetter bzw. größer ausfallen. Oder noch größer, dafür dünner, hehe. Sieht beides gut aus; scheint nur eine Frage des Geschmackes zu sein, an dem es Fremdlingen wie mir aller­dings fehlen könnte. Aber: Ich weiß es nicht.

  2. Der Artikel ist ein – Bingo!

    … aber das beste Tool ist immer das, was man beherrscht …

    Ja, für einen selbst!

    Trotzdem: Guter Artikel, hat mir eine Entscheidungshilfe geboten*, es doch mal zu versu­chen einen Font zu bauen. Konnte mich bisher nicht zw. den Programmen entscheiden. Bitte mehr davon, falls Sie Zeit dazu haben!

    * … hat mir dabei geholfen, mich zu entscheiden …

    • Otto von Linnen

      Deshalb sollte die Antwort auf die Frage, was denn das Beste sei, egal worum es sich handelt, auch immer davon ausge­hend gestellt werden, was das Beste für jemanden ist, der sich noch nie mit dem bespro­chenen Artikel befasst hat. Dabei sollte nicht mit einfach zu bedie­nenden Produkten als Empfehlung begonnen werden, nur um Anfangsschwierigkeiten zu umgehen, weil die anderen Schwierigkeiten auch später noch auftau­chen werden, aber das Geld schon fehl­in­ves­tiert worden ist, sodass Käufer bei vielen Produkten später keinen Umstieg mehr in Erwägung ziehen.

      Die Probleme dabei sind viel­fach: Der Käufer ist bezüg­lich der Qualität ins Hintertreffen geraten; entschließt er sich, nicht auf das bessere Äqui­va­lent umzu­steigen, ist auch der Hersteller dieses Angebotes geschä­digt; steigt er um, haben zwar ein schlech­terer wie der bessere Hersteller ein Produkt abge­setzt, was aber zum finan­zi­ellen Nachteil des Käufers wird; ist der Käufer ein Durchschnittsverdiener, kann er sich andere wich­tige Produkte nicht leisten, was wiederum Hersteller wie diesen Kunden schä­digt; weiters kann sich der Betroffene – kommt stark auf Produkt und Häufigkeit der Fehlberatung an – womög­lich Nachteile einhan­deln, die erst seine Pension betreffen etc. pp. Tja, so weit sollte eigent­lich jeder denken. Dann müsste keiner den anderen, nur um die eigenen Interessen durch­zu­setzen, schä­digen. Ein gutes Beispiel dafür ist einer meiner Bekannten, der einen WIFI-Kurs gemacht hat, und der Unterrichtende dort zu mittel­prei­sigen Windowscomputern und besten­falls zu den güns­ti­geren iMacs geraten hat, nur weil er gesehen hat, dass, wenn er die Wahrheit sagen würde, einige aufgrund der bevor­ste­henden Kosten auch auf den über­teu­erten Kurs und nicht nur auf die Gerätschaft verzichten würden, weil sie von vorn­herein die wahren Kosten wüssten, was bezogen auf die Ausbildung mit dem Programm After Effekts schon bei der Grafikkarte, um ordent­lich arbeiten zu können, wegen des Wissens um den Preis zu Ausstiegen geführt hätte, was wiederum des Lehrers Einkommen geschmä­lert hätte. Leider hat das Einkommen einiger Ausbilder dem finan­zi­ellen Schaden x-mal mehrerer Auszubildenden hint­an­zu­stehen, weil, wie erwähnt, dieser Schaden volks­wirt­schaft­lich schwerer wiegt und genau die Ärmeren trifft, die sich durch den Kurs für später eine Besserstellung erwartet haben und erwarten. In solchen Fällen hat gleich arti­ku­liert zu werden, dass allein die Grafikkarte bei circa 1800 € beginnt und dem Grundgerät zuge­rechnet werden muss. Und so weiter und so fort. Alles andere sollte zu Beratungsstrafen und Berufsausschluss führen – beson­ders in Zeiten wie diesen! Schließlich gilt es Völker zu schützen und nicht einzelne Bereiche der Wirtschaft. Fazit: Eine Volkswirtschaft funk­tio­niert nicht wie eine Betriebswirtschaft. Betriebe müssen sterben dürfen, bieten sie nicht dementspre­chende Qualität, Völker hingegen kann man nicht so einfach vom Markt verdrängen, weswegen Deutschland derzeit immer wieder bereit ist, solche Transferleistungen zu zahlen, damit es nicht von den nied­rigen Preisen der besseren Produkte (beson­ders der Großindustrieprodukte) runter muss, weil die Löhne rauf­ge­setzt werden, was auch hier die in Arbeit gehal­tenen stärker in die Arbeitslosigkeit triebe. So wird kurz- bis mittel­fristig die Scheinwirtschaft aufrecht erhalten, die derzeit besser läuft als je zuvor. Dieses Handeln ist aber lang­fristig auch für Deutschland ein Problem. Aber lassen wir das, weil das ein ganz anderes Thema ist.

      Freundlich
      Ich

  3. Christoph

    Vielen Dank für diesen Artikel!
    Gerne mehr davon.
    Es ist immer span­nend über die Entstehung von Schriften und ihrer tech­ni­schen Umsetzung zu erfahren. Aber was ist denn mit „geheime“ Tools gemeint?

  4. Bongratz

    Mich würd’ beson­ders bei diesem teuren Programm inter­es­sieren, weshalb die Windowsvariante mehr Programmteile enthält als die Apple-Version. Kann mich dies­be­züg­lich jemand aufklären? Vielen Dank!

    Windows: CompareMaster, FontMaster, OTMaster
    Apple: CompareMaster & OTMaster

    Und der Fontmaster fehlt mit all seinen Komponenten. Aber wie wichtig sind die? Braucht man die am Apple aus irgend­wel­chen Gründen nicht oder ist die -Version einfach unvollständig?

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