Deutsche Schrift könnte einfacher werden (3)

[Letzter und dritter Teil meiner einlei­tenden Gedanken für eine Schrift-Innovation, die FontShop bereits morgen bekannt und zum Download frei­geben geben wird.]

Die Idee für ein neuar­tiges Schreib- und Typografie-Tool entstand bei den Treffen des Arbeitskreises, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Institut für Deutsche Sprache vor 13 Monaten ins Leben gerufen wurde (mehr dazu in Teil 1 und in Teil 2 dieses Reports). Es geht um zwei Dinge:

1) eine Ergänzung zur Rechtschreibreform, damit diese schneller der gespro­chenen Sprache folgen kann (z. B. Szene- und Migranten-Deutsch) und geschrie­bene Sonderformen nicht ausge­grenzt werden (z. B. Chat-Jargon, Marketing-Deutsch, …)
2) eine typo­gra­fi­sche Innovation, basie­rend auf Font-Technik

Punkt 1 über­lassen wir Bundesbildungsministerin Annette Schavan (Ihr Motto: »Ideen zünden!«), die auf der ange­kün­digten Pressekonferenz am Montag die Ergebnisse des Arbeitskreises erst­mals vorstellen wird (Presseseite des Ministeriums). So viel vorweg: Der Staat möchte sich verstärkt der Pflege der deut­schen Sprache annehmen, ähnlich wie es in Frankreich der Fall ist. Ein erneutes Desaster wie bei der Einführung der neuen Rechtschreibung soll es bei zukünf­tigen Reformen nicht mehr geben. Nach Auffassung der Experten konnte dies nur passieren, weil sich seit dem 2. Weltkrieg keine amtliche Aufsichtsbehörde um die Pflege der Sprache geküm­mert hatte. Dieses Vakuum rief nach Ankündigung einer Reform Heerscharen von »selbst­er­nannten Experten und Interessenvertreter« (O-Ton BMBF) auf den Plan, die jeden Reformansatz zerre­deten, bis am Ende ein »lauwarm gequirlter Kompromiss« (ebd.) heraus kam, mit dem wir heute in Schulen, Verlagen und Behörden leben müssen.

Punkt 2 ist der für uns Schriftenfreunde wirk­lich span­nende Teil. Es geht – verein­facht gespro­chen (Details kommen morgen oder heute Nacht) – um einen »intel­li­genten« Font im OpenType-Format, der mit der geschrie­benen Sprache inter­agiert … zum Beispiel auf Tippfehler. Ich möchte noch nicht behaupten, dass es die »Schrift mit einge­bauter Rechtschreibkorrektur« ist, dafür stehen wir noch zu weit am Anfang: Aber ein sich selbst korri­gie­render Font ist machbar. Unser Test-Font wird einen Eindruck dieser Funktionalität über­zeu­gend vermitteln.

Vielleicht erin­nert sich noch jemand an die Random-Schrift Beowolf aus dem Jahr 1990? Erik van Blokland und Just van Rossum haben damals eine Zufallsfunktion der Druckersprache PostScript genutzt, um die Buchstabenformen einer Schrift mit jedem Druck zu verän­dern. Man nannte sie auch die »lebende Schrift«. Mit ähnli­chem Forscherdrang ist es Andreas »Eigi« Eigendorf bei FSI FontShop International gelungen, »versteckte« Funktionen von OpenType zu entde­cken bzw. bekannte Funktionen (zum Beispiel der kontext­sen­si­tive Zeichenaustausch) zweck­zu­ent­fremden (Au weiha, schreibt man das so? Na ja, ab morgen korri­giert sich das auto­ma­tisch). Insider kennen Eigi als Entwickler des Font-Produktions-Tools FontQA.

Eigi dachte sich: Wenn ein OT-Zeichensatz 64.000 Buchstaben enthalten kann, die latei­ni­sche Schrift aber nur einen Bruchteil dieser »Schubladen« benö­tigt (rund 300) … da müssten sich doch ein Dutzend Zeichensatzregeln, ein Wörterbuch und ein paar Grammatik-Algorithmen unter­bringen lassen. Auf einer Linguistikkonferenz traf er am Stand des Duden-Verlags einen Mitarbeiter des Institut für Deutsche Sprache, Abteilung Pragmatik, der an einer ähnli­chen Idee arbei­tete. Mit vereintem Know-how entstand in den letzten Wochen ein Test-Font, der die Sprachtechnologie von Duden mit der Font-Technologie von FontShop International vereint … freut Euch auf die Beta-Version dieser OpenType-Schrift (deren Zeichen von Erik Spiekermann entworfen wurden).


4 Kommentare

  1. Martin

    na super, jetzt warte ich also nicht nur auf die neuen Cinemadisplays, sondern auch noch auf eine neue Schrift. Meine Nerven machen das nicht mehr lange mit!

  2. franz

    Es heißt „zu zweck­ent­fremden“, und das sich das ab morgen selbst korri­giert, glaube ich erst, wenn ich’s sehe. Und darum bin ich sehr gespannt.

  3. Jo

    kewle shize das! :-)

  4. Oliver Skawronek

    Das ist zwar eine nette Spielerei, aber „intel­li­gente“ Schriften möchte ich keines­falls einsetzen. Rechtschreibprüfung/korrektur ist und bleibt Aufgabe von Textverarbeitungsprogrammen. Für Rechtschreibkorrektur müssten im einfachsten Fall ein komplettes Wörterbuch + deren Soundindex in der Schrift gespei­chert sein. Auch Sachen, wie Ligaturen, korrekte An/Abführungszeichen usw. sind Aufgabe des Anwenderprogramms bzw. des Anwenders. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich PostScript komplett verbannen. Ein einfa­cheres Format müsste her. Bézier Kurven mit Punkten und Stützpunkten + Kerningtabelle + opt. Bitmapfonts und komrpi­miert mit Huffman. Das würde das portieren auf anderen Plattformen erheb­lich erleichtern.

    bye

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