Es reicht jetzt mal, mit den Hitler-Kalauern

Was ist nur den deut­schen Werbern in den Kopf gestiegen? Wie die Herdentiere rennen sie einem jungen, deut­schen Kultur-Phänomen hinterher, dass schon im Dezember letzten Jahres mit Dani Levis Film »Mein Führer« nicht mehr witzig war: lachen über Hitler. Der kluge Hauptdarsteller Helge Schneider hat das zwar etwas spät gemerkt, aber er hatte wenigs­tens die Chuzpe, zu erkennen und es auszu­spre­chen: »Ich kann über diese Hitler nicht lachen«.

Spießer Alphons regte sich dann vor zwei Tagen zu recht darüber auf, dass sich ein unsäg­lich dämli­cher Funkspot der Werbeagentur Flemming Pfuhl für die Buchhandlung Cohen und Dobernigg einer Hitler-Persiflage bedient, um einen Reiseführer anzu­preisen: »Hitler als Testimonial in der deut­schen Werbung ist so dämlich, dass es kaum noch zu unter­bieten ist.« Damit nicht genug: Der Art Directors Club würdigt den Blödsinn (hier anzu­hören) auch noch mit einem silbernen Nagel.

Eben erfahre ich über das medi­en­hand­buch, dass die Agentur Kempertrautmann eine zwei­sei­tige Printkampagne für den Viacom Germany Ableger Comedy Central entwi­ckelt hat, in der ein nackter Hitler als Lachnummer auftritt (hier anzu­sehen). Eigenzitat: »Die Doppelseiten sollen beweisen, dass es Comedy Central in Sachen Humor richtig ernst meint.« Auch wenn das ein ironi­sches Wortspiel sein soll … so lange ist das gar nicht her, dass man in Deutschland nur auf Kommando lachen wollte. Oder wie es der kriti­sche Mainzer Karnevalist Herbert Bonnewitz formu­liert hat: »Schluss ihr Leut’, genug gelacht, jetzt wird’s ernst: ’s ist Fassenacht!«

Leider macht die Hitler-Travestie auch nicht vor meinem aktu­ellen Lieblingsschauspieler Christoph Maria Herbst halt (er und ich am vergan­genen Freitag), der zwar »nur Ausführender« ist … aber dies Art der Distanzierung gilt in Deutschland nach 1945 nicht mehr: Christoph, Du hast einen Zacken weniger in meiner Krone. Auf der Wixxer-DVD wirbt er als »Hatler« (seine Wixxer-Rolle) in unver­wech­sel­barer Manier gegen das Raubkopieren (hier anzu­sehen), und vor den Kinoaufführungen des 2. Teils (»Neues vom Wixxer«) fordert er den Saal in einem Hitler-Kurzfilm zum Ausschalten der Handys auf (hier anzu­sehen).

Ich kann über diesen Mist nicht mehr lachen … nicht, weil man über Hitler nicht lachen dürfte, ganz im Gegenteil. Doch das infla­tio­näre Werben mit der Hitler-Figur macht jeden neue Versuch von vorn­herein zum Abklatsch, zu einer abge­lutschten, billigen Nummer. Hat sich denn niemand die Rechte an der Figur gesichert?

Nick Blume ist es auch leid: Skandalwerbung beim ADC.


20 Kommentare

  1. simon

    Jawoll! (Tschuldigung)
    Ich finde es einer­seits beru­hi­gend, dass sich der Umgang mit unserer Vergangenheit entspannt und man inzwi­schen über Hitler lachen kann und darf.
    Aber dass Hitler jetzt zu einer Witzfigur verkommt, halte ich eben­falls für gefähr­lich und dass es auch zu so einer Modewelle kommt, lässt mich fast zwei­feln, ob wir Deutschen aus unserer Geschichte wirk­lich so viel gelernt haben.
    Manchmal würde ich mir von der Werbung ein biss­chen mehr Takt und Umsicht wünschen, ehrlich gesagt.
    Ach, und: Was war noch gleich komisch an Adolf Hitler ..?

  2. Nicolas

    Das einzige, was von Hitler übrig bleibt, sind ein paar schlechte Witze. Das ist doch toll, warum regt ihr euch auf? Hitler als Witzfigur, die jedem auf die Nerven geht – besser könnte man dieses schwarze Kapitel den nächsten Generationen doch gar nicht vererben.

  3. HD Schellnack

    Satire ist De-Mystizierend, finde ich. Schon Brecht hat sich über den Anstreicher lustig gemacht. Völlig okay. Vielleicht finden es dann ein paar Leute weniger cool, auf den Neofasch-Zug zu springen und suchen sich andere Idole. Hitler muss auf keinen noch so wohl­mei­nenden Sockel, sondern schön runter, wo er dann mit Honecker auf einem Level landet, wie sich das gehört. Abbot & Costello meet Hitler olé.

  4. robertmichael

    http://​www​.daserste​.de/​c​m​s​p​i​x​/​b​i​l​d​g​a​l​e​r​i​e​/​z​o​o​m​_​4​0​0​_​3​0​0​_​1​2​0​8​2​0​0​5​5​7​8​1​8​3​.​jpg

    harald schmidt hats auch schon getan.
    ich kann darüber auch nicht mehr lachen, vorallem wenn es so schlecht darge­stellt wird, wie es von einigen getan wird. ich denke das ist eher eine art der »vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung«. auf der anderen seite finde ich es inter­es­sant, wie ausländer mit dem thema umgehen. der deutsch­türke ›serdar somuncu‹ (www​.somuncu​.de) liest »mein kampf« und hat in seinen auftritten auch oft »hitler­ver­ar­schungen« im programm, gefällt mir.

    besser könnte man dieses schwarze Kapitel den nächsten Generationen doch gar nicht vererben. 

    na ich weiss nicht. und dann frage mal in ein paar jahren die klin­ge­ton­ge­ne­ra­tion auf der straße wer hitler war. »ach hitler, ich glaube der war sehr lustig« :-/

  5. jamie oliver

    Walter Moers’ »Adolf – Die Nazisau« (Comic 1998) hat das Thema damals im Grunde genommen schon ausge­reizt. Da lässt einem die Sache heute doch kalt.

  6. Nicolas

    @robertmichael: Ein biss­chen Geschichtsunterricht wird selbst die Klingeltongeneration mitbekommen.

  7. Alex

    Stimme HD voll und ganz zu. Bedenklich ist trotzdem, daß garan­tiert viele Jugendliche außer den Spots/Comics kein weiter­füh­rendes Geschichtswissen haben.

    Und zu den Trittbrettfahrern in der Werbung:
    Ich zumin­dest schaue mir kaum noch die ADC-Bücher durch, aus eben solchen Gründen. Die Werbung hat sich eine eigene Welt geschaffen in der eigene Regeln gelten.
    Allein daß es schon einen typi­schen »Lürzers-Stil« oder »das könnte im ADC-Buch sein« gibt finde ich idio­tisch. Ehrlich gesagt finde ich auch viele der Kampagnen auf ibel​iev​einadv​.com schlecht.

    Aber es gibt ja auch die posi­tiven Fälle, z. B. das hier: meine Lieblingswerbung zur Zeit (auch wenn man seeehr genau hinsehen muss) http://​www​.ibel​iev​einadv​.com/​2​0​0​7​/​0​3​/​u​n​i​c​e​f​-​sos

  8. robertmichael

    hmm. es gibt sicher solche und solche.
    mir erzählte ein kumpel neulich von inter­es­santen antworten bei einem vorstel­lungs­ge­spräch auf die frage wieviel bundes­länder es gibt, wann die deut­sche einheit war usw. oder beim quiz­taxi. haupt­stadt von schleswig holstein = leipzig. argh!

  9. David

    Ich finde auch, dass Hitler als Witzfigur langsam mehr als ausge­reizt ist. Einmal: okay. Aber dass nun jede Provinz-Werbeagentur dieses in der Tat aufmerk­sam­kei­ter­re­gende Motiv wählen muss, grenzt langsam schon an Perversität.

    Nicht zuletzt sollte man auch an die Angehörigen von NS-Opfern denken – wie muss sich z.B. ein in Deutschland lebender oder durch Deutschland reisender Jude fühlen, dessen Eltern oder Großeltern im KZ umge­bracht worden sind, und dem jetzt an allen Straßenecken Hitler als Komiker entge­gen­grinst? Nicht beson­ders gut, nehme ich an…

    Ebenso nervig finde ich übri­gens diese nicht enden wollenden Doku-Soaps über Hitler, meist auch noch im ZDF. Wichtig ist es ohne jeden Zweifel, die Kriegsverbrechen aufzu­ar­beiten und immer wieder die Grausamkeit dieses Mannes zu verdeut­li­chen. Aber möchte ich nun wirk­lich alles über sein Privatleben erfahren? Hinter solchen Dokumentationen steckt doch schon fast eine gewisse Faszination für die Person Hitler! Auch sowas muss einfach nicht sein, finde ich.

  10. Karl

    Ich will über Hitler lachen, ob ein Sketch jetzt gut geschrieben wurde oder nicht ist mir einerlei, weil Vergurken auch immer eine Form von Verarbeitung ist. Ich will dieser Figur keinen Raum gönnen. Sicherlich kann man ein Thema ausreizen, dann regt mich das aber auch nicht auf, das ist einfach nur schlechte Kreation und genauso schnell wieder Weg wie die Frau mit dem Maschendrahtzaun.

    Es regt mich auf wenn ich 15jährige Schulkinder mit Basecap und Baggypants seh auf denen dann noch NS Aufnäher sitzen und Skins glei­chen Alters und fehlendem Respekt den Schulausflug zu Gedenkstätten wie Buchenwald unter­nehmen. Denen soll sehr gern eine Witzfigur übrig bleiben.

  11. Alex

    Um ehrlich zu sein, fand ich den Kinospot zum Handyausschalten im Kino sehr amüsant… lag sicher­lich auch am Schauspieler, aber trotzdem… ;-)

  12. Julius

    Das schlimme an diesem ADC-Radiospot war doch im Grunde nicht, das Hitler als Witzfigur herhalten muss, sondern dass es eben gerade nicht beweist, was die Kategorie zeigen sollte. Es gibt noch gute Radiowerbung. Der Funkspot ist so platt und einfallslos… den Gedanken kann man mal in einer Brainstorming-Runde raus­lassen, damit er aus dem Kopf ist. Aber das bis zum Schluß durch­zu­ziehen und zu produzieren…
    Führer=Führer … *hihi* … -ich weiß nicht.

  13. Stefan

    Der Radiospot war grau­en­haft, schlecht gespielt und über­zogen lang. Aber meiner Meinung nach hat Comedy Central nichts falsch gemacht: es wird drüber geredet und darum gehts ja.
    Hitler als Werbefigur seriös einzu­setzen ist voll­kommen absurd, aber Satire darf bekannt­lich alles und das ist auch gut so:
    https://​www​.titanic​-magazin​.de/​s​h​o​p​/​i​m​a​g​e​s​/​d​e​f​a​u​l​t​_​s​h​o​p​/​0​2​0​7​H​i​t​l​e​r​A​n​t​i​s​e​m​i​t​P​K​.​jpg
    Ich bin eher dafür, dass die Deutschen weiter mit dem Thema expe­ri­men­tieren, wenns in die Hose geht, gibts halt eine entspre­chende Reaktion der Öffentlichkeit.
    Eine pauschale Verneinung von Hitler als Thema außer­halb des Geschichtsunterrichts ist Schwachsinn.

  14. Jürgen

    Hitler-Nagel: Der ADC antwortet Spießer Alfons … und Spießer Alfons antwortet zurück (ebd.).

  15. Franoukwel

    Am wich­tigsten finde ich, dass man unbe­dingt weiter über die extrem inter­es­sante Person Adolf Hitler disku­tieren sollte. Schliesslich hat er es fertig­ge­bracht, ohne jegliche Mithilfte Dritter die ganze Welt in die Scheisse zu reiten. Das ist doch eine reife Leistung! Und wenn man damit beschäf­tigt ist, die Psyche dieses hoch­in­ter­es­santen Unmenschen zu analy­sieren und zu debat­tieren, ob man über ein so böses Wesen denn wohl lachen dürfe, braucht man sich auch nicht mit weniger bequemen Fragen ausein­an­der­zu­setzen. Find‘ ich gut!

  16. Marc

    Deutschlands »Kreative« scheinen es nicht mit den zu Kriegszeiten emigrierten »Kreativen« aufnehmen zu können: Chaplins »Der große Diktatur« und Lubitschs »Sein oder Nicht sein«; Unerreichte Persiflage, Satire, Komik und Tragödie. Trotzdem schön weiter üben – wird schon. Allerdings emfinde ich den Madeira Spot eher absto­ßend. Ich brauche keinen Madeira-Führer!

  17. Lars M. Lehmann

    Ich finde den Spot grot­ten­schleckt. Das passt irgendwie nicht zu einer schönen Urlaubsreise… Dass wir mit unserer Vergangenheit nun auch etwas entspannter umgehen sollten, ist eine wichtig und rich­tige Debatte. Aber viel­leicht wäre auch das Thema: Webe-Ethik ein wichtig Thema. Auf jeden­fall hat der Spot keinen Nagel verdient.

  18. david

    man muss zwischen hitler und seinen taten unterscheiden
    seine taten waren schreck­lich und nicht zum lachen
    er selber jedoch war eine reine witzfigur

    wer diesen unter­schied kennt darf guten gewis­sens über hitler als mensch lachen

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