Ein großer Tag für die Kleinbuchstaben
Die Stadt New York gab gestern bekannt, dass sie ab sofort alle in Versalien beschrifteten Straßenschilder gegen gemischt geschriebene Fassungen austauscht – insgesamt sind das 250.900 Schilder. »Broadway statt BROADWAY zu schreiben kann Menschenleben retten«, schreibt die für die Beschilderung verantwortliche Federal Highway Administration in ihrem aktualisierten Handbuch Uniform Traffic Control Devices, und unterstreicht die bessere Lesbarkeit der Gemischtschreibung. Diese (späte) Erkenntnis schlägt mit 110 Dollat pro Schild zu Buche, macht 27,6 Millionen Dollar Gesamtkosten. »In der Bronx haben wir bereits mit dem Austausch begonnen«, berichtet Transportation Commissioner Janette Sadik-Khan der New York Post. In 12 Monaten seien 11.000 Schilder ersetzt, im Jahr 2018 seien alle Beschriftungen ausgetauscht.
22 Kommentare
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Frank Meier
Lebensrettende Kleinbuchstaben? WoW
Diese Erkenntnis nehme ich Zukunft (mit Zitat) ins Meeting, wenn mal wieder einer mit Versalien schreit.
R::bert
Weiß jemand, wie es überhaupt erst zu der Versal-Schreibweise kam? Das sind doch eigentlich typografische Grundlagen, die hier scheinbar gerade erst entdeckt wurden.
Jürgen Siebert
Häufige Betrachtungsweise typografischer Laien: Versalien sind größer (höher) und damit besser lesbar.
Milchmädchenrechnung: Denn weil Versalien auch breiter laufen, greift man am Ende zu Condensed-Schnitten, die noch mal schlechter lesbar sind als Normalschnitte. D. h.: doppelte Verschlechterung der Lesbarkeit durch schwierige Unterscheidung der Buchstabenformen (Versalien, keine Ober- und Unterlängen) plus Verengung.
R::bert
Sehr einleuchtend erklärt. Danke.
Aber könnte es nicht auch sein, es hat auch etwas mit dem historisch gewachsenen amerikanischen Grafikdesign zu tun und der damit oft und gern genutzten Versal-Schreibweise?
Wie auch immer, dieser Fall hier ist in der Tat ein schönes Argument Deiner angeführten Milchmädchen-Rechnung den Gar aus zu machen : )
Georg
Manchmal geht eben Ästhetik vor Funktion. (in diesem Fall nicht) Versalien sehen einfach oftmals besser aus und man hat ein kompakteres Schriftbild.
Ralf Herrmann
Wenn man – wie immer wieder mal gemacht – Buchstaben wissenschaftlich auf Lesbarkeit testet, kommt tatsächlich heraus, dass Großbuchstaben besser lesbar sind als Kleinbuchstaben.
Wie Jürgen schon andeutet, unterschlägt das natürlich den deutlich größeren Platzbedarf, der sich beim Setzen von Wörtern dann wieder negativ auswirken würde.
Die amerikanischen FHWA-Alphabete waren ursprünglich auch reine Versalschriften. Das war Anfang des 20. Jahrhunderts ganz selbstverständlich, nicht nur in Amerika. Die Verkehrsalphabete wurden von technischen Zeichner auf dem Reißbrett schön geometrisch konstruiert. Designer und Typografen waren an diesen Entwicklungen selten beteiligt.
Max
Die Stadt New York kann doch bestimmt beliebte Straßenschilder zu recht hohen Preisen versteigern. So kommt ein Teil des Geldes zurück in die Kassen…
Ole
@ Jürgen
… als Schmalschriftliebhaber ein kleiner Widerspruch; Condensedschriften sind nicht grundsätzlich schwerer zulesen, es kommt immer auf die Individualität der Zeichenformen an (vor allem bei Versalien). Wenn man es richtig anstellt, kann eine schmale Schrift problemlos besser zu lesen sein als eine Normalschrift – man muss sie allerdings besser setzen …
Oliver Adam
@Ralf Herrmann
Kannst Du die Quellen nennen?
R::bert
@ Oliver Adam
Bin mal so frei (zumindest eine Quelle): http://en.wikipedia.org/wiki/FHWA_Series_fonts
@ Ralf Herrmann
Danke. Das ist eher nachvollziehbar.
@ Ole
Deine FF Zine ist hervorragend! (Musste ich mal loswerden.)
Oliver Adam
@ R::bert
Danke. Ich meinte jedoch eher die Untersuchungen zur generellen Lesbarkeit von Majuskeln vs. Minuskeln.
Ole
@ R::bert
Danke, weiter so … Lob kann ich unbegrenzt entgegennehmen.
Hannah Montana
Vielleicht wäre das Geld besser in der Bronx angelegt. Die könnten es wohl nötiger gebrauchen als neue Straßenschilder.
Jo
27.6 Mio…
Wir reden hier über die Lesbarkeit von 1 bis 3 Wörtern pro Schild. Nicht über in Versalien gesetzte Fließtexte.
Jürgen Siebert
Versteh’ ich nicht. Ob ein oder drei Wörter auf einem Schild stehen ist doch egal: der Austausch kostet 110 Dollar/Schild. Wenn da noch einige hundert altersschwache dabei sind, relativiert sich der Millionenbetrag wieder (Wartungskosten).
Die gesamtwitschaftlichen Einsparungen werden sich schwer berechnen lassen.
Wer selbst schon mal in einer fremden Stadt mit dem PKW unterwegs war weiß, wie wichtig gut lesbare Straßenschilder beim Suchen einer Zielstraße sind. Mit gut lesbar meine ich nicht für Fußgänge und Radfahrer, sondern für sich mit bis zum 50 kmh bewegendes Augenpaar. Der Schaden für einen Auffahrunfall kann die Haftpflichtversicherungen mit mehreren tausend Euro/Dollar belasten … vom Ärger und von Verletzungen ganz zu schweigen.
Jo
In London sind übrigens auch alle Straßennamen in Versalien gehalten. Schwarze Typo auf weißem Grund, absolut gut lesbar. Wahrscheinlich sind die NYC Schilder auch darum schlecht(er) lesbar, da sie weiß auf grün sind. Ab und an sieht man in L auch „invertierte“ Schilder, also weiß auf dunkel, die um einiges schwerer zu lesen sind. Man kann viel darüber philosophieren, was allein vom typografischen Regelwerk hier richtig wäre. Man muss wohl die New Yorker fragen, ob das ihnen nun den Alltag leichter macht.
Ralf Herrmann
@Oliver
Am 7.12. halte ich an der HTW Berlin noch einmal meinen Vortrag zu »Schrift auf Verkehrszeichen«. Einfach vorbeikommen! Da werden diese Mythen um Versalsatz vs. Gemischter Satz, Antiqua vs. Grotesk etc. im Kontext von Beschilderungen nochmal ausführlich besprochen.
Oliver Adam
@Ralf
Danke für den Tipp! Termin notiert, ich komme :-) .
Udo Schmitz
Die Kosten werden bei ca. 0 (in Worten: Null) US-Dollar liegen. Der Austausch war bundesweit eh bis 2018 abzuschließen und die durchschnittliche Lebensdauer eines Straßenschildes in NY liegt bei 3 (in Worten: Drei) Jahren. Also es wird weiter ganz routinemäßig erneuert, nur halt jetzt mit den neuen Schildern mit Kleinbuchstaben.
Franoukwel
Seufz. Ob es wohl auch wissenschaftliche Untersuchungen darüber gibt, ob von Schriften wie der georgischen, der hebräischen oder der chinesischen eine besser lesbar ist als die andere?
Johannes Erler
@ jürgen: jetzt verstehe ich, was du am freitag am telefon mit »kleinschreibung« meintest ;-) ich erinnerte nicht, dass in NY ausschließlich versal geschrieben wurde und dachte, du meintest, dass zukünftig alles, also auch der erste buchstabe, klein geschrieben würde – was ich dann doch etwas merkwürdig fand. aber so macht es natürlich sinn.
Yanone
Ripp-Off dieses Artikels inklusive Kommentare im Schlusslicht auf tagesschau.de.