Frank-Walter Steinmeier tappt in Crowdsourcing-Falle
Dass ich rein gar nichts von Crowdsourcing halte, ist weitgehend bekannt (siehe auch: Die Utopie Design-Crowdsourcing ist tot). Viele Versuche endeten im Mittelmaß, andere scheiterten komplett, zum Beispiel das Redesign des Spreeblick-Logos und der Selbstversuch von shopbetreiber.de (Fontblog berichtete hier und hier).
Leider hat sich diese Erkenntnis nicht bis zur SPD bzw. ihrer Online-Agentur A&B Face2Net herumgesprochen. Diese suchte nämlich seit Februar über die Crowdsourcing-Plattform Jovoto ein Logo für den anstehenden Bundestags-Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier: »2009 ist Superwahljahr in Deutschland. Die SPD startet einen Contest für ihren Kanzlerkandidaten. Für Frank-Walter Steinmeier. Die Aufgabe ist es, ein Signet für den SPD-Kanzlerkandidaten zu entwerfen.«
Am 24. März meldete Jovoto Vollzug: Die Community hat entschieden, der Frank-Walter-Steinmeier-Contest ist beendet. Knapp 350 Beiträge in über 1100 Versionen wurden von der Jovoto-Community eingereicht. Über mehrere Wochen wurden die Beitrage von den Mitgliedern mit 2432 Kommentaren diskutiert und schließlich mit 10.000 Bewertungen die Gewinner des Wettbewerbes gewählt. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen entschied sich die Community für das oben abgebildete »Auf. Stufe für Stufe.« vom Jovoto-Mitglied Berkeley. Weitere Crowdsourcing-Ergüsse auf der dieser Seite der Remscheider Jusos.
Wenn es um Qualität geht, ist Masse das Gegenteil von Klasse. Ich prophezeie, dass Steinmeier das Runen-Logo garantiert nicht verwenden wird. Kommentare im Jovoto-Blog und beim Designtagebuch sprechen eine deutliche Sprache. Fazit: 5000 € Preisgeld in den Sand gesetzt, aber wenigstens 350 Menschen beschäftigt.
39 Kommentare
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Lennart
Hallo Jürgen, ich finde, dass du recht hast. Man könnte daraus denken, dass Steinmeier nicht das Geld/Lust etc. hat, ausgebildete Designer anzuheuern. (Du solltest nochmal in den Titel gucken: „Crown)
drossmedia.com
Sieht wirklich ziemlich Nazi-mäßig aus. Man könnte es retten, wenn man es mit realen Geometrien (Fotos) kombiniert, aber leider ist Steinmeier kein Architekturbüro.
step21
SSS = Schule Schloss Salem … irgendwie. aber könnte natürlich nur zufall sein … lol
ganzunten
Leider wurde hier schlecht recherchiert denn die Agentur ist nicht daran gebunden, den Gewinnerentwurf des Contests zu nehmen. Sie können jeden anderen Entwurf für 3000 € erwerben.
Der Contest diente also nur der Motivation.
Malte
Ich hab die Design-Plattformen auch schon länger im Blick. Wohin geht die Reise mit den Designern, die dort antreten? Für mich ist es der völlige Ausverkauf … wobei auf diesen Plattformen ein Logo eher für 100-300 Eur den Besitzer wechselt.
Was MyHammer für die Handwerker … das gibt es jetzt in Deutschland auch schon in mehrfacher Ausführung für Hobbydesigner … schade, dass soviele da mitmachen.
Ohne mich, denn das ist nicht meine Definition wie ich Design ausleben möchte.
Nana
meine Güte.
Wer sich dabei nichts denkt ist visueller Analphabet.
Unvorstellbar was passieren würde wenn das wirklich als offizielles Logo durchgeht …
Jürgen
Der Motivation der Agentur? Dann verstehe ich die ganze Aktion und gratuliere der Agentur zu diesem Coup.
ganzunten
Nein. Der Teilnehmer.
Oliver Schuh
Hallo in die Runde,
zeigt dies nicht ganz deutlich den Widersinn solcher Contests? Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn schon Agenturen zu solchen Mitteln greifen?
Von der Nutzung dieses „Logos“ kann ich nur dringend abraten.
Gruß vom Elbstrand
Oliver Schuh | agd | die gebrauchsgrafiker
Bert Vanderveen
Come on guys… It‘s perfectly adequate for a politician. It‘s what they do: stepping up to a problem, rising up to the occasion, climbing the steps of power, going shoulder by shoulder — there is so much fitting symbolism in these: the designer is a genius! Really!
Vroni
Ich lieeeebe solche Contests. Weil sie endlich einer breiteren Öffentlichkeit zeigen, was das für ein Schmarrn ist. Bitte weiter so liebe jovotos, gestaltenlassen.de und so weiter. Ich mag missglückte Augenwischereyen sehr, je schlimmer, je lieber.
Liz
Unfassbar wie Vroni immer alles auf den Punkt bringt, wie machst Du das?
HCL
#7 (jürgen) LOL!
Vroni
Liz, ich mach‘ gar nix, es macht was mit mir, wenn ich am Rechner SO einen Missgriff sehe. Vollkommener Autopilot dann, weiß auch nicht…
sharif
Mal abgesehen vom Streitpunkt „Runen“:
_sind_jetzt_modern. Die | sind | so | späte | 90er.
;-)
Michael Wassenberg
@ step 21:
Ja, meinetwegen, aber nicht nur! Wikipedia hält noch einige Alternativen parat: Seuchenhafter Spätabort der Schweine, Sportseeschifferschein, Super Steady Shot, Stadt-Sparkasse Solingen, Skinheads Sächsische Schweiz, …
Sascha
Dialektisch betrachtet könnte man sagen: wo ist denn nun das Problem? Sowohl Prozess als auch Ergebnis passen doch eigentlich ganz gut zur Steinmeier-und-Konsorten-SPD und kommunizieren ganz vorzüglich: Unprofessionalität. Ob das von den Verantwortlichen beabsichtigt war, ist die andere Frage, aber es ist schon beinahe anrührend ehrlich.
Jemand der meint, statt intelligent konzipierter Kommunikation bloß ein hübsches billiges Logo zu benötigen, ist beim Crowdsourcing auch eigentlich ganz gut aufgehoben. Als Gestalter kann man beinahe froh sein, wenn einem so dieser Typus Aufttraggeber mitsamt der dazugehörigen Scherereien vom Hals bleibt. :-)
Vroni
Sehr heftiges Kopfnicken mit Folge-Schleudertrauma.
(Wollte – durch aktuelle Logoanfragen der seltsamen Art genervt – auch schon fast auf meine Website schreiben, entweder »Betteln und hausieren verboten!« Oder: »Wegen Verschluckungsgefahr gemäßigt intellektueller Inhalte für Kleinunternehmer unter 3 Jahren verboten.« Das klingt zwar furchtbar arrogant spießig und kindisch, aber ich weiß mir langsam nicht mehr zu helfen, wie ich es anstellen soll, dass diese Klientel und ich sich nicht gegenseitig die Zeit stehlen.)
Anderer Jürgen
Angst und Bange sollte uns Gestaltern allerdings werden das bei 10.000 (!) Stimmen so ein Ergebnis rauskommt.
uiuiui… Das sind doch genau die Leute für die wir Kommunikation gestalten wollen und sollen. es zeigt sich aber das die wohl kaum die Zeichen, die Ihnen geboten werden adäquat entschlüsseln können. Müssen wir uns nun an diese Rezeptionsfähigkeit anpassen oder weiterhin versuchen diese zu schulen und auszubauen? Und wenn zweiteres, wie?
Vroni
Dass so viele das da gewählt haben, ist in der Tat seltsam. Wenn die, angeben, Kommunikation zu können, die Bedeutung der Zeichen nicht mehr wissen, ob da noch nachgeschobene Semiotik-Nachhilfe hilft? Oder haben wir da das Phänomen des strukturellen Analphabetismus vor uns? Gelten nur noch schöne Schättelchen und nette Typo?
Ich habe auch keine Lösung, denn dieses Phänomen geht quer durch alles, betrifft nicht nur Jungdesigner. Ein Coach/Trainer wollte mal ein Logo, er hätte auch ganz konkrete Vorstellungen, ein bestimmter Buchstabe solle wie bei der Swastika angeordnet sein (Immerhin kannte er den Begriff). Als ich das mal schnell hinmalte, war MIR klar, dass das gewünschte Logo so gar nicht geht. Dem Trainer noch lange nicht. (Und der war kein Junghupf.)
sukisouk
Ich seh da nicht so viel Nazisymbolik drin, aber ich bin aus Ö und da werden uns diese Reflexe vllt weniger ausführlich eingeimpft?
Ich finds jedenfalls nicht so schlimm wie hier viele tun. Von „professionellen Agenturen“ gibts ja auch immer wieder Bullshit zu sehen.
Insbesonders im Feld der politischen Propaganda :)
Anderer Jürgen
@sukisouk: „nicht so viel“ ist aber schon bei weitem zuviel für den Wahlkampf einer sog. Volkspartei. Man muss da selbstverständlich keine SS Runen drin erkennen, man kann aber und viele tun es. Das reicht in diesem Fall schon aus das Logo in die Schublade zu verweisen – selbst wenn man es selbst beim besten Willen nicht so interpretieren mag oder kann.
Felix
Rein ästhetisch gesehen, finde ich es nicht so schlimm wie scheinbar (fast) alle Anderen. Gut die Symbolik ist unglücklich, aber es ist um Längen besser als die meisten anderen Politikerlogos.
Abgesehen davon, würde ich für Politiker prinzipiell nicht arbeiten. Es sei denn wir bekommen mal einen vom Schlag eines Obama… Sein Logo ist dagegen genial!
Gérhard
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemals ernsthaft daran gedacht wurde das Crowd-Ergebnis zu verwenden. Die Motivation ist doch eher in der PR-Wirkung zu suchen: einfach mal da mitmachen, worüber man gerade so spricht. Vor ein/zwei Jahren wär´s vermutlich noch SecondLife gewesen.
enchanté Gérhard
Vroni
Nu, die PR-Wirkung ist doch granatenmäßig.
(Übersetzt: Auf eine solche Bumerang-PR-Wirkung des Mitmachwahns würde ich aber jetzt gerne verzichten, wenn ich die wäre. Das Ding ging doch granatenmäßig nach hinten los, SS, tss.)
ganzunten
@anderer Jürgen: Es handelt sich doch nur um ein (!) Beispiel des Entwurfes. Bewertet wurde jedoch der gesamte Konzeptentwurf (auch mit anderen Beispielen), zu dem auch die Diskussion mit dem Gestalter gehört.
Leider wird hier zu oft vergessen, dass es nur ein Entwurf ist, und dass die Kritik, die jetzt aufkommt, schon in der Entwurfsdiskussion stattfand, der Gestalter sogar darauf reagieren wollte, es aber wegen der Deadline nicht mehr konnte. In anderen Fällen, hätte man die Deadline einfach ein paar Tage verschoben.
Kilian
Dass sich gerade die SPD an der Zersetzung des Prinzips Lohn-für-Arbeit beteiligt, während sie dieses Modell strikt gegen mögliche Alternativen verteidigt, trägt nicht unbedingt zur Schärfung des Profils der Partei bei.
Ob Modelle wie die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommen eine vernünftige Sache wären, ist eine andere Frage; Aber der Gegensatz von »Communication« und »Behaviour« ist hier schon bemerkenswert.
Und da es auf dieser Basis wohl unmöglich ist ein fundiertes Briefing zu schreiben wird einfach mal trendy crowdgesourced und voilà, das Design marschiert nochmals ziellos in eine ganz andere Richtung (rein formal halte ich den Entwurf für gelungen).
Ach ja, Anfang dieser Woche lautete der Titel einer Nachricht aus dem RSS-Feed der SPD »Gute Arbeit und faire Löhne sichern«.
Henning
Der Denkfehler beim Crowdsourcing ist, dass man glaubt, man bekäme von vielen Leuten ohne fachliche Vorbildung bessere Designentwürfe als von ausgebildeten Designern. Niemand würde denken, dass eine große Zahl von Menschen ohne spezifische Vorbildung bessere Autobahnbrücken bauen könnten, oder sicherere Kernreaktoren. Bei Design scheint es jedoch Menschen zu geben, die dies glauben. Diese Menschen sind als Kunden für Designer unerreichbar, oder unerträglich – da gebe ich Vroni völlig recht. Irgendwie ist das OK, wenn sich diese Kundschaft auf Crowdsourcing-Portalen mit Hobbydesignern amüsiert. Das wäre kein Wort der Erwähnung wert. In diesem speziellen Fall kommt die Würze von der von Kilian treffend herausgearbeiteten Diskrepanz:
Dass sich gerade die SPD an der Zersetzung des Prinzips Lohn-für-Arbeit beteiligt, während sie dieses Modell strikt gegen mögliche Alternativen verteidigt, trägt nicht unbedingt zur Schärfung des Profils der Partei bei.
cordula
Ich finde man sollte nachsichtig sein. Immerhin ist das alles (crowdsourcing) noch so neu, die Leute sind jung und haben sicher ganze Nächte unter Zeitdruck daran gearbeitet.
HD Schellnack
a) die Mentalität und die Mentalität hinter Pitches ist die gleiche. Ob man sich 10 Agenturen auf ein Briefing ansetzt oder 365 Leute wild losdesignen lässt – es ist nur die Dimension anders.
b) Der Text auf der Jusos-Site ist leider großartige Realsatire. (O-Ton: «Das “S�? für Steinmeier und die SPD, die Aufwärtsbewegung die unter Steinmeier die deutsche Wirtschaft erfassen wird, und die Farben schwarz-rot-gold für unseren wieder salongfähigen (sic!) mini-Patriotismus» Sehr mini…. :-D). Allein das ist es irgendwie wert.
c) Die Qualität der eingereichten Arbeiten ist durchaus auf dem Niveau von Sachen, die die meisten Büros auch bei einem 25-1-Wettbewerb abliefern würden, und teilweise besser als das, was auch professionelle Agenturen in Sachen Politik produzieren (EU-Logo Metadesign!) Das schöne an dieser durchschnittlich mittelmäßigen Qualität ist eben, dass man sieht, es kommt nicht auf die graphische Umsetzung an. Es ist ein Irrglaube, dass es bei Design um Grafik geht. Briefing und blindes Losgestalten, ob Crowdsourcing oder Pitch, führt für den Kunden immer, automatisch, unweigerlich zu Beta-Ergebnissen. Ob dann Klaus Müller oder Mario Lombardo, Mike Meiré oder Lieschen Schulze spielt keine Rolle – es liegt in der Versuchsanordnung, dass das Experiment meist enttäuscht. Crowdsourcing ist nur die Mentalität des Pitches hochgerechnet auf Web2.0!
d) Die ganze Sache zeigt,wie beliebig Logodesign ganz generell zu 99% geworden ist. Die meisten Sachen sind nur Anwendung grafischer Drehs – reduziert, 3D, handmade und und und… Style without Content. Was irgendwie doch großartig zu Politik passt, leider.
Vroni
„Es ist ein Irrglaube, dass es bei Design um Grafik geht.“
Style über alles, Aussage/Bedeutung wurschtegal. Ja, so sans.
Genau das gilt es anzugehen. Stimmt 100%ig als der Kern des Problems der ganzen Diskussionen um diese Branche und um Crowdsourcing. Auch Designer erliegen nicht zu knapp dieser Religion der Oberfläche.
Daher ist es müßig, nur Kunden (hier die SPD) oder nur die Plattformbetreiber (die Gärtnerböcke) „missionieren“ zu wollen. Der Feind sitzt doch längst in der eigenen Reihe (ich bin schon lange kein Verteidiger der eigenen Zunft mehr, merkt man das nicht?).
Wann wird endlich Klartext gesprochen?
Die Blogs sind voll, aber ich sehe nur, dass Debatten über Crowdsourcing beiderseits von Eifersucht auf das entweder jeweils „moralisch bessere“ oder „cleverere“ Geschäftsmodell getrieben sind und nicht darüber, was eigentlich wirklich passiert.
Dieser Irrglaube ist das häufigste Problem, das ich mit manchem Kunden habe. Wobei ich feststelle, dass je kleiner (ungebildeter? werfe ich mal arrogant in den Raum) der Kunde, desto mehr Irrglaube. Welcher nicht einmal durch Geduld, freundliche und gutmütige Aufklärung zu beheben ist, sondern erstaunlicherweise auf geharnischten Widerstand trifft. Mit dem erbitterten Vorwurf, mit „unnützen“ inhaltlichen statt Oberflächen-Behandlungen nur künstlich den Preis rauf treiben zu wollen, hatte ich sehr oft zu kämpfen. In 10 % führte das zu Abbruch der Geschäftsbeziehung von meiner Seite aus – es herrscht Vertragsfreiheit, mei – und der Rest war ein Hin- und Hergeziehe, ein immer wieder Päppeln und Anspornen, dass ich vom Gedanken daran bereits erschöpft bin. Daher verdränge ich diese Art unguter „Design-Prozesse“ lieber. Ich mag nicht daran denken, was noch kommt, die Zeiten werden jedenfalls nicht besser. Und mancher liebe Standeskollege nutzt jeden Strohhalm, ins Geschäft zu kommen. Und schon ist man wegen 3 Mark fuffzig draußen, da zu „teuer“ und zu „anstrengend“.
Man kann jetzt hergehen und sagen, ist doch prima, gut für den, der wirklich durchdachtes Design (Semiotik, Inhalt, gute Geschichten/Typografie auf dem Punkt und weiß der Geier) statt hübsche Oberflächengrütze abliefert. Diese andere oberflächlichere Klientel, Kunde mitsamt grafischer Mitbewerber, verdient es, gemeinsam miteinander unterzugehen, denn ihre Arbeit ist hübsch aber schlecht. Unternehmen, die ihr Design auf Oberfläche abstellen, werden schlechtere Chancen auf dem Markt haben, bla, Grafiker, die ihre Haut hübsch und billig verkaufen, werden auch immer nur herumkrebsen, bla.
Aber stimmt diese schöne (da tröstliche) Markttheorie auch? Noch sehe ich das nicht. Ich sehe, dass sich Schrottwerbung und Design-Glump (bairisch für Schrott) ganz gut verkauft und kein Unternehmen deswegen pleite gegangen ist. Man sollte diese Markttheorie überprüfen. Kann sein, dass wenn alle auf der Religion Style sind, dass sich die Markt-Parameter längst verschoben haben.
Ich sage bewusst Religion, da mich das Wort Irrglaube dazu inspiriert hat. Und wer gegen Reilgion ankämpfen will, der tut gut daran zu wissen, dass er Thesen an Kirchtüren nageln muss, dass er exkommuniziert wird und sich auf Kreuzigungen gefasst machen muss. Amen.
HD Schellnack
Du hast Recht – es ist auf jeden Fall nicht wahr, dass sich Qualität durchsetzt. WAS sich durchsetzt, ist das Mittelmaß. Der geringste Nenner, das was nicht erklärt werden muss und schnell, kantenlos wegkonsumiert wird. Das ist in allen Bereichen so, nebenbei. Im (vor?)letzten Spiegel war eine Grafik über das Freizeitverhalten von Jugendlichen. TV, Internet, Games… und dann ganz verloren Sachen wie Bücher lesen oder selbst Musik machen. Und wenn mir da schon flau wurde um eine Generation, die auf Konsumieren programmiert ist, alles kriegen aber nichts geben kann… kam als Kirsche auf die Sahne ein paar Seiten später die Spiegel-Bestseller-Liste. Unter «Belletristik» tauchte kaum ein Buch auf, dass diesen Titel verdient, statt dessen ein Post-Potter-Buch von Rowling, zwei oder dreimal Cornelia Funke und wahrscheinlich so jedes Buch, dass Stephanie Meyer je geschrieben hat. Außerdem mit im Pool: Feuchtgebiete und Mängelexemplare, Büchern von MTV/Viva-Moderatorinnen. DAS ist, was die wenigen Leute kaufen, die noch lesen. Wer glaube, wir Designer haben Probleme, sollte ein offenes Ohr für Verleger haben, die versuchen, Qualität in den Markt zu kriegen.
Das Ding ist aber: in der Grütze, der Flut des Schrotts, entstehen immer neue kleine, feine Verlage (weiss-Books, um nur einen zu nennen), die ihr Ding machen und irgendwie versuchen, davon zu leben.
Das wird auch im Design so kommen. Die Gaußsche Glockenkurve. Wo man selbst immer nur hoffen kann, im ersten Drittel zu stecken und nicht völlig Mittelmaß zu sein :-D.
Dennoch: Design sells. Im guten wie im Schlechten. Nenn einen Tee «Buddhas Garten», mach eine schlichte New-Age-Flair-Sache drauf und Omis langweiliger Regalhüter von Kräutertee geht auf einmal weg wie warme Socken. Ob schön oder nicht, das ist ein Designprozess. Designim weitesten Sinne, als Prozess einer Wellness-Kuschelkultur (merci Prof. Friedrich), oder als Element einer Edel-Werschöpfungskette. Das Less-is-more-is-more-Ding, das wir halt bei Vitra, Bulthaup und anderen designaffinen Marken haben, wo du gerade für die Kunst des Weglassens zahlst und dich qua Design als stilbewusster Konsument fühlen darfst.
EINE Zukunft von Design wird sicher sein, dass wir kollektiv die Eier haben müssen, Gatekeeper zu sein, Torhüter des guten Geschmacks. Nicht des Geschmacks, der subjektiv ist, der Blümchen-Geschmack, sondern eines möglichst herbeileitbaren Geschmacks, der rationale und emotionale Puzzlestücke zusammensetzt. Die Kunst des Designs ist nach wie vor, emphatisch und begründet NEIN zu sagen.
Wenn du dir einen Vitra-Stuhl anschaust und einen von Möbelhaus XYZ, weißt du, was ich meine. Und dieses Nein zum Sinnlosen ist ein Verkaufsfaktor, benso wie Design als Symbiose von Kunst un Komminkation in anderen Feldern, ebenso wie Design als das besser durchdachte in wieder anderen Feldern – nicht für alle Produkte, aber für eine Menge. Wie immer gilt, was Tibor Kalman sagte: Finde die 10% Entrepreneure, mit denen du dein Ding machen kannst und liebe sie.
Den auch für Design gilt bis zu einem gewissen Grade natürlich immer wie für alles eben Sturgeons Gesetz ;-D.
Vroni
Ich frag mich nur, warum andere Nationen selbst im Mainstream etwas mehr Gefühl dafür entwickeln, was Blümsche ist und was nicht.
Wir waren mal das Volk der Denker, sind bekannt für unser ehemalige Liebe zum Tiefschürfenden, Bedeutungsvollen, Großem (die leider in ihre extremen Ausformung, der Blut- und Bodenromantik oder der Idee vom Übermenschen sich keine Ehre antat). So arg muss ich da ja gar nicht haben, dass alles auf Achim von Arnim oder Nietzsche hinausläuft. Aber zu Hilfe, es nicht nur gar nix mehr davon da (außer der Liebe zum Esoquatsch und triefende Büro-Powerpointfilmchen mit Sonnenaufgang, Kätzchen und Pseudo-Tao-Erbauungsscheißdreck), sondern ist gar zum glatten Gegenteil umgeschlagen: dem Effizienzterror.
Der Untergang des deutschen Abendlands ist das nicht. Das lebt prächtig weiter im Reihenhaus. Aber mit welchem Mist im Hirn? Ich bilde mir dauernd ein, dass Niederländer, Russen oder Schweizer mehr Kultur im Schädel haben. Wir haben Schrauben, „Kosteneffizienz“ und Maschinenbau so arg im Schädel, dass wir sogar Design mit dem Hauptaugenmerk ROI und „Kosteneffizienz“ verkaufen. Der Kunstmarkt ist doch auch schon auf dem Level. Bilder/Kunst ist: Kennzahl, Börse, Aktionärswert, Preise künstlich rauftreiben. Kunst ist schon lange keine Form der Auseinandersetzung mehr mit irgendwas. Gelegenheit dazu hätte sie in diesen Tagen massig, es passiert aber nicht.
Ich frage mich gerade, ob das „Design ist Effizienz“ nicht ebenfalls ein typisch deutscher Ingenieurs- oder Shareholder-Irrweg ist.
HD Schellnack
Design KANN effizient sein, da es hinterfragt, analysiert,optimiert und somit «slack» beseitigt. Wieder nicht Grafik-Design, sondern Design an sich. Ich scheue mich aber immer, das als Argument zu nutzen, weil es schwer messbar ist und Design andererseits auch immer Kosten verursacht. Ich kenne das aber auch, das Controller Design als Luxus sehen bzw nur verstehen, wenn ein Logo metergroß kommunziert wird :-D. Auch das ist Deutsch: Ganz oder gar nicht und jedes Quentchen Raum erobern. Manchmal denke ich, man bräuchte für manche Plakate 2xA1, eins fürs Motiv, eins für die Sponsoren. Ich erinnere mich an Jobs, wo das Platzieren und die Größe der Sponsorlogos länger gebraucht hat als die eigentliche Arbeit am Motiv.
Kunst als Form der Auseinandersetzung mit «irgendwas» kann manchmal auch ganz schön nerven, so ist ja nicht. Oder vielmehr die Pseudo-Kunst, die’s versucht. Das ist auch nur ne Form von Wellness.
erik spiekermann
Design KANN effizient sein,
Nur ein prozess kann effizient sein, ein ergebnis höchstens effektiv. Der unterschied ist auch in dieser diskussion wichtig. Wir sollten dafür sorgen, dass die ergebniss unserer arbeit funktionieren nach dem a priori definierten zweck, also effektiv sind. Ob der prozess – bei uns oder beim auftraggeber – effizient abläuft, ist für das ergebnis nicht unwichtig, aber nicht grundsätzlich entscheidend. Gemessen wird unsere arbeit immer am ergebnis, nie daran, wie lange die arbeit gedauert hat, wie hoch das budget war oder wieviele leute sie verschlissen hat.
HD Schellnack
Siehste.
Und ich finde, Design ist ein Prozess, kein Ergebnis :-D. Was ich tatsächlich meine: Design bewirkt Effekte, die auch jenseits des eigentlich definierten Goals liegen, und die sich aus der dialogischen Zusammenarbeit ergeben. Im Design entdeckst du Dinge, hakst nach, der Auftraggeber sieht Möglichkeiten, produktpaletten zu straffen oder interne Prozesse zu optimieren. Design guckt genau hin – zwangsweise, um eben effektiv zu sein – und kann unglaubliche Effizienzsprünge bewirken, wenn der Klient es nur will.
Ich finde das Ergebnis – eine Broschüre, WOWWWWWW – oft zweitrangig. Wichtig sind eben auch die Fragen, die man bei der Kreation beantwortet, die Fehler im System, die man aufzeigt, die Strategien, die sich ergeben. Und die können dann durchaus – aber eben kaum messbar – Effizienz bewirken. Gibt fast keinen Job bei nodesign, wo wir nicht endlos mit Kunden über TEXT diskutieren, auch wenn der gar nicht unsere Aufgabe ist :-D
Sanddorn
Die Version rechts oben ist einfach genial – Gelb steigt auf, Rot fließt nach unten und Schwarz stagniert. Aber halt, Gelb ist doch gar nicht die Farbe der SPD …
Leser
schaut Euch die Sachen auf den Plattformen mal an. Nicht ernstnehmbar, Logoprogramm gekauft und dann „kreieren“ was das Zeug hält. Dazu nennen sich die „Künstler“ auch noch „Designer“. Das einzig positive, wer sich als Kleinunternehmen ein Standbein schaffen will hat oft einfach kein Geld, möchte seine Firma aber gerade und auch mit einem Logo präsentieren. Das ist wie Webdesign. Dank der Baukästen denkt der Endkunde, solche Sachen sind in 30 Minuten mit individuellem Charakter erledigt und erschrickt, wenn man einen realistischen Preis nennt, weil, je nach Aufwand gerne mal ein Arbeitstag allein für das erste Konzept anliegt. Der Endkunde und damit auch „Nichtdesigner“ sieht so ein Baukastenlogo und denkt einfach….toll. Aber kein Bleistift hat jemals ein Blatt Papier berührt, also sind wirklich freie Ideen mit Schablonen nicht umsetzbar. Aber erzähl das dem Laien.
Michael
Ein schönes Beispiel aus der Jovoto-Community. ;-)
Es gibt davon allerdings mehrere: Beispielsweise gewann den Contest Opendi/Stadtbranchenbuch eine „Idee“, die weder finanziell noch rechtlich umsetzbar ist.
Nun… es belegt eben definitiv, dass Croud-Sourcing keine vernünftigen Ergebnisse hervorbringt. Vor allem, wenn viele der Mitglieder ihre Werbe-Affinität allein mit einer „2-“ im Fach Kunst an der Oberstufe begründen.
:-)