Die neue Bergmannstraße (Berlin Kreuzberg)
Biege ich morgens in die Bergmannstraße ein, bin ich unmittelbar gut gelaunt, gerade wenn die Sonne so schön in die Häuserschlucht hinein scheint wie heute. Seit einigen Tagen ist der »Kudamm Kreuzbergs« in Höhe der Baumkronen mit bunten Wimpeln geschmückt – das neue Markenzeichen des Bergmannkiezes. Mir gefällt das. Die Anwohner sagen: »Es soll ein Gefühl der Verbundenheit ausdrücken.«
Die Idee entstand anlässlich des jährlichen Straßenessens Lange Tafel, eine 2006 von der Schauspielerin Isabella Mamatis initiierte soziale Aktion. Ziel ist die Kinder- und Jugendförderung sowie der Ausbau vorhandener sozialer Ressourcen im Kontakt mit der älteren Bevölkerung: Beim Pastamahl an einer langen Tafel kommen die Generationen ins Gespräch.
In Hof der Bergmannstraße 102 – der Heimat von FSI, FontShop, fStop und FontFont – eröffnet morgen ein neuer dm-Drogeriemarkt, die Wohlfühl- und Service-Alternative zu Abtörnern à la Schlecker & Co. Die Innenarchitektur ist wegweisend und kundenfreundlich, das Sortiment vielversprechend: Digitalfotoservice, Mobilfunk und Prepaid, Haushalt, Müslis, Getränke, Hautanalysestation, Arzneimittelbestellung und -abholung, medizinische Schuheinlagen, Feinstrümpfe, Socken – ich werde Stammkunde.
Ach so, ja: In der Bergmannstraße hängen die spektakulärsten Wahlplakate der Republik. Angefangen vom Busenplakat (Merkel/Lengsfeld, CDU) über Gerd Seyfried (Christian Ströbele, Grüne) bis hin zum »bissjen verrückten« Nachwuchspolitiker (Björn Böhning, SPD).
22 Kommentare
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Michael Müller-Hillebrand
Und jetzt müsste man noch in einer Seitenstraße wohnen,… wirklich schön dort!
Daniel
Einzig an das heftige Flattern der Wimpel bei böigem Wind muss ich mich noch gewöhnen. Da rutscht der Kopf instinktiv in der Erwartung eines heftigen Platzregens zwischen die Schultern ;)
Tanja
dm ist schon was feines. Als ich es zum ersten Mal in Österreich erlebt habe, war ich auch sofort begeistert. Und auch dementsprechend froh, dass es so schnell nach Deutschland kam. Was mich nur etwas irritiert ist, dass bei uns in der Wilmersdorfer Straße gleich 3 dm-Drogerien sind.
Mark S
Wird das verlinkte Seyfried-Plakat in Kreuzberg noch geklebt? Da gibt es doch schon ein neues!
Benjamin Hickethier
…sehr empfehlenswert: die Seyfried-60-jahresbände bei Zweitausendeins. Die sollte es auch versandkostenfrei beim Fontshop geben!
die Comics – alle
die Werke – alle
Jürgen Siebert
@ Mark S: Du hast recht, das von Dir verlinkte Plakat ist das aktuelle.
smyts
Schick bei Euch, wie sympatisch :)
Jürgen Siebert
Diese Forderung führe ich auf einen temporären Blackout infolge Hitze oder Überarbeitung zurück ;-)
Simon Wehr
Nein, nein, aus typo und grafischer Sicht ist das doch Fachlektüre!
Jürgen Siebert
Gut, dann baue ich Euch eine Eselsbrücke: Warum ist das (Buch-)Konzept von Zweitausendeins bedenklich. Ich wundere mich, warum vor allem Linke auf Zweitausendeins abfahren.
Benjamin Hickethier
»warum vor allem Linke {!} auf Zweitausendeins abfahren.« äh… ich glaube, ›abfahren‹ schliesst ganz schön den Kreis zur Bergmannstraße.
Jürgen Siebert
OK: Die Verlags- und Vertriebspolitik von Zweitausendeins ist offensichtlich nur wenigen bekannt, ich will ich sie mal kurz zusammenfassen.
Der 1969 im Frankfurt Studentenviertel gegründete Laden verkaufte zunächst kuriose Geschenke und verramschte preisreduzierte Restauflagen von Büchern und Schallplatten. Anfang der 70er Jahre druckte Zweitausendeins erstmals vergriffene Bücher nach, Mitte der 70er Jahre startete man als Hausverlag der 68er Generation mit einem eigenen Programm – ich habe es miterlebt, weil ich zu dieser Zeit in Frankfurt studierte.
Das spaßige »Merkheft« wurde bald Kult und immer wieder kopiert. Ist ja auch alles wunderbar: preiswerte Bücher, oftmals schön ausgestattet, die Herausgabe kompletter Zeitschriftenjahrgänge (Akzente, Mad, Pardon, …) in Buchform – viele Verlage kooperierten mit dem Spontibuchkonzept. Mit dem Erfolg von Zweitausendeins (2005: 40 Mio Umsatz, 1 Mio Versandkunden – laut Wikipedia) wuchs jedoch auch die Kritik im Buchhandel und unter den Verlagen. Nicht etwa aus Neid, sondern weil sich Zweitausendeins über ein Gentlemen-Agreement des Buchhandels hinwegsetzte und sich dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil auf Kosten anderer sicherte (wie auch unsere Freunde bei Hermann Schmidt Mainz): Zweitausendeins verkauft seine Bücher direkt an die Leser.
Dabei treibt es Zweitausendeins – bis heute – noch einen Zacken härter als die Nachahmer: Die Bücher der Frankfurter gibt es NUR in den eigenen Läden oder per Direktversand.
Und jetzt wisst Ihr, warum ich auf den Rat von Benjamin (»… die Seyfried-60-jahresbände bei Zweitausendeins … sollte es auch versandkostenfrei beim Fontshop geben!«) allergisch reagiert habe. FontShop ist nicht erwünscht, bei diesem Spiel. Und potentielle Seyfried-Freunde auf dem Lande, die die von Benjamin empfohlenen Bücher beim Buchhändler ihres Vertrauens bestellen möchte, schauen in die Röhre. Auf Amazon verkauft Zweitausendeins ebenfalls, aber nur direkt und als alleiniger Anbieter der Neuexemplare.
Bevor nun der erste Vorwurf an FontShop kommt, dass wir ja zum Beispiel die FontFonts exklusiv verkaufen würden, widerlege ich die scheinbare Parallelität gleich mit Fakten … (wobei es in meinen Augen noch einen Unterschied gibt zwischen einem B2B-Investitionsprodukt und einem B2C-Kulturprodukt, dass viel Menschen/Leser erreichen soll):
1. FontShop ist nicht der Herausgeber der FontFonts, sondern das ist FSI (die auch direkt verkaufen – da, wo es keine FontShops und Distributoren für FontFonts gibt)
2. FontShop liefert FontFonts (inkl. Handelsspanne) auch an (Software)-Händler im Land, die sie ihren Kunden weiter verkaufen können
Arnold
In meiner Kleinstadt-Buchhandlung gibts eine Zweitausendeins-Abteilung, so ne Art Shop-in-Shop. Der »potentielle Seyfried-Freund« schaut also nicht in die Röhre. Sollte es in seinem Ort keine derartige Buchhandlung geben, kann er sich das Buch immer noch schicken lassen und bei Nichtgefallen zurückschicken. So what?
Jürgen Siebert
Du willst mich nicht verstehen, Arnold.
In Deutschland bemühen sich 4000 stationäre Buchhandlungen darum, dass jeder Bürger binnen 24 h ein frei wählbares Buch erwerben kann; Werke aus dem Hause Zweitausendeins dürfen sie nicht anbieten.
Zweitausendeis hat 13 Geschäfte, der neue Besitzer möchte 10 weitere eröffnen und bietet einigen Buchhandlungen Shop-in-Shop-Konzepte an. Da kann von Flächendeckung keine Rede sein.
Nicht jeder Mensch hat Internet (Amazon) und viele stöbern ausschließlich im Buchladen, weil sie mit dem Versandprozedur nicht klarkommen.
Die Vertriebspolitik von Zweitausendeins ist antidemokratisch, weil sie alleine das Interesse des eigenen Unternehmens im Sinn hat. Wenn alle Verlage so agieren würden, gäbe es keinen (freien) Buchmarkt.
Yoram Blumenberg
@ Jürgen:
Sorry, aber das eine – monopolistische Struktur bei 2001 – und das Andere – Staatsform und Bürger haben eigentlich nichts miteinander zutun.
Auch Du wirst sehr wahrscheinlich Appleprodukte, so wie ich auch, verwenden; dabei stört Dich das Monopol nicht? Willst Du auch dort die Demokratie als einzigen bestimmenden Faktor haben?
Ich hatte schonmal eine Diskussion wg. FontShop/FontFont/FSI: von Euch gab’s die klare Ansage das jemand der FontFont Schriften kaufen will und in Deutschland lokalisiert ist auch im deutschen FontShop kaufen muss — und nicht im US-amerikanischen kaufen kann … sollte sich das geändert haben, würde mich das freuen.
Und wenn 2001 Bücher wieder auflegt die sonst nicht mehr verfügbar wären freut mich das. Andere Verlage lassen dann lieber nicht so populäre Bücher im Nirvana verschwinden –- oder wie der Taschen Verlag: Massenmarkttaugliche »Kunst«-Bücher in China produzieren und den Inhaltslieferanten teilweise noch nichtmal das Minimum zahlen.
Das Ihr (FontShop) nicht die 2001 Bücher verkaufen könnt ist schade, kann Euch auch wurmen, ist aber nicht zu ändern.
Aber hier gleich 2001 als »Böse« darzustellen ist fehl am Platz; oder: wer ohne Sünde ist werfe den ersten Stein.
So, jetzt aber doch noch die letzten Sonnenstrahlen ergattern …
Georg J. Lutz
„Wenn alle Verlage so agieren würden, gäbe es keinen (freien) Buchmarkt.“
Einem freien Buchmarkt widerspricht dann aber die Buchpreisbindung. Aber wollen wir das hier wirklich diskutieren.
Freue mich mit Euch das Euer Kiez so schön ist. Bei mir in Siemenstadt gibs zwar keine Graffiti aber dafür auch keine Fähnchen über den Straßen :-I
Benjamin Hickethier
… ich versteh auch nicht ganz die Aufregung, Jürgen, ›antidemokratisch‹, ›vor allem Linke‹, da scheint Dich ja ganz persönlich was zu stören. Dass mein Einwurf oben bzw. meine Buchempfehlungen noch den Nachsatz »sollte es auch versandkostenfrei beim Fontshop geben« hinterhergeworfen bekamen, führe ich tatsächlich auf die Hitze zurück, obwohl wir hier in Norwegen nur neidisch über die 37° C bei Euch lächeln können, Zähne im Regen zusammenbeißend. Hoffe die air condition in der Bergmannstraße funktioniert, und dann können diejenigen Seyfried bei Zweitausendeins bestellen, die Linke sind und auf Antidemokratie stehen: all2gethernow freuen wir uns über den Kiez in Kreuzberg 61.
Einen erfrischt-entspannten Abend in Zehlendorf wünsche ich Dir, Jürgen!
Benjamin Hickethier
Ach so, ja – völlig versandkostenfrei, dafür umso demokratischer, ist die neu aufgemöbelte Webseite von Gerhard Seyfried, um den es hier ja eigentlich mal ging (unter vielem anderen)
– im Übrigen finde ich den Aspekt unterschätzt, dass Zweitausendeins – bei aller Kritik – Veröffentlichungen wie den Reprint sämtlicher Seyfried- und Seyfried&Ziska-Bände möglich macht, und noch dazu, um so großartiger, den fantastischen Sammelband ›Die Werke. Alle‹ mit größtenteils unveröffentlichten Einzelarbeiten, Serien und Prozesseinblicken.
Vermutlich ist es am korrektesten, sich die dicken Bände im Laden zu kaufen (obwohl, CO2-Emissionen slash Klimafußabdruck…) und selber nach Hause zu schleppen, denn dann werden wenigstens (hoffentlich) die Verkäufer in den Zweitausendeinsläden ein bißchen satter, trotzdem ihre Branchenkollegen in demokratischen Buchhandlungen dafür wahrscheinlich permittieren müssen.
Jürgen Siebert
Ich habe nichts gegen Zweitausendeins, war zwar schon lange nicht mehr dort … habe aber früher öfters den Laden in der Kantstraße besucht. Mir fiel kein besseres Wort ein als »antidemokratisch«, das sicherlich zu hart ist. Ich drücke es noch mal anders aus. Der Buchhandel, die Stiftung Lesen, die Verlage und viele andere Interessengruppen wirken für das gemeinsame Ziel, dass Bücher mehr sind als ein schlichter Wirtschaftsartikel. Vor allem geht es ihnen darum, die breite Versorgung bis in die Provinz zu sichern. Zweitausendeins handelt entgegen diesen Vereinbarungen, macht seine eigenen Bücher nicht jedermann zugänglich und nimmt auch keine Bestellungen von Verlagswerken anderer an. Yoram (#15) nennt es treffender »monopolistisch«.
Arnold
Zweitausendeins ist meiner Meinung nach in erster Linie eine Versandfirma bei der jedermann bestellen kann. Geht auch heute noch per Postkarte und nicht nur per eShop. Merkheft bekommt jeder der will zugeschickt. Sie machen also die eigenen Bücher nicht jedermann zugänglich?
Nur um Missdeutungen vorzubeugen: ich habe mit dieser Firma rein gar nichts zu tun, außer dass ich in den vielen Jahren das ein oder andere Buch dort gekauft habe.
steffen
die fotos der bergmannstraße vermitteln wirklich eine tolle stimmung. wird zeit, dass ich aus der provinz hier rauskomme.
liebe grüße nach berlin
Anke
Danke für den ausführlichen Bericht mit den Fotos. Komme in ein paar Tagen nach Berlin. Schaue mir dann mal den Einlegesohlen und Schueinlagen an ;-)