Frank-Walter Steinmeier tappt in Crowdsourcing-Falle

Dass ich rein gar nichts von Crowdsourcing halte, ist weit­ge­hend bekannt (siehe auch: Die Utopie Design-Crowdsourcing ist tot). Viele Versuche endeten im Mittelmaß, andere schei­terten komplett, zum Beispiel das Redesign des Spreeblick-Logos und der Selbstversuch von shop​be​treiber​.de (Fontblog berich­tete hier und hier).

Leider hat sich diese Erkenntnis nicht bis zur SPD bzw. ihrer Online-Agentur A&B Face2Net herum­ge­spro­chen. Diese suchte nämlich seit Februar über die Crowdsourcing-Plattform Jovoto ein Logo für den anste­henden Bundestags-Wahlkampf des SPD-Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier: »2009 ist Superwahljahr in Deutschland. Die SPD startet einen Contest für ihren Kanzlerkandidaten. Für Frank-Walter Steinmeier. Die Aufgabe ist es, ein Signet für den SPD-Kanzlerkandidaten zu entwerfen.«

Am 24. März meldete Jovoto Vollzug: Die Community hat entschieden, der Frank-Walter-Steinmeier-Contest ist beendet. Knapp 350 Beiträge in über 1100 Versionen wurden von der Jovoto-Community einge­reicht. Über mehrere Wochen wurden die Beitrage von den Mitgliedern mit 2432 Kommentaren disku­tiert und schließ­lich mit 10.000 Bewertungen die Gewinner des Wettbewerbes gewählt. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen entschied sich die Community für das oben abge­bil­dete »Auf. Stufe für Stufe.« vom Jovoto-Mitglied Berkeley. Weitere Crowdsourcing-Ergüsse auf der dieser Seite der Remscheider Jusos.

Wenn es um Qualität geht, ist Masse das Gegenteil von Klasse. Ich prophe­zeie, dass Steinmeier das Runen-Logo garan­tiert nicht verwenden wird. Kommentare im Jovoto-Blog und beim Designtagebuch spre­chen eine deut­liche Sprache. Fazit: 5000 € Preisgeld in den Sand gesetzt, aber wenigs­tens 350 Menschen beschäftigt.


39 Kommentare

  1. Lennart

    Hallo Jürgen, ich finde, dass du recht hast. Man könnte daraus denken, dass Steinmeier nicht das Geld/Lust etc. hat, ausge­bil­dete Designer anzu­heuern. (Du soll­test nochmal in den Titel gucken: „Crown)

  2. drossmedia.com

    Sieht wirk­lich ziem­lich Nazi-mäßig aus. Man könnte es retten, wenn man es mit realen Geometrien (Fotos) kombi­niert, aber leider ist Steinmeier kein Architekturbüro.

  3. step21

    SSS = Schule Schloss Salem … irgendwie. aber könnte natür­lich nur zufall sein … lol

  4. ganzunten

    Leider wurde hier schlecht recher­chiert denn die Agentur ist nicht daran gebunden, den Gewinnerentwurf des Contests zu nehmen. Sie können jeden anderen Entwurf für 3000 € erwerben.

    Der Contest diente also nur der Motivation.

  5. Malte

    Ich hab die Design-Plattformen auch schon länger im Blick. Wohin geht die Reise mit den Designern, die dort antreten? Für mich ist es der völlige Ausverkauf … wobei auf diesen Plattformen ein Logo eher für 100-300 Eur den Besitzer wechselt.

    Was MyHammer für die Handwerker … das gibt es jetzt in Deutschland auch schon in mehr­fa­cher Ausführung für Hobbydesigner … schade, dass soviele da mitmachen.

    Ohne mich, denn das ist nicht meine Definition wie ich Design ausleben möchte.

  6. Nana

    meine Güte.
    Wer sich dabei nichts denkt ist visu­eller Analphabet.

    Unvorstellbar was passieren würde wenn das wirk­lich als offi­zi­elles Logo durchgeht …

  7. Jürgen

    Der Contest diente also nur der Motivation.

    Der Motivation der Agentur? Dann verstehe ich die ganze Aktion und gratu­liere der Agentur zu diesem Coup.

  8. ganzunten

    Nein. Der Teilnehmer.

  9. Oliver Schuh

    Hallo in die Runde,
    zeigt dies nicht ganz deut­lich den Widersinn solcher Contests? Ist es nicht ein Armutszeugnis, wenn schon Agenturen zu solchen Mitteln greifen?

    Von der Nutzung dieses „Logos“ kann ich nur drin­gend abraten.

    Gruß vom Elbstrand
    Oliver Schuh | agd | die gebrauchsgrafiker

  10. Bert Vanderveen

    Come on guys… It‘s perfectly adequate for a poli­ti­cian. It‘s what they do: step­ping up to a problem, rising up to the occa­sion, clim­bing the steps of power, going shoulder by shoulder — there is so much fitting symbo­lism in these: the desi­gner is a genius! Really!

  11. Vroni

    Ich lieeeebe solche Contests. Weil sie endlich einer brei­teren Öffentlichkeit zeigen, was das für ein Schmarrn ist. Bitte weiter so liebe jovotos, gestal​ten​lassen​.de und so weiter. Ich mag miss­glückte Augenwischereyen sehr, je schlimmer, je lieber.

  12. Liz

    Unfassbar wie Vroni immer alles auf den Punkt bringt, wie machst Du das?

  13. HCL

    #7 (jürgen) LOL!

  14. Vroni

    Liz, ich mach‘ gar nix, es macht was mit mir, wenn ich am Rechner SO einen Missgriff sehe. Vollkommener Autopilot dann, weiß auch nicht…

  15. sharif

    Mal abge­sehen vom Streitpunkt „Runen“:

    _sind_jetzt_modern. Die | sind | so | späte | 90er.

    ;-)

  16. Michael Wassenberg

    @ step 21: 

    SSS = Schule Schloss Salem

    Ja, meinet­wegen, aber nicht nur! Wikipedia hält noch einige Alternativen parat: Seuchenhafter Spätabort der Schweine, Sportseeschifferschein, Super Steady Shot, Stadt-Sparkasse Solingen, Skinheads Sächsische Schweiz, …

  17. Sascha

    Dialektisch betrachtet könnte man sagen: wo ist denn nun das Problem? Sowohl Prozess als auch Ergebnis passen doch eigent­lich ganz gut zur Steinmeier-und-Konsorten-SPD und kommu­ni­zieren ganz vorzüg­lich: Unprofessionalität. Ob das von den Verantwortlichen beab­sich­tigt war, ist die andere Frage, aber es ist schon beinahe anrüh­rend ehrlich.

    Jemand der meint, statt intel­li­gent konzi­pierter Kommunikation bloß ein hübsches billiges Logo zu benö­tigen, ist beim Crowdsourcing auch eigent­lich ganz gut aufge­hoben. Als Gestalter kann man beinahe froh sein, wenn einem so dieser Typus Aufttraggeber mitsamt der dazu­ge­hö­rigen Scherereien vom Hals bleibt. :-)

  18. Vroni

    Als Gestalter kann man beinahe froh sein, wenn einem so dieser Typus Auftraggeber mitsamt der dazu­ge­hö­rigen Scherereien vom Hals bleibt. :-)

    Sehr heftiges Kopfnicken mit Folge-Schleudertrauma.

    (Wollte – durch aktu­elle Logoanfragen der selt­samen Art genervt – auch schon fast auf meine Website schreiben, entweder »Betteln und hausieren verboten!« Oder: »Wegen Verschluckungsgefahr gemä­ßigt intel­lek­tu­eller Inhalte für Kleinunternehmer unter 3 Jahren verboten.« Das klingt zwar furchtbar arro­gant spießig und kindisch, aber ich weiß mir langsam nicht mehr zu helfen, wie ich es anstellen soll, dass diese Klientel und ich sich nicht gegen­seitig die Zeit stehlen.)

  19. Anderer Jürgen

    Angst und Bange sollte uns Gestaltern aller­dings werden das bei 10.000 (!) Stimmen so ein Ergebnis rauskommt.
    uiuiui… Das sind doch genau die Leute für die wir Kommunikation gestalten wollen und sollen. es zeigt sich aber das die wohl kaum die Zeichen, die Ihnen geboten werden adäquat entschlüs­seln können. Müssen wir uns nun an diese Rezeptionsfähigkeit anpassen oder weiterhin versu­chen diese zu schulen und auszu­bauen? Und wenn zwei­teres, wie?

  20. Vroni

    Dass so viele das da gewählt haben, ist in der Tat seltsam. Wenn die, angeben, Kommunikation zu können, die Bedeutung der Zeichen nicht mehr wissen, ob da noch nach­ge­scho­bene Semiotik-Nachhilfe hilft? Oder haben wir da das Phänomen des struk­tu­rellen Analphabetismus vor uns? Gelten nur noch schöne Schättelchen und nette Typo?

    Ich habe auch keine Lösung, denn dieses Phänomen geht quer durch alles, betrifft nicht nur Jungdesigner. Ein Coach/Trainer wollte mal ein Logo, er hätte auch ganz konkrete Vorstellungen, ein bestimmter Buchstabe solle wie bei der Swastika ange­ordnet sein (Immerhin kannte er den Begriff). Als ich das mal schnell hinmalte, war MIR klar, dass das gewünschte Logo so gar nicht geht. Dem Trainer noch lange nicht. (Und der war kein Junghupf.)

  21. sukisouk

    Ich seh da nicht so viel Nazisymbolik drin, aber ich bin aus Ö und da werden uns diese Reflexe vllt weniger ausführ­lich eingeimpft?

    Ich finds jeden­falls nicht so schlimm wie hier viele tun. Von „profes­sio­nellen Agenturen“ gibts ja auch immer wieder Bullshit zu sehen.
    Insbesonders im Feld der poli­ti­schen Propaganda :)

  22. Anderer Jürgen

    @sukisouk: „nicht so viel“ ist aber schon bei weitem zuviel für den Wahlkampf einer sog. Volkspartei. Man muss da selbst­ver­ständ­lich keine SS Runen drin erkennen, man kann aber und viele tun es. Das reicht in diesem Fall schon aus das Logo in die Schublade zu verweisen – selbst wenn man es selbst beim besten Willen nicht so inter­pre­tieren mag oder kann.

  23. Felix

    Rein ästhe­tisch gesehen, finde ich es nicht so schlimm wie scheinbar (fast) alle Anderen. Gut die Symbolik ist unglück­lich, aber es ist um Längen besser als die meisten anderen Politikerlogos.

    Abgesehen davon, würde ich für Politiker prin­zi­piell nicht arbeiten. Es sei denn wir bekommen mal einen vom Schlag eines Obama… Sein Logo ist dagegen genial!

  24. Gérhard

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemals ernst­haft daran gedacht wurde das Crowd-Ergebnis zu verwenden. Die Motivation ist doch eher in der PR-Wirkung zu suchen: einfach mal da mitma­chen, worüber man gerade so spricht. Vor ein/zwei Jahren wär´s vermut­lich noch SecondLife gewesen.

    enchanté Gérhard

  25. Vroni

    Nu, die PR-Wirkung ist doch granatenmäßig.

    (Übersetzt: Auf eine solche Bumerang-PR-Wirkung des Mitmachwahns würde ich aber jetzt gerne verzichten, wenn ich die wäre. Das Ding ging doch grana­ten­mäßig nach hinten los, SS, tss.)

  26. ganzunten

    @anderer Jürgen: Es handelt sich doch nur um ein (!) Beispiel des Entwurfes. Bewertet wurde jedoch der gesamte Konzeptentwurf (auch mit anderen Beispielen), zu dem auch die Diskussion mit dem Gestalter gehört.

    Leider wird hier zu oft vergessen, dass es nur ein Entwurf ist, und dass die Kritik, die jetzt aufkommt, schon in der Entwurfsdiskussion statt­fand, der Gestalter sogar darauf reagieren wollte, es aber wegen der Deadline nicht mehr konnte. In anderen Fällen, hätte man die Deadline einfach ein paar Tage verschoben.

  27. Kilian

    Dass sich gerade die SPD an der Zersetzung des Prinzips Lohn-für-Arbeit betei­ligt, während sie dieses Modell strikt gegen mögliche Alternativen vertei­digt, trägt nicht unbe­dingt zur Schärfung des Profils der Partei bei.

    Ob Modelle wie die Einführung eines bedin­gungs­losen Grundeinkommen eine vernünf­tige Sache wären, ist eine andere Frage; Aber der Gegensatz von »Communication« und »Behaviour« ist hier schon bemerkenswert.

    Und da es auf dieser Basis wohl unmög­lich ist ein fundiertes Briefing zu schreiben wird einfach mal trendy crowd­ges­ourced und voilà, das Design marschiert noch­mals ziellos in eine ganz andere Richtung (rein formal halte ich den Entwurf für gelungen).

    Ach ja, Anfang dieser Woche lautete der Titel einer Nachricht aus dem RSS-Feed der SPD »Gute Arbeit und faire Löhne sichern«.

  28. Henning

    Der Denkfehler beim Crowdsourcing ist, dass man glaubt, man bekäme von vielen Leuten ohne fach­liche Vorbildung bessere Designentwürfe als von ausge­bil­deten Designern. Niemand würde denken, dass eine große Zahl von Menschen ohne spezi­fi­sche Vorbildung bessere Autobahnbrücken bauen könnten, oder siche­rere Kernreaktoren. Bei Design scheint es jedoch Menschen zu geben, die dies glauben. Diese Menschen sind als Kunden für Designer uner­reichbar, oder uner­träg­lich – da gebe ich Vroni völlig recht. Irgendwie ist das OK, wenn sich diese Kundschaft auf Crowdsourcing-Portalen mit Hobbydesignern amüsiert. Das wäre kein Wort der Erwähnung wert. In diesem spezi­ellen Fall kommt die Würze von der von Kilian tref­fend heraus­ge­ar­bei­teten Diskrepanz:

    Dass sich gerade die SPD an der Zersetzung des Prinzips Lohn-für-Arbeit betei­ligt, während sie dieses Modell strikt gegen mögliche Alternativen vertei­digt, trägt nicht unbe­dingt zur Schärfung des Profils der Partei bei.

  29. cordula

    Ich finde man sollte nach­sichtig sein. Immerhin ist das alles (crowd­sour­cing) noch so neu, die Leute sind jung und haben sicher ganze Nächte unter Zeitdruck daran gearbeitet.

  30. HD Schellnack

    a) die Mentalität und die Mentalität hinter Pitches ist die gleiche. Ob man sich 10 Agenturen auf ein Briefing ansetzt oder 365 Leute wild losde­si­gnen lässt – es ist nur die Dimension anders.

    b) Der Text auf der Jusos-Site ist leider groß­ar­tige Realsatire. (O-Ton: «Das “S�? für Steinmeier und die SPD, die Aufwärtsbewegung die unter Steinmeier die deut­sche Wirtschaft erfassen wird, und die Farben schwarz-rot-gold für unseren wieder salongfä­higen (sic!) mini-Patriotismus» Sehr mini…. :-D). Allein das ist es irgendwie wert.

    c) Die Qualität der einge­reichten Arbeiten ist durchaus auf dem Niveau von Sachen, die die meisten Büros auch bei einem 25-1-Wettbewerb ablie­fern würden, und teil­weise besser als das, was auch profes­sio­nelle Agenturen in Sachen Politik produ­zieren (EU-Logo Metadesign!) Das schöne an dieser durch­schnitt­lich mittel­mä­ßigen Qualität ist eben, dass man sieht, es kommt nicht auf die graphi­sche Umsetzung an. Es ist ein Irrglaube, dass es bei Design um Grafik geht. Briefing und blindes Losgestalten, ob Crowdsourcing oder Pitch, führt für den Kunden immer, auto­ma­tisch, unwei­ger­lich zu Beta-Ergebnissen. Ob dann Klaus Müller oder Mario Lombardo, Mike Meiré oder Lieschen Schulze spielt keine Rolle – es liegt in der Versuchsanordnung, dass das Experiment meist enttäuscht. Crowdsourcing ist nur die Mentalität des Pitches hoch­ge­rechnet auf Web2.0!

    d) Die ganze Sache zeigt,wie beliebig Logodesign ganz gene­rell zu 99% geworden ist. Die meisten Sachen sind nur Anwendung grafi­scher Drehs – redu­ziert, 3D, hand­made und und und… Style without Content. Was irgendwie doch groß­artig zu Politik passt, leider.

  31. Vroni

    „Es ist ein Irrglaube, dass es bei Design um Grafik geht.“

    Style über alles, Aussage/Bedeutung wursch­tegal. Ja, so sans.

    Genau das gilt es anzu­gehen. Stimmt 100%ig als der Kern des Problems der ganzen Diskussionen um diese Branche und um Crowdsourcing. Auch Designer erliegen nicht zu knapp dieser Religion der Oberfläche.

    Daher ist es müßig, nur Kunden (hier die SPD) oder nur die Plattformbetreiber (die Gärtnerböcke) „missio­nieren“ zu wollen. Der Feind sitzt doch längst in der eigenen Reihe (ich bin schon lange kein Verteidiger der eigenen Zunft mehr, merkt man das nicht?).

    Wann wird endlich Klartext gesprochen?

    Die Blogs sind voll, aber ich sehe nur, dass Debatten über Crowdsourcing beider­seits von Eifersucht auf das entweder jeweils „mora­lisch bessere“ oder „cleverere“ Geschäftsmodell getrieben sind und nicht darüber, was eigent­lich wirk­lich passiert.

    Dieser Irrglaube ist das häufigste Problem, das ich mit manchem Kunden habe. Wobei ich fest­stelle, dass je kleiner (unge­bil­deter? werfe ich mal arro­gant in den Raum) der Kunde, desto mehr Irrglaube. Welcher nicht einmal durch Geduld, freund­liche und gutmü­tige Aufklärung zu beheben ist, sondern erstaun­li­cher­weise auf gehar­nischten Widerstand trifft. Mit dem erbit­terten Vorwurf, mit „unnützen“ inhalt­li­chen statt Oberflächen-Behandlungen nur künst­lich den Preis rauf treiben zu wollen, hatte ich sehr oft zu kämpfen. In 10 % führte das zu Abbruch der Geschäftsbeziehung von meiner Seite aus – es herrscht Vertragsfreiheit, mei – und der Rest war ein Hin- und Hergeziehe, ein immer wieder Päppeln und Anspornen, dass ich vom Gedanken daran bereits erschöpft bin. Daher verdränge ich diese Art unguter „Design-Prozesse“ lieber. Ich mag nicht daran denken, was noch kommt, die Zeiten werden jeden­falls nicht besser. Und mancher liebe Standeskollege nutzt jeden Strohhalm, ins Geschäft zu kommen. Und schon ist man wegen 3 Mark fuffzig draußen, da zu „teuer“ und zu „anstren­gend“.

    Man kann jetzt hergehen und sagen, ist doch prima, gut für den, der wirk­lich durch­dachtes Design (Semiotik, Inhalt, gute Geschichten/Typografie auf dem Punkt und weiß der Geier) statt hübsche Oberflächengrütze ablie­fert. Diese andere ober­fläch­li­chere Klientel, Kunde mitsamt grafi­scher Mitbewerber, verdient es, gemeinsam mitein­ander unter­zu­gehen, denn ihre Arbeit ist hübsch aber schlecht. Unternehmen, die ihr Design auf Oberfläche abstellen, werden schlech­tere Chancen auf dem Markt haben, bla, Grafiker, die ihre Haut hübsch und billig verkaufen, werden auch immer nur herum­krebsen, bla.

    Aber stimmt diese schöne (da tröst­liche) Markttheorie auch? Noch sehe ich das nicht. Ich sehe, dass sich Schrottwerbung und Design-Glump (bairisch für Schrott) ganz gut verkauft und kein Unternehmen deswegen pleite gegangen ist. Man sollte diese Markttheorie über­prüfen. Kann sein, dass wenn alle auf der Religion Style sind, dass sich die Markt-Parameter längst verschoben haben.

    Ich sage bewusst Religion, da mich das Wort Irrglaube dazu inspi­riert hat. Und wer gegen Reilgion ankämpfen will, der tut gut daran zu wissen, dass er Thesen an Kirchtüren nageln muss, dass er exkom­mu­ni­ziert wird und sich auf Kreuzigungen gefasst machen muss. Amen.

  32. HD Schellnack

    Du hast Recht – es ist auf jeden Fall nicht wahr, dass sich Qualität durch­setzt. WAS sich durch­setzt, ist das Mittelmaß. Der geringste Nenner, das was nicht erklärt werden muss und schnell, kantenlos wegkon­su­miert wird. Das ist in allen Bereichen so, nebenbei. Im (vor?)letzten Spiegel war eine Grafik über das Freizeitverhalten von Jugendlichen. TV, Internet, Games… und dann ganz verloren Sachen wie Bücher lesen oder selbst Musik machen. Und wenn mir da schon flau wurde um eine Generation, die auf Konsumieren program­miert ist, alles kriegen aber nichts geben kann… kam als Kirsche auf die Sahne ein paar Seiten später die Spiegel-Bestseller-Liste. Unter «Belletristik» tauchte kaum ein Buch auf, dass diesen Titel verdient, statt dessen ein Post-Potter-Buch von Rowling, zwei oder dreimal Cornelia Funke und wahr­schein­lich so jedes Buch, dass Stephanie Meyer je geschrieben hat. Außerdem mit im Pool: Feuchtgebiete und Mängelexemplare, Büchern von MTV/Viva-Moderatorinnen. DAS ist, was die wenigen Leute kaufen, die noch lesen. Wer glaube, wir Designer haben Probleme, sollte ein offenes Ohr für Verleger haben, die versu­chen, Qualität in den Markt zu kriegen.

    Das Ding ist aber: in der Grütze, der Flut des Schrotts, entstehen immer neue kleine, feine Verlage (weiss-Books, um nur einen zu nennen), die ihr Ding machen und irgendwie versu­chen, davon zu leben.

    Das wird auch im Design so kommen. Die Gaußsche Glockenkurve. Wo man selbst immer nur hoffen kann, im ersten Drittel zu stecken und nicht völlig Mittelmaß zu sein :-D.

    Dennoch: Design sells. Im guten wie im Schlechten. Nenn einen Tee «Buddhas Garten», mach eine schlichte New-Age-Flair-Sache drauf und Omis lang­wei­liger Regalhüter von Kräutertee geht auf einmal weg wie warme Socken. Ob schön oder nicht, das ist ein Designprozess. Designim weitesten Sinne, als Prozess einer Wellness-Kuschelkultur (merci Prof. Friedrich), oder als Element einer Edel-Werschöpfungskette. Das Less-is-more-is-more-Ding, das wir halt bei Vitra, Bulthaup und anderen desi­gn­af­finen Marken haben, wo du gerade für die Kunst des Weglassens zahlst und dich qua Design als stil­be­wusster Konsument fühlen darfst.

    EINE Zukunft von Design wird sicher sein, dass wir kollektiv die Eier haben müssen, Gatekeeper zu sein, Torhüter des guten Geschmacks. Nicht des Geschmacks, der subjektiv ist, der Blümchen-Geschmack, sondern eines möglichst herbei­leit­baren Geschmacks, der ratio­nale und emotio­nale Puzzlestücke zusam­men­setzt. Die Kunst des Designs ist nach wie vor, empha­tisch und begründet NEIN zu sagen.

    Wenn du dir einen Vitra-Stuhl anschaust und einen von Möbelhaus XYZ, weißt du, was ich meine. Und dieses Nein zum Sinnlosen ist ein Verkaufsfaktor, benso wie Design als Symbiose von Kunst un Komminkation in anderen Feldern, ebenso wie Design als das besser durch­dachte in wieder anderen Feldern – nicht für alle Produkte, aber für eine Menge. Wie immer gilt, was Tibor Kalman sagte: Finde die 10% Entrepreneure, mit denen du dein Ding machen kannst und liebe sie.

    Den auch für Design gilt bis zu einem gewissen Grade natür­lich immer wie für alles eben Sturgeons Gesetz ;-D.

  33. Vroni

    Ich frag mich nur, warum andere Nationen selbst im Mainstream etwas mehr Gefühl dafür entwi­ckeln, was Blümsche ist und was nicht.

    Wir waren mal das Volk der Denker, sind bekannt für unser ehema­lige Liebe zum Tiefschürfenden, Bedeutungsvollen, Großem (die leider in ihre extremen Ausformung, der Blut- und Bodenromantik oder der Idee vom Übermenschen sich keine Ehre antat). So arg muss ich da ja gar nicht haben, dass alles auf Achim von Arnim oder Nietzsche hinaus­läuft. Aber zu Hilfe, es nicht nur gar nix mehr davon da (außer der Liebe zum Esoquatsch und trie­fende Büro-Powerpointfilmchen mit Sonnenaufgang, Kätzchen und Pseudo-Tao-Erbauungsscheißdreck), sondern ist gar zum glatten Gegenteil umge­schlagen: dem Effizienzterror.

    Der Untergang des deut­schen Abendlands ist das nicht. Das lebt prächtig weiter im Reihenhaus. Aber mit welchem Mist im Hirn? Ich bilde mir dauernd ein, dass Niederländer, Russen oder Schweizer mehr Kultur im Schädel haben. Wir haben Schrauben, „Kosteneffizienz“ und Maschinenbau so arg im Schädel, dass wir sogar Design mit dem Hauptaugenmerk ROI und „Kosteneffizienz“ verkaufen. Der Kunstmarkt ist doch auch schon auf dem Level. Bilder/Kunst ist: Kennzahl, Börse, Aktionärswert, Preise künst­lich rauf­treiben. Kunst ist schon lange keine Form der Auseinandersetzung mehr mit irgendwas. Gelegenheit dazu hätte sie in diesen Tagen massig, es passiert aber nicht.

    Ich frage mich gerade, ob das „Design ist Effizienz“ nicht eben­falls ein typisch deut­scher Ingenieurs- oder Shareholder-Irrweg ist.

  34. HD Schellnack

    Design KANN effi­zient sein, da es hinter­fragt, analysiert,optimiert und somit «slack» besei­tigt. Wieder nicht Grafik-Design, sondern Design an sich. Ich scheue mich aber immer, das als Argument zu nutzen, weil es schwer messbar ist und Design ande­rer­seits auch immer Kosten verur­sacht. Ich kenne das aber auch, das Controller Design als Luxus sehen bzw nur verstehen, wenn ein Logo meter­groß kommun­ziert wird :-D. Auch das ist Deutsch: Ganz oder gar nicht und jedes Quentchen Raum erobern. Manchmal denke ich, man bräuchte für manche Plakate 2xA1, eins fürs Motiv, eins für die Sponsoren. Ich erin­nere mich an Jobs, wo das Platzieren und die Größe der Sponsorlogos länger gebraucht hat als die eigent­liche Arbeit am Motiv.

    Kunst als Form der Auseinandersetzung mit «irgendwas» kann manchmal auch ganz schön nerven, so ist ja nicht. Oder viel­mehr die Pseudo-Kunst, die’s versucht. Das ist auch nur ne Form von Wellness.

  35. erik spiekermann

    Design KANN effi­zient sein,

    Nur ein prozess kann effi­zient sein, ein ergebnis höchs­tens effektiv. Der unter­schied ist auch in dieser diskus­sion wichtig. Wir sollten dafür sorgen, dass die ergeb­niss unserer arbeit funk­tio­nieren nach dem a priori defi­nierten zweck, also effektiv sind. Ob der prozess – bei uns oder beim auftrag­geber – effi­zient abläuft, ist für das ergebnis nicht unwichtig, aber nicht grund­sätz­lich entschei­dend. Gemessen wird unsere arbeit immer am ergebnis, nie daran, wie lange die arbeit gedauert hat, wie hoch das budget war oder wieviele leute sie verschlissen hat.

  36. HD Schellnack

    Siehste.
    Und ich finde, Design ist ein Prozess, kein Ergebnis :-D. Was ich tatsäch­lich meine: Design bewirkt Effekte, die auch jenseits des eigent­lich defi­nierten Goals liegen, und die sich aus der dialo­gi­schen Zusammenarbeit ergeben. Im Design entdeckst du Dinge, hakst nach, der Auftraggeber sieht Möglichkeiten, produkt­pa­letten zu straffen oder interne Prozesse zu opti­mieren. Design guckt genau hin – zwangs­weise, um eben effektiv zu sein – und kann unglaub­liche Effizienzsprünge bewirken, wenn der Klient es nur will.
    Ich finde das Ergebnis – eine Broschüre, WOWWWWWW – oft zweit­rangig. Wichtig sind eben auch die Fragen, die man bei der Kreation beant­wortet, die Fehler im System, die man aufzeigt, die Strategien, die sich ergeben. Und die können dann durchaus – aber eben kaum messbar – Effizienz bewirken. Gibt fast keinen Job bei node­sign, wo wir nicht endlos mit Kunden über TEXT disku­tieren, auch wenn der gar nicht unsere Aufgabe ist :-D

  37. Sanddorn

    Die Version rechts oben ist einfach genial – Gelb steigt auf, Rot fließt nach unten und Schwarz stagniert. Aber halt, Gelb ist doch gar nicht die Farbe der SPD …

  38. Leser

    schaut Euch die Sachen auf den Plattformen mal an. Nicht ernst­nehmbar, Logoprogramm gekauft und dann „kreieren“ was das Zeug hält. Dazu nennen sich die „Künstler“ auch noch „Designer“. Das einzig posi­tive, wer sich als Kleinunternehmen ein Standbein schaffen will hat oft einfach kein Geld, möchte seine Firma aber gerade und auch mit einem Logo präsen­tieren. Das ist wie Webdesign. Dank der Baukästen denkt der Endkunde, solche Sachen sind in 30 Minuten mit indi­vi­du­ellem Charakter erle­digt und erschrickt, wenn man einen realis­ti­schen Preis nennt, weil, je nach Aufwand gerne mal ein Arbeitstag allein für das erste Konzept anliegt. Der Endkunde und damit auch „Nichtdesigner“ sieht so ein Baukastenlogo und denkt einfach….toll. Aber kein Bleistift hat jemals ein Blatt Papier berührt, also sind wirk­lich freie Ideen mit Schablonen nicht umsetzbar. Aber erzähl das dem Laien.

  39. Michael

    Ein schönes Beispiel aus der Jovoto-Community. ;-)
    Es gibt davon aller­dings mehrere: Beispielsweise gewann den Contest Opendi/Stadtbranchenbuch eine „Idee“, die weder finan­ziell noch recht­lich umsetzbar ist.

    Nun… es belegt eben defi­nitiv, dass Croud-Sourcing keine vernünf­tigen Ergebnisse hervor­bringt. Vor allem, wenn viele der Mitglieder ihre Werbe-Affinität allein mit einer „2-“ im Fach Kunst an der Oberstufe begründen.

    :-)

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