Fatalismus ist der Feind guten Designs, oder:
Volkserziehung, nein danke!
von Helge Fischer
Unser Gastautor Helge Fischer studierte am Royal College of Art in London »Design Interactions« und arbeitete für namhafte Auftraggeber als Designer und Berater. Später lehrte und forschte er als wissen-schaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Interface-Design der FH Potsdam. Gemeinsam mit der Kommunikations- und Service-Designerin Ann-Kristina Simon gründete er vor wenigen Monaten in Berlin das Designbüro Bold Futures, spezialisiert auf Innovationskommunikation. Fischer: »Wir nutzen Design als Medium zur Darstellung und partizipativen Bewertung von wahrscheinlichen oder möglichen Zukünften.«
Der hier veröffentlichte Denkanstoß erschien in ungekürzter Form unter dem Titel »Nachhaltigkeitsdesign: Öko-Erziehung in der Welt der Dinge« in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Novu Argumente. Ann-Kristina und Helge werden in 14 Tagen den Creative Morning in Berlin bestreiten (16. November 2012, Orangelab, 8:30 Uhr).
Die verdienstvollste Aufgabe von Design ist, bessere Lebensräume zu entwerfen, fesselnde Zukünfte heraufzubeschwören und Träume zu wecken. Design kann einen enormen Nutzen für die Welt leisten, dazu muss es jedoch mutig und ambitioniert sein. Das fällt heute nicht leicht, denn es dominieren eher düstere Bilder von der Zukunft, die den Glauben an eine positive Gestaltbarkeit dem Reich der Fantasie zuordnet. Fatalismus ist der Feind guten Designs. Wenn wir die Auffassung akzeptieren, wir lebten im Jahrhundert der Klimakatastrophen, Ressourcenverknappung, Überbevölkerung und der Ausbeutung der Natur, und schuld sei der Mensch, dann fallen unsere Entwürfe bescheiden, kleinlaut und demütig aus: Design als Appell, unser Tun zu zügeln, unsere Erwartungen zurückzuschrauben.
Unter dem Dogma der Nachhaltigkeit entstehen oft mutlose und kleinliche Entwürfe, die weit hinter dem zurückbleiben, was die heutige Technologie erlauben würde: Stühle aus recycelten Zeitungen – zusammengehalten von Reiskleber, mit Pedalkraft betriebene Küchengeräte, oder gar ein durch Muskelkraft angetriebenes Gerät zur Herstellung von Papier. Dieselben Handgriffe, dieselben Produkte, dieselben Funktionen wie seit Jahrzehnten, nur mühsamer und zeitaufwendiger zu bedienen. Wir bewegen uns zurück.
Persuasive Design
Auf dem wichtigen Gebiet des Sustainable Designs ist ein weiterer Ansatz deutlich unbehaglicher. Sogenanntes »Persuasive Design« versucht beim Nutzer mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Verhaltenspsychologie »erwünschte« Einstellungen und Verhaltensweisen zu befördern. Anstatt durch Informationen zu überzeugen und eine freie Entscheidung zu ermöglichen, will Persuasive Design Menschen unbewusst beeinflussen und ihr Verhalten in eine zuvor als »redlich« erkannte Richtung lenken. Es versucht, das emotionale, irrationale und impulsive Denken unseres Unterbewusstseins zu manipulieren. Dies wird bereits seit Jahrzehnten in der Werbung praktiziert. Relativ neu ist allerdings, dass es nun eingesetzt wird, um vermeintlich Gutes zu tun, denn die »böse Seite« des Marktes für Persuasive Design ist längst übersättigt.
Sogenannte Zielverhalten könnten zum Beispiel sein, mit dem Rauchen aufzuhören, mehr Sport zu treiben, Medizin regelmäßig einzunehmen, oder – im Bereich nachhaltigen Handelns – weniger Strom zu verbrauchen, oder das Fahrrad zu nutzen. So wird die gezielte Beeinflussung des Unterbewusstseins zum Wohle und im Eigeninteresse des Manipulierten propagiert, um dessen Leben zu verbessern. Das eingesetzte Repertoire an Psychotechniken reicht vom Setzen von Zielen, über verschiedene Anreiz- oder Abhaltungssysteme bis hin zu sozialer Kontrolle, Ausgrenzung oder Bevormundung. Ziel ist es, »gutes« Verhalten so automatisiert, so einfach, oder auch so suchterzeugend zu machen wie Glücksspiel.
Ein paar Beispiele … Kleinere Mülleimer sollen uns dazu verleiten, weniger Abfall zu produzieren … nicht weil wir dies als sinnvoll erachten, sondern einfach, um seltener den Müll rausbringen zu müssen. Der vom MIT Media Lab entwickelte WaterBot wird am Wasserhahn installiert und misst den Wasserverbrauch. Bei zu langer Wassernutzung gibt das System visuelle und auditive Alarmsignale, beim Zudrehen hingegen gibt es ein positives Audiofeedback. Das zugegebenermaßen clevere »Erratic Radio« des Interactive Institute in Schweden empfängt zusätzlich zum eingestellten Sender noch die 50-Hz-Frequenz, die von elektrischen Geräten ausgestrahlt wird und stört somit den Empfang bei gleichzeitiger Nutzung dieser Geräte. Es gibt eine App fürs Auto, die anzeigt, wie energie-effizient gefahren wird und die den Fahrer durch visuelle Hinweise anleitet, möglichst gleichmäßig zu fahren. Zahlreiche Angebote im Internet hoffen auf Nutzer, die im Rahmen eines Wettkampfs versuchen, möglichst viele »Eco-Challenges« zu bestehen (z. B. eine Woche kein Fleisch essen oder einen Gemüsegarten anlegen).
Ein drastischeres Beispiel ist das vom Design Lab der Universität Sydney durchgeführte Projekt »Neighbourhood Scoreboards«. Die täglichen Veränderungen im Energieverbrauch von teilnehmenden Haushalten wurden hierfür auf großen, der Straße zugewandten Schildern aufgezeigt, zusammen mit lachenden (abnehmender Verbrauch) und traurigen Smileys (steigender Verbrauch) plus der aktuellen Position im »Neighbourhood Ranking« für Energieeinsparungen.
Die Beispiele wirken einzeln besehen harmlos. Es gibt Parallelen zu Videospielen und mitunter machen sie sogar Spaß. Und es mag Lebensbereiche geben, in denen der Einzelne Verhaltenslenkung durch technologische oder soziale Systeme für sich selbst als nützlich empfindet. Doch befördert eine breite Anwendung von Persuasive Design, das letztlich eine Ergänzung zu den expliziteren Maßnahmen der Volkserziehung ist, eine regressive Sichtweise auf die Möglichkeiten und Kapazitäten des Menschen: Wir akzeptieren damit, dass wir anscheinend hilflose und schwache Wesen sind, die der Lenkung bedürfen.
Fazit
Nachhaltiges Design und insbesondere Persuasive Design unterminieren den Glauben an unsere eigenen Fähigkeiten. Gleichzeitig sind sie ein Angriff auf menschliche Selbstverantwortung, Autonomie und Freiheit. Wir trauen weder uns selbst noch der Mehrheit unserer Mitmenschen zu, dass wir richtige Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen könnten. Stattdessen akzeptieren wir die Manipulation unseres Verhaltens durch (selbst ernannte) Experten, die uns in einer unübersichtlichen Welt den rechten Weg weisen wollen. Die von ihnen entworfenen Produkte ersetzen den freien Willen durch das Managen von Nutzerverhalten.
Wenn wir unsere Lebensbedingungen weiterhin weltweit verbessern möchten, stehen wir vor großen Herausforderungen. Dabei ist unsere Fähigkeit, Neues zu schaffen und dabei Risiken einzugehen (und Fehler zu machen) nicht das Problem, sondern die Lösung für globale Zerwürfnisse. Wir sind Zerstörer, aber vor allem Schöpfer und Erschaffer, wir sind Konsumenten, aber auch Produzenten. Zu oft beschränkt sich aktuelles nachhaltiges Design auf eine Bewahrung des Status Quo.
Wenn wir in einer Transformationsgesellschaft leben, in der hergebrachte Methoden des Wirtschaftens und Lebens nicht mehr uneingeschränkt tragen, dann benötigen wir ein Vertrauen in menschliche Intelligenz, Kreativität, Imagination und Kraft. Zukunftsoptimisten sind die besseren Designer. Sich selbst und die Menschheit zuvorderst als schwach und hilflos zu sehen, mag in einer komplizierten Welt bequem sein, doch ist es ein Luxus, den wir uns nicht leisten dürfen.
(Der hier veröffentlichte Beitrag von Helge Fischer erschien in ungekürzter Form unter dem Titel »Nachhaltigkeitsdesign: Öko-Erziehung in der Welt der Dinge« in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Novu Argumente. Foto oben: Marco Floris, Abbildung Mitte © DeVIce Fotolia.com)
21 Kommentare
Kommentarfunktion ist deaktiviert.
<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Florian Pfeffer
super besetzung für den creative morning … jetzt bedaure ich es, dass ich nicht in berlin wohne.
der artikel trifft meiner meinung nach eine ganze reihe von nägeln auf den kopf. michael braungart hat es schön ausgedrückt (aus dem gedächtnis wieder gegeben): „nachhaltigkeit ist das minimum. es bedeutet einfach nur, dass wir unser ökosystem erhalten. wir würden aber heute noch auf bäumen sitzen und uns mit primitiven instrumenten die schädel einschlagen, wenn wir nur nachhaltig wären.“
bei der kritik des persuasiven designs kann ich nicht ganz folgen – ich glaube, dass es hier zum teil um einen mythos aus den 70er jahren geht (geheime verführer), der sich hartnäckig hält: design (oder werbung) als eine art gehirnwäsche, die leute unbewusst dazu bringt, etwas zu tun, was sie gar nicht wollen – oder noch nicht wussten, dass sie es wollen sollten. dieses bild ist aber schon lange wiederlegt: design kann nur dann erfolgreich sein, wenn es an existierenden bedürfnissen anknüpft – daß wir uns manchmal wie ein hirnloser schwarm von konsum-irren verhalten, müssen wir schon auf die eigene kappe nehmen und sollten es uns nicht zu leicht machen – werbung und design machen sich das höchstens zu nutze und belichten ein bild, das vorher bereits in den köpfen war. wenn es nun einen soziologischen trend gibt, der in die andere richtung weist … umso besser. das sollte man nutzen.
der aufklärung und information gebe ich da aber wenig chancen. wir wissen es doch alle längst: was wir tun, ist nicht gesund und extrem kurzfristig gedacht – wir tun es aber trotzdem. wissen und einsicht haben nur wenig einfluss auf unser verhalten. ein weites feld …
die eigentliche herausforderung für design ist es deshalb – und da hat helge fischer vollkommen recht -, endlich wieder motor für innovation zu sein. da hält sich design im moment fein raus … es wäre deshalb mal interessant eine debatte zu führen, was neue wege, prozesse, tools und strategien für design sein könnten (wenn es persuasives design nicht ist) – gerade auch für kommunikationsdesign.
Neuropol
“nachhaltigkeit ist das minimum. es bedeutet einfach nur, dass wir unser ökosystem erhalten. wir würden aber heute noch auf bäumen sitzen und uns mit primitiven instrumenten die schädel einschlagen, wenn wir nur nachhaltig wären.”
Naja, mit mo(r)derner High-Tech-Technologie tun wir genau dasselbe.
koni
… naja nicht ganz. Inzwischen pusten wir ferngesteuert massenhaft Leben derer aus die uns halt grad nicht so in den kram passen. … uups, wie fatalistisch aber auch schon wieder. Aber Abhilfe naht: den Dronen eine schöne Form gegeben und schon paßt es wieder. Und nicht vergessen: alles hübsch mit maniriertem Buisnessgeschwurbel intellektuell aufladen. Wunderschön zeitgeistig, herrlich populistisch: klares Geschäftsmodell.
Florian Pfeffer
ich bin mir nicht sicher, ob ich die kommentare 2 und 3 richtig verstehe. braungart sagt, dass es zwar notwendig ist, nachhaltig zu handeln, aber nicht ausreicht. nicht einfach nur einen status quo erhalten, sondern den gestaltungsauftrag annehmen. nicht fatalistisch verzweifeln, sondern die chancen suchen, die verhältnisse/dinge formen und neue wege suchen. dabei spielt technologie wahrscheinlich eine rolle – die frage ist doch, wie wir technologie einsetzen (und wie explizit nicht) – machen wir das schlau oder dumm? darüber hinaus ist technologie nicht die antwort auf alles. es geht z.B. auch um die schaffung von demokratischen spielräumen (u.a. durch design) zur aktivierung von vielen einzelnen auf lokaler ebene. design kann mit(!)helfen, menschen zu aktivisten ihrer eigenen agenda zu machen. wenn sich designer im zusammenhang mit technologischen entwicklungen nicht mehr vorstellen können, als „dronen eine schönere form zu geben“, dann sollten wir heute noch alle unseren job an den nagel hängen. alle, die glauben, dass es noch mehr gibt, sind hoffentlich die zukunft unserer disziplin.
Neuropol
Die Frage, die sich Braungart stellt lautet: Wie können wir die Produkte so vermarkten, dass Konsument und Industrie ein gutes Gewissen dabei haben?
Nachhaltigkeit ist aber mehr, als umweltschädliche Stoffe zu vermeiden und die
Dinge ökologisch aufzupeppen (grün zu waschen).
Ein anderer Ansatz wäre z.B. Dinge zu produzieren, die sich durch Qualität und Langlebigkeit auszeichnen, so dass sie nicht alle zwei Jahre ersetzt werden müssen.
Das würde auch die Müllberge in Afrika verhindern, wo der gesamte europäische Elektroabfall deponiert wird.
Und wie gesagt, Fortschritt hält uns nicht davon ab, uns gegenseitig den Schädel einzuschlagen. Die Technologie kann es also nicht sein. Auch hier würde ich
andere Gründe suchen: Kampf um Ressourcen, ausufernder Wettbewerb,
unsoziales Profitdenken.
ber
Ähm, wer ist denn sonst Schuld daran? Glaubt Herr Fischer etwa, diese Entwicklungen sind nur Hirngespinste?
Davon abgesehen gibt es Beispiele, wo Nachhaltigkeit „groß“ und optimistisch gedacht wird. Das Architekturbüro Bjarke Ingels Group ist dafür wahrscheinlich das beste Beispiel:
http://inhabitat.com/big-unveils-a-waste-incinerator-ski-slope-for-copenhagen/
Florian Pfeffer
@ neuropol: ist eine knifflige sache, ich weiss.
wenn man sich mit braungart unterhält, stimmt das aber so nicht ganz, wie du es darstellst. sein ansatz geht dahin, dass müll gar nicht erst entsteht, weil es in einem geschlossenen kreislauf keinen mehr müll gibt. das ist schon ganz schön schlau gemacht – eben nicht „weniger schädliche stoffe“, sondern überhaupt keine … eine technologische fragestellung.
man kann sich natürlich die frage stellen, ob es so schlau ist, die instrumente mit denen wir uns die köpfe einschlagen, zu perfektionieren – frei nach stanisław jerzy lec: „ist es fortschritt, wenn ein kannibale eine gabel benutzt?“ aber helge fischer sagt ja auch, dass wir
haben sollten … wir müssen einfach bessere anwendungen für die gabel finden und nicht an ihr verzweifeln – eine aufgabe für designer.
Helge Fischer
Es ist genau diese kulturpessimistische Haltung, wie sie aus Kommentaren 2 und 3 spricht, die derzeit, so denke ich, ein Problem (nicht nur) in der Designerwelt darstellen. – Menschen führen Kriege, Menschen bewirken die globale Erwärmung und Menschen machen auch sonst viel verkehrt, alles richtig. Doch ist ein Verzweifeln darüber, die Flucht in Zynismus oder das Romantisieren von vermeintlich einfacheren früheren Lebenswelten gewiss nicht der richtige Weg, um aus der Krise zu finden.
Gerade Designer müssen – natürlich! – an die positive Gestaltbarkeit der Welt glauben, wie sollten sie auch sonst Transformationsprozesse anführen?! Design ist immanent optimistisch und muss es sein. – Und ja, natürlich spielt Technologie hier eine Rolle. Sie ist das Instrumentarium des Menschen und so wie wir sie für schlechte Dinge nutzen können, können und müssen wir sie nutzen, um Lebensbedingungen zu verbessern. Und es ist ja nicht so, als würden sich unsere Lebenswelten nicht auch immer wieder drastisch verbessern. Ernstlich zurück – z.B. in eine Welt ohne zeitgemässe medizinische Versorgung oder Medientechnologie oder oder oder – möchte auch niemand. Die grössten Belohnungen für die Menschheit sind im Bereich Forschung & Entwicklung zu finden und Designer müssen ihre Nähe suchen.
Neuropol
Das Polarisieren von Weltbildern und Haltungen, ist gewiss auch nicht der richtige Weg um aus der Krise zu finden.
Es geht auch nicht darum, an die positive Gestaltbarkeit der Welt zu glauben oder nicht. Es geht um allein um das wie.
ber
@F. Pfeffer:
Komplett auf schädliche Stoffe verzichten zu können und nur mit nachwachsenden Ressourcen zu produzieren halte ich für etwas naiv. Der Verbrauch von Energie oder Wasser wird dabei immer irgendwie eine Rolle spielen.
koni
Wer „Design als Medium zur Darstellung und partizipativen Bewertung von wahrscheinlichen oder möglichen Zukünften“ (ladet ihr inzwischen auch Kabarettisten zum CM?) nutzen zu können uns weißmachen möcht, der ist sicher auch nicht verlegen darum mir zu erklären woraus er aus Kommentar 3 kulturpessimistisches liest. Weil schlichtweg zu dünn und platt ist hier deshalb auch nicht mein Anliegen den Beitrag inhaltich zu diskutieren. Den Hinweis darauf, daß der Versuch, Banalitäten durch hochtrabende Formulierungen zu (eigenen?) wegweiseneden Erkenntinssen hochzustilisieren für mich so gar nichts (kultur)optimistisches hat, erlaub ich mir dann doch.
extrafett
= Bold Futures sind die besseren Designer
Der Text ist offensichtlich Marketing für das Designstudio der beiden. Kann man bringen – ist in dem Fall aber nicht sonderlich gelungen. Der Text ist zu dünn und teilweise widersprüchlich.
Mal ist Klimawandel etc. nur eine „Behauptung“ (siehe Originaltext), später wird eingeräumt der Mensch sei doch Zerstörer.
Einige wenige Beispiele müssen für die Generalisierung von bisherigen Projekten nachhaltigen Designs herhalten. Andere aufzuführen würde die Argumentation Fischers stören – ergo werden sie weggelassen.
Mit dem geforderten Optimismus und der Technologiegläubigkeit des Autors sind die negativen Auswirkungen der heutigen Ökonomie meiner Meinung nach nicht beizukommen. Die Ressourcenverteilung und der Zugang zu Märkten wird nicht von Designern entschieden – egal, wie wissenschaftlich sie sich geben mögen.
PS:
sich zwischen Pessimismus und Optimismus entscheiden zu können ist übrigens auch eine Freiheit.
Simon Wehr
Ich finde, es gibt immer wieder Designer, die sich und unsere Zunft etwas zu wichtig nehmen.
Ich versuche im Sinne meiner Kunden einen guten Job zu machen. Ich gebe mir Mühe, nur für Kunden zu Arbeiten, deren Produkte und Geschäftspraktiken ich auch selber vertreten kann. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Alle anderen Behauptungen über die Möglichkeiten und Aufgaben von Design finde ich selbstherrlich.
Wenn ich außerdem noch die Welt retten will, gibt es zahlreiche Organisationen, die genau zu diesem Zweck gegründet wurden.
Florian Pfeffer
@ Simon Wehr
In Deiner Logik dürfte es ein Projekt wie „OASIS“ nicht geben. OASIS ist eine von Architekten (!) in Brasilien entwickelte Methode, um in Gemeinschaften soziale Veränderungsprozesse auf kollaborative und generationenübergreifende Weise zu gestalten. Diese Methode ist mittlerweile erfolgreich aus der 3. Welt in die 1. Welt exportiert worden (da gibt es anscheinend was zu lernen).
Es dürfte Projekte, wie das Human Centered Design (HCD) Kit des Designbüros IDEO nicht geben. HCD fasst alle Erfahrungen von IDEO in der Arbeit mit NGOs in einem Handbuch zusammen. Durch die Methode HCD sind schon eine ganze Reihe von sozialen Innovationen entwickelt worden, bei denen die aktive Involvierung von Menschen auf lokaler Ebene im Mittelpunkt steht. Mit der Methode ist unter anderem das Blutspende-System des Roten Kreuzes effektiver gestaltet worden.
Es dürfte auch Projekte wie das Lapin Kulta Solar Kitchen Restaurant des spanischen Designers Marti Guixe nicht geben – um ein etwas humorvolleres und leichteres Projekt zu nennen, mit dem Menschen dazu angeregt werden über ihre Gewohnheiten nachzudenken.
All diese Projekte sind von Gestaltern mit Hilfe von Designmethoden entwickelt worden. In den ersten beiden Fällen ohne Auftraggeber – aus eigener Motivation. Bei all diesen Projekten geht es aber auch darum, das Konzept „Design“ zu überdenken (weg vom Ding/Medium und hin zum sozialen Kontext, den es zu gestalten gilt).
Das alles dürfte es nicht geben, weil das selbstherrlich ist.
Das schöne an Design ist doch, dass es so pluralistisch ist. Es ist so viel Platz für viele Haltungen und auf der Designwiese gibt es so viele schöne Blumen. Warum glauben so viele, dass das was sie machen (zum Beispiel für Kunden einen anständigen Job zu machen) so viel besser ist als sich zu engagieren und die eigene Disziplin weiter zu entwickeln – und zwar genau mit den MItteln die man am besten beherrscht (Design) und die hierfür durchaus geeignet sind? Warum soll Design etwas sein, das nur der Wirtschaft zugute kommt oder irgendwelchen kulturellen Institutionen (Kunden)? Wer sagt, dass sich Design nicht weiter entwickeln könnte und auch in anderen Bereichen (zum Beispiel im sozialen Bereich) sinnvolle Dinge anrichten könnte? Vielleicht ginge das, wenn man Design anders denken würde als bisher? Wäre das so schlimm? Die Beispiele (und ich könnte die Liste noch viel länger machen) zeigen, dass das geht und von Designern erfolgreich praktiziert wird … hält das irgendjemanden davon ab, für Kunden gute Projekte zu machen?
Diese ganze Diskussion darum, dass „Design nicht die Welt retten wird“ ist doch total schief (und nicht ohne Zynismus). Es gibt niemanden, keine Disziplin, keinen Berufsstand und keine einzelne Idee, die die Welt retten wird. Die Politik wird die Welt nicht retten, die NGOs werden es nicht tun, die Wirtschawft nicht es nicht tun und natürlich wird auch Design die Welt nicht retten. Das wird eher eine gemeinsame Anstrengung von vielen sein … wollen Designer wirklich die einzigen sein, die sich im Sinne ihres Berufes in dieser Angelegenheit für inkompetent erklären?
Florian Pfeffer
Design als Medium zur Bewertung von wahrscheinlichen oder möglichen Zukünften – made by Audi (gänzlich kabarett-frei) – diskutiert von John Thackara, Jury Mitglied des „Audi Urban Future Award“ (ehemaliger Leiter des Niederländischen Designzentrums, Organisator des legendären Designkonferenz „Doors of Perception“, Design-Kritiker und Experte für nachhaltiges Design):
http://observatory.designobserver.com/feature/from-autobahn-to-bioregion/36968/
philipp
Simon Wehr behält Recht, wenn man ihn genau liest. Er spricht sich gegen Behauptungen von Designern aus, nicht gegen ihre Taten.
Simon Wehr
Wir brauchen eine Definition von »Design«? Ein Restaurant mit Solarkochern ist für mich nicht »Design«. Das Äußere Erscheinungsbild desselben wird durch Design geprägt. Im Kern bleibt es … ein Restaurant, oder?
Ich sehe mich mit meiner Ausbildung als Grafikdesigner, früher auch Formgestalter genannt. Dass ich trotzdem Dinge in der Welt ändern kann ist ja wohl klar. Aber das tue ich als »Mensch«, nicht weil ich Designer bin. Das ich dann die Fertigkeiten einsetze, die ich am besten beherrsche ist logisch, sofern sie denn gebraucht werden. Wenn ich eine supertolle, hocheffiziente Lawinenschaufel gestalte sind es immer noch die Menschen der Bergwacht die Leben retten, nicht die Designer! Das meine ich mit zu wichtig nehmen.
Ich habe für offensichtlich eine sehr angewandte Ausbildung genossen deshalb eine ganz ernst gemeinte Frage:
Was sind » Designmethoden«?
Florian Pfeffer
@Simon Wehr – sorry, aber das wird ein längerer Post – ich krieg’s nicht kürzer hin … Was sind Designmethoden?
Wenn ich ein Plakat entwerfe, benutze ich eine bestimmte Methode – die Methode des Entwerfens: Recherche, Skizze/Visualisierung, Prototyp, Kritik/Evaluation, Modifikation etc. etc. … Implementation. Diese Methode kann ich – außer auf das Gestalten eines Plakates – auch auf andere Aspekte des menschlichen Denkens und Handelns anwenden (ist eigentlich ein alter Hut).
Ein Beispiel: Eine Designerin könnte vor der Aufgabe stehen, eine Lösung für das Problem zu finden, daß viele Kaffeebauern rund um den Globus einen zu geringen Ertrag erzielen, weil sie bei der Bekämpfung von Schädlingsbefall oder Bodenerosion auf umweltschädliche, kurzfristige Mittel zurückgreifen.
Die Designerin könnte nun eine klassische Aufklärungskampagne in Form von Plakaten oder einer Website entwerfen, die die Kaffeebauern auf bessere Methoden hinweist mit dem Ziel, das Wissen um schonendere und langfristig effektivere Alternativen in den Produktionsprozess von Kaffee einfließen zu lassen. Das wäre das, was sie als „Formgestalterin“ gelernt hat – mit Logo, Key Visual, etc. etc. etc. Aber: Wäre das auch effektiv? Oder sollte sie den Auftrag ablehnen, weil das keine Aufgabe für Designer ist?
Die Designerin könnte stattdessen den Auftrag annehmen und aufgrund ihrer Recherche zu der Erkenntnis gelangen, daß viele Bauern durchaus wissen, wie vieles besser geht. Das Problem ist aber, daß nicht alle Bauern alles wissen und keiner weiss, was die anderen wissen. Anstelle eines Plakates könnte sie nun (zusammen mit vielen anderen Experten und den Bauern selbst) eine SMS-gestützte Kommunikationsplattform entwerfen, mit der die Kaffebauern weltweit Wissen austauschen können. Das wäre effektiver und glaubwürdiger als ein Plakat oder eine Website und wurde so gemacht von der Kommunikationsdesignerin Nat Hunter, die das Projekt „We Farm“ auf der letzten Typo vorgestellt hat. Eine gute Lösung, die in der Praxis erfolgreich ist und mit Hilfe von Entwurfsmethoden entwickelt wurde – Welt retten: check! Es gibt viele Leute, die so etwas als „Design“ bezeichnen – unter anderem Nat Hunter selbst.
Genauso kann der Designer Marti Guixe ein Restaurant entwerfen, mit Erscheinungsbild, handgeletterter Typo, Rezepten, Solarkochern, Einrichtung und den dazugehörigen Regeln, wie das Restaurant funktionieren soll. Es gibt Designer, die würden ein Plakat machen, um Fragen über unser Verhältnis zur Natur zu stellen (vielleicht mit einer Info-Grafik drauf, wieviel Wasser man braucht, um ein Schnitzel herzustellen) – fair enough. Marti Guixe gestaltet ein Restaurant. Wo ist das Problem? Hat Marti Guixe jetzt aufgehört, Designer zu sein? Natürlich ist er auch noch Mensch – aber die Lösung hat er (und Nat Hunter) als Designer gemacht. Dafür sollte man Design feiern! Design ist eine Super-Sache!
Was dem einen seine Lawinenschaufel, ist dem anderen sein Restaurant. Beides sind Tools für andere Menschen, sich sinnvoll zu betätigen: Lawinenopfer ausgraben, Einstellung ändern, lernen, Planeten retten … was ist der Unterschied?
Wenn Du nun sagst: „Das will ich nicht. Ich beschränke mich als Designer auf das Entwerfen der äußeren Erscheinung.“, dann ist das eine legitime Haltung. Über diese Haltung kann man streiten, man kann sie kritisieren – aber sie ist im Grundsatz legitim, schon alleine deshalb, weil es einen Markt dafür gibt. Du benutzt aber Deine Haltung als Argument, um anderen, die eine andere Haltung haben, die Legitimation als Designer abzusprechen. Wenn Du noch dazu sagst, daß alles andere außerhalb Deiner Definition „selbstherrlich“ ist, dann diskreditierst diese Anderen auch noch. Ich glaube deshalb, daß eine solche Definition von Design eher schädlich wäre als daß sie nutzt, weil sie Design darin behindern würde, sich weiter zu entwickeln. Design definiert sich von alleine durch den Entwurf – der Entwurf muss den Beweis antreten, dass er funktioniert – ob nun klassische Formgestaltung oder was auch immer, das ist doch egal, oder? Als John Cage seine ersten Erfolge als Komponist gefeiert hat, haben auch viele „alte“ Musiker behauptet, der Klang eines LKWs sei keine Musik, sondern Lärm.
Ich gehe aber noch weiter: Ich bin davon überzeugt, dass der Markt für die Beispiele, die ich genannt habe in Zukunft um ein Vielfaches größer sein wird, als der, den Du gerade beackerst (die Gründe dafür liegen auf der Hand). Das ist nicht schlimm – auch die Nische kann ein guter Platz sein. Wir haben jetzt die Wahl: Wir können uns einen Platz in diesem (für Designer möglicherweise neuen) Markt ergattern, indem wir behaupten (!) und beweisen, daß wir als Designer relevante Lösungen erzeugen können. Oder wir können bei jovoto mitmachen (ist überspitzt, ich weiss).
koni
Kann er, klar, kann er. die Frage ist: was qualifiziert ihn dazu. Kann der Glasaugenmacher auch machen, oder der Unterwasserschweißer. Klar. Eh. Jeder wie er mag. Ich (als Designer) hol mir aber bei komplexen Projekten kompetente externe Hilfe. Ich mag mich jetzt nicht auch noch schlau (bin eh schon so unendlich klug) machen müssen die Regeln wie ein Restaurant funktionieren soll betreffend. warum auch. Bin ausgelastet genug mit dem, was ich kann. Daß es mehr ist als Plakate malen und es auch die Aufgabe des Designers ist, für ein Kommunikationsproblem ein geeignetes Medium zu finden, mag jetzt für den einen die Nutzung von Design als Medium zur Darstellung und partizipativen Bewertung von wahrscheinlichen oder möglichen Zukünften sein, für mich ist es banal. Ich brauch auch kein hochtrabendes Marketingverbalgeschwulst für Selbstverständlichkeiten wie jene, daß Design natürlich auch ein gedanklicher Prozess ist. Sorry, nein, Design wird nicht durch blankes Geschwätz neu erfunden.
philipp
Ich ziehe es vor mich (im Sinne meines Berufes Designer) als Entscheider über eine tatsächliche Zukunft denn als »Bewerter möglicher Zukünfte« zu verstehen. Der Plural von Zukunft ist doch Unsinn. Es gibt nur eine Zukunft, deswegen müssen wir uns ja ständig entscheiden. Wenn wir das nicht tun und uns stattdessen in hypothetischen Szenarien ergehen, entscheiden derweil andere, die sich nicht wie wir (zumindest nach meinem Designverständnis) dem Wohl möglichst vieler Menschen verpflichtet fühlen.
Simon Wehr
Ich hab ja nichts dagegen, wenn Menschen tolle Dinge tun. Und wenn diese Menschen ganz nebenbei auch noch studierte Designer sind, super. Aber diese Menschen machen doch nicht all diese Projekte, weil sie Designer sind! Sie machen das, weil sie tolle Menschen sind. Sie machen die Projekte mit dem was ihre Köpfe hergeben.
Mir kommt es oft so vor, als gäbe es Designer die was tolles machen und sich dann auf eine Bühne stellen und rufen: Seht was Designer tolles können, dank Design! Das finde ich selbstherrlich, denn im Prinzip machen sie doch nichts, was andere einfühlsame, intelligente und kreative Menschen nicht auch tun würden: Gängige Lösungen hinterfragen, neue Ideen entwickeln und umsetzen. Das ist toll. Das ist auch harte Arbeit. Das verdient Anerkennung. Aber wenn ein Zahnmediziner das Solarrestaurant erfunden hätte, würde dann jemand rufen: »innovative Zahnmedizimethoden können die Welt retten!« Lasst uns die Zahnmedizin feiern??
Aber mir kommt es oft so vor, das einige behaupten, nur Designer könnten das. Oder Designer könnten es besser.
Lasst uns die Welt retten! Lasst uns alles in den Ring werfen, was wir haben! Aber lasst es uns doch bitte als Menschen tun, nicht als Berufsstand, das ist es, was ich meine.