Das hat es nicht verdient: Buchparfüm

Ausgerechnet ein großer deut­scher Verleger hämmert einen weiteren Nagel in den Sarg des gedruckten Buches. Wie sonst ist es zu verstehen, wenn er ein echtes Buch zur Verpackung für ein Parfüm degra­diert, das nach Buch riecht? Aromen über­nehmen immer dann die Hauptrolle, wenn das Original weit entfernt, zu teuer oder vom Aussterben bedroht ist: Moschus, Trüffel, Rosen, Vanille, Glutamat, … jetzt das Buch.

Nach einjäh­riger Vorbereitung präsen­tierte der Göttinger Verleger Gerhard Steidl seine jüngste Neuerscheinung »Paper Passion« kürz­lich auf einer Mailänder Designmesse: Ein Buch mit weißem Leinen-Einband, hinter 32 bedruckten Seiten liegt in einer roten Aussparung ein Flakon mit den 50 ml Papierduftwasser. Das Verpackungsdesign und ein Vorwort sollen von Karl Lagerfeld stammen, Günter Grass stellte sein Gedicht »Duftmarken« zur Verfügung. Der Pariser Modezar hat sich inzwi­schen von dem Parfum distan­ziert: »Karl Lagerfeld is not involved in this fragrance story« lässt er gegen­über dem Modeblog Styleite ausrichten; er mache gerne Bücher mit Steidl, doch für die Entwicklung von Parfums vertraue er auf die bewährte Partnerschaft mit Coty Prestige. Danke, Karl!

Parfüm und Verpackung seien laut Steidl Verlag eine »Hommage an die luxu­riöse Sinnlichkeit des Buches und den stillen Geruch von Papier«. Kreiert hat den Duft der 1969 in Kassel gebo­rene und in Berlin lebende Parfümeur Geza Schön. In Parfümerieketten wird man »Paper Passion« wohl kaum antreffen, eher in Buchläden und Museumsshops. Amazon hat es schon im Sortiment. Kein Wunder, denn deren Datenbank schluckt alles was neu erscheint und eine ISBN-Nummer trägt. Dieses wurde der Kategorie Chemie-Fachbücher zuge­ordnet. Ab 15. August soll es dann für 85 € lieferbar sein. Hoffentlich wird bis dahin die Mehrwertsteuer richtig berechnet, die im Moment mit 7 % ausge­wiesen ist, wie bei echten gut riechenden Büchern, aber tatsäch­lich 19 % betragen muss.

(© Abbildung: Steidl)


18 Kommentare

  1. Sascha Geisler

    Meine Liebe zu außer­ge­wöhn­li­chen Parfums macht mich trotzdem neugierig …

  2. Simon Wehr

    Ich kenne eine Menge Bücher, deren Geruch mich anwi­dert. Meist ist es die Farbe oder der Kleber, die unan­ge­nehm in der Nase beißen. Wie riecht dann wohl Paper Passion?

    Ansonsten habe ich nach dem Prinzip schon vor Jahren alte(!) Bücher zu Verpackungen geschnitten. Ich finde diesen Fall nicht schreck­li­cher als viele andere, absolut über­kan­di­delte (Parfüm-)Verpackungen.

  3. Ley

    An sich ja eine netter Marketing-Gag.

    Aber Parfüm das nach Büchern riecht?

    Ich würde sagen wieder mal ein Ding das die Welt nicht braucht. Da ist es schade um die Bäume die für diesen Blödsinn gefällt wurden.

  4. Nico

    Ich werde morgen berichten, Amazon liefert die Vorbestellungen nämlich seit heute aus. Die Mischung von Farben, Fetten und Papier hat schon etwas außer­ge­wöhn­li­ches und angenehmes.

  5. Jürgen W

    Und ich hatte schon befürchtet Süskinds Parfum erscheint jetzt mit Flakon …

  6. Gerrit

    Mich hat es ehrlich gesagt gewun­dert, dass es so etwas nicht schon längst gegeben hat. In einer Welt, in der es eigent­lich alles gibt, muss es ein Parfüm geben, welches nach frisch gedruckten Büchern duftet/riecht – wie auch immer … Der Geruch ist quasi ein Klassiker und schreit förm­lich danach.
    Und welche andere Verpackung als eben ein Buch sollte es haben. Die Idee aus den Seiten eines Buches Stücke heraus zu schneiden, um darin etwas zu verste­cken, ist ja nicht neu.
    Um das gedruckte Buch zu degra­dieren braucht es mehr, als so ein lang­wei­liges Parfüm. Ich glaube nicht, dass es „ein weiterer Nagel im Sarg“ ist. Auch mit Schallplatten wurden Experimente ange­stellt (Salatschüsseln etc. …), aber die gibt’s ja auch immer noch.

  7. JanVon

    Ich liebe den Geruch von frischen Drucksachen, aber ich möchte nicht selber danach riechen! Gibt es irgend­je­manden der das will? Wirklich?

    Es ist immer wieder schade dass manche Menschen Ihre ganze Energie in sowas nutz­loses stecken. Wir Designer haben eine gesell­schaft­liche Verantwortung (wenn wir ihr auch viel zu selten nach­kommen) und die besteht nicht darin Leute nach Printprodukten riechen zu lassen.

    Davon abge­sehen folgende Szene:
    Man ist auf einer Feier und lernt jemanden kennen. Irgendwann stellt dieser Mensch fest dass man nach Drucksachen riecht. Den folgenden Dialog – sollte er über­haupt zustande kommen – darf sich jeder selbst ausmalen…

  8. Alex

    Ich finde die Idee ganz nett. Was man von der Gestaltung sehen kann auch. Die Sache mit Lagerfeld ist halt biss­chen peinlich.

    @JanVon:
    Wenn „gesell­schaft­li­chen Pflicht nach­kommen“ bedeuten würde, dass man als Designer nur noch Energie in Nützliches stecken dürfte … also in so einer Gesellschaft würde ich nicht leben wollen. Gerade (auch) im Nutzlosen herrscht doch Freiheit, Neues zu schaffen und zu expe­ri­men­tieren. So viele schöne Dinge im Leben dienen keinem Zweck.

  9. merz

    Ich würde die Umverpackung im Laden lassen …

  10. Sarah

    Man mag die Verpackung gut finden oder nicht – eins muss man ihr lassen: Sie passt defi­nitiv zum Produkt. Ich finde es witzig, dass es ein Parfüm gibt, das nach Büchern riecht. Passt in unsere Welt, in der es fast nichts gibt, was es nicht gibt. Aber wer den Geruch von frischen Printprodukten bzw. Büchern mag, der mag oft auch die Geruchsquelle selbst. Sprich: Das Printprodukt. Allein der Duft würde mich nicht glück­lich machen – mir würde die Substanz fehlen.

  11. koni

    Hm, meine Freundin ist Buchhändlerin. Taugt das jetzt als Weihnachtsgeschenk für sie?
    Wär in zwei­erlei Hinsicht ganz prak­tisch. Erstens müßt ich nicht am 23. 12. noch loslaufen und irgendwas besorgen und zwei­tesn bekäm ich dann ja auch den Personalrabatt, wenn ich es mir von ihr besorgen laß. (das Parfum/Buch mein ich).

  12. Gerd Wippich

    Moschus, Trüffel, Rosen, Vanille, Glutamat, … lol

  13. nora

    Was ist denn mit Steidl los? Stolpert der jetzt über seine eigene Eitelkeit ?

  14. Hanno

    Niemand hier hat das Parfum gero­chen, aber alle haben schon eine Meinung dazu. Schön. Ich sehe das Ganze eher als einen Marketing-Gag, der mir persön­lich aber ganz gut gefällt, weist er doch dezent auf die ästhe­ti­sche Verarmung hin, die damit einher­geht, wenn wir künftig nur noch über Glasplatten wischen.

    Das oben von einem Designer(!) vorge­tra­gene Designverständnis, demnach Design einem Nutzen zu unter­werfen sei, ist unge­fähr so absurd wie die Forderung, Kunst müsse schön sein.

    Der Autor des Beitrags liegt außerdem völlig daneben, wenn er glaubt, Print sei (bald) tot. Print goes Premium. Das zeigt dieses Parfum wie auch die Entwicklung einer neuen Magazinkultur mit immer klei­neren Nischenpublikationen mit sehr spezi­ellem Themengebiet und noch spit­zerer Zielgruppe. Mag sein, dass seine ökono­mi­sche Bedeutung zurück­geht, aber wen inter­es­siert das? Und ein Buch geschenkt zu bekommen macht mir immer noch mehr Freude als ein Download-Gutschein. Oder um es mit Karl Lagerfeld zu sagen, mit dessen Meinung sich ja der Autor eben­falls schmückte: „Das iPad ist toll, aber Bücher sind besser.“ 

  15. Typografia

    Ich finde die Idee toll sie fällt auf, allein schon deshalb weil es heut­zu­tage so viele Ideen gibt, die nur auf den visu­ellen Sinn abzielen oder den akus­ti­schen: Und diese Idee appel­liert mal an den Geruchssinn! Und verbindet Literatur mit Parfüm, schon sehr einzig­artig. Aber ob ich mich damit einsprühen werde…

  16. Curd

    @ 15 | Typografia

    Olfaktorische Wahrnehmung ist ja auch allge­gen­wärtig – in jedem Supermarkt, Möbelgeschäft, sogar bei Neuwagen werden Duftmittelchen einge­setzt. Ob diese Anwendungen seltener sind als die anderen? Ich denke, wohl kaum!

    Blöd wäre nur, wenn diese Idee als Parfüm in Schuhe verpackt, womög­lich wegen der momentan popu­lären olym­pi­schen Spiele, plötz­lich überall ange­wandt, als Käsefüßegeruch in meine Nase stiege.

  17. Oliver

    Die Idee ist wohl wirk­lich nicht neu. Das einzige was mich hier wundert ist der Unmut von Jürgen Siebert – abso­lute über­zo­gene Kritik.

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