Fontblog Schriftgeschichten

Pulpo – sympathische Clarendon für Lesetexte.

Design-Details von Pulpo: mode­rater Kontrast, verti­kale Betonung, hohe, verti­kale Abstriche

Neu aus dem Schriftlabor von Felix Braden (Floodfonts): Pulpo, eine gut lesbare Clarendon, mit dem Skelett von Century Schoolbook, in 5 Strichstärken plus echten Kursiven. Die Familie wurde von Felix auf Lesbarkeit getrimmt, was sich in vielen Designdetails nieder­schlägt. Längere Ober- und Unterlängen geben dem Text Luft zum Atmen und verbes­sern die Lesbarkeit von Fließtexten. Trotz typi­scher Slab-Serif-Stabilität im Design, wirken die Formen freund­lich, wobei sich in vielen Details der hand­ge­machte Charakter offen­bart. Die Buchstaben wecken vertraute Erinnerungen und wirken ein wenig nost­al­gisch – wie aus der guten alten Zeit.

Die komplette Pulpo-Familie besteht aus 10 Schnitten, von Light bis Black (einschließ­lich Kursiven) und eignet sich vor allem für Editorial-Design, Werbung und Verpackung sowie für die Web- und App-Entwicklung. Ein massiver, stabiler Aufbau in Kombination mit einem geringen Strichstärkenkontrast, betont die hori­zon­talen Elemente, und macht Pulpo zur perfekten Wahl für Lesetexte am Bildschirm und kleine Schriftgrößen auf Naturpapier.

Erstaunlich gut lesbar in Lesetexten, eine der Stärken der neuen Slab-Serif Pulpo

Jeder Schnitt enthält 489 Glyphen, Versal- und Mediävalziffern für Fließtext und Tabellensatz sowie mathe­ma­ti­sche Zeichen und gängige Währungszeichen. Um den Bedürfnissen der globalen Kommunikation gerecht zu werden bietet Pulpo eine umfang­reiche Sprachunterstützung für alle west-, ost- und mittel­eu­ro­päi­schen Sprachen

Entstehungsprozess

Wie alles begann, beschreibt Felix Branden so: »2017 entschied ich mich, einen ganzen Satz Glyphen für einen manu­ellen Druckvorgang zu schneiden, der später als digi­ta­li­sierte Schrift namens Kontiki auf Myfonts und als Pulpo Rust bei Adobe veröf­fent­licht wurde (vergl. Fontblog: Neue, leben­dige Holzdruck-Schriftfamilie Kontiki). Als Basis suchte ich eine fette Schrift nach dem Clarendon-Muster, die ich schließ­lich selbst auf der Grundlage einer meiner Lieblingsschriftarten, Century Schoolbook, zeich­nete. Die Skizzen dieser Clarendon gefielen mir dann so gut, dass ich mich dazu entschied, die Zahl der Schnitte auszu­bauen, um Kursiven zu erwei­tern und als eigen­stän­dige Familie mit dem Namen ›Pulpo‹ auf den Markt zu bringen.«

Das merkt man Pulpo an: erst in Holz geschnitten, dann Probedrucke ange­fer­tigt und danach digitalisiert

Die erste Clarendon übri­gens wurde 1845 von der Fann Street Foundry veröf­fent­licht. Sie wurde von Robert Besley entworfen und von Benjamin Fox geschnitten. Als fette Erweiterung für die Textschriften dieser Zeit geplant (eine Alternative zu Kapitälchen oder Kursiven als Hervorhebung) gab es ursprüng­lich keine leichten bzw. Text-Schnitte der Clarendon, und natür­lich auch keine Kursive. Im folgenden Jahrhundert wurde Clarendon zum Modell für eine Vielzahl von Schriften (z.B. der ›Clarendon‹ von Hermann Eidenbenz und Freeman Craws ›Craw Clarendon‹), die für den Bleisatz konzi­piert, für den Fotosatz erwei­tert, und dann im begin­nenden DTP-Zeitalter in den 90er Jahren digi­ta­li­siert wurden.

Century Schoolbook hat sich über Jahrzehnte von den Vorbildern der Scotch-Schriften über eine Zeitungsschrift (Century) zu einem Standard für schu­li­sche Texte in den Vereinigten Staaten entwi­ckelt. Heute ist sie ein Synonym für gute Lesbarkeit geworden und für Felix Braden die Quintessenz der ameri­ka­ni­schen Schrift. Da die Proportionen der Zeichen perfekt ausba­lan­ciert sind, und sie ein freund­li­ches, ange­nehmes Gefühl auslösen, schien sie eine gute Inspirationsquelle für seine Clarendon zu sein.

Korrekturblatt von Pulpo: Nach dem Probedruck begann die Detailarbeit

»Um die aufrechten Schnitte von Pulpo zu erstellen, zeich­nete ich über das Skelett der Century Schoolbook und entwarf eine Clarendon, indem ich den Kontrast redu­zierte und typi­sche Elemente wie lange Aufschwünge und waage­rechte Abschlüsse hinzu­fügte. Einige Buchstaben, z.B. Das a oder das g mussten komplett über­ar­beitet werden, da sich die Buchstabenform von der Clarendon-Tradition unter­scheidet.« erin­nert sich Felix Braden an die Detailarbeit.

Für die Italics sei Jonathan Hoeflers ›Sentinel‹ eine gute Inspirationsquelle gewesen, wobei Felix den Weg ging, seine Italics eher statisch als geschrieben zu entwerfen. Seiner Meinung nach hätte es Aldo Novarese mit seiner ›Egizo Serie Corsiva‹ etwas »zu weit getrieben«, während die Kursiven von Matthew Carters ›New Century Schoolbook‹ genau seine Kragenweite seien. Wichtiges Konstruktionsmerkmal sei der obere linke Abschluss des n in Pulpo Italic, wie in den Aufrechten eine Serife und kein haken­för­miger Abstrich. Auf der anderen Seite wurden die waage­recht geschnit­tenen Aufschwünge abge­mil­dert und an die vom Schreiben abge­lei­tete Form angepasst.

Die Pulpo-Familie im Überblick: 5 Strichstärken plus echte Kursive, inspiriert von Jonathan Hoeflers ›Sentinel‹

Die Pulpo-Familie im Überblick: 5 Strichstärken plus echte Kursive, inspi­riert von Jonathan Hoeflers ›Sentinel‹

Da die Schrift auch in längeren Texten gut lesbar sein sollte, entschloss sich Felix dazu, einige deko­ra­tive Elemente zu entfernen, die bei kleinen Textgrößen nicht wirk­lich funk­tio­nieren. Insbesondere die nüch­ternen Ziffern unter­scheiden sich von den histo­ri­schen Clarendon-Beispielen.

Die neue, sympathische Pulpo: beste Lesbarkeit, zurückhaltende Kursive, raffinierte Details

Die neue, sympa­thi­sche Pulpo: beste Lesbarkeit, zurück­hal­tende Kursive, raffi­nierte Details

Über Felix Braden

Felix lebt und arbeitet in Köln. Er hat an der Fachhochschule Trier Kommunikationsdesign bei Andreas Hogan studiert und mit Jens Gehlhaar bei Gaga Design gear­beitet. Er war eines der Gründungsmitglieder von Glashaus-Design, und arbeitet zur Zeit als Art Director bei MWK Cologne und als frei­schaf­fender Schriftgestalter. Im Jahr 2000 grün­dete er die Foundry Floodfonts und gestal­tete viele kosten­lose Schriften die über Adobe Typekit verfügbar sind (Moby, Bigfish, Hydrophilia, u.a.). Seine kommer­zi­ellen Schriften werden vertrieben vom Fontshop (FF Scuba), Floodfonts (Capri, Sadness, Grimoire), URW++ (Supernormale), Volcanotype (Bikini) und Ligature Inc (Tuna als Kooperation mit Alex Rütten). FF Scuba ist einer der Gewinner des Communication Arts Typography Annual 2013 und wurde in vielen Bestenlisten genannt darunter Typographica, Typefacts, Typecache und FontShop. Kontiki war für den German Design Award 2019 nominiert.


Verlosung: Schriftmusterheft im Riso-Print

Endlich mal wieder eine Verlosung im Fontblog. Der Berliner Schriftentwerfer Manuel Viergutz (typo​gra​phicde​sign​.de) war so nett, mir 3 Exemplare seines neuen, 16-seitigen Schriftmuster-Büchleins »Hand Stamp Slab Serif Rough« zu über­rei­chen. Ein gestal­te­ri­scher und druck­tech­ni­scher Leckerbissen:

  • Format: 148 mm B × 210 mm H
  • Umfang: 16 Seiten (mit Gummiband lose gebunden)
  • 
Papier: Metapaper, warm­white, extra­rough 120 g/m²
  • Druck: Risografie mit Fluorescent Orange + Black, von drucken3000​.de
  • Schutzumschlag: Kraftpapier, weiß 162 × 230 mm

Und natür­lich ist auch der Font, um den es geht, ein Highlight: Hand Stamp Slab Serif Rough
, eine Slab-Serif-Displayschrift für den Headline-Einsatz. Ihr Zeichensatz basiert auf echten Gummistempelbuchstaben, die authen­tisch digi­ta­li­siert wurden, mit rauen Konturen und verblassten Druckflächen, sowie jeder Menge Alternativzeichen. Was für die Schrift gilt, trifft auch auf die Broschüre zu: »Farben am Bildschirm können vom Original abwei­chen. Lie­be­volle Spu­ren von Hand­ar­beit ver­leiht jedem Druck seine Einzigartigkeit.«

Sehr gerne möchte ich drei Leser mit je einem der Heftchen beglü­cken. Hinterlasst einfach bis Freitag einen kurzen Kommentar unter diesem Beitrag zum Thema: Ein Stempel-Erlebnis, das ich nie vergessen habe.


Tilburg Sans macht die Runde

Gestern schrieb mir Benjamin Ritter, ein 32jähriger Steinmetz aus Nordhessen:

Hallo Herr Siebert,

vor nunmehr über einem Jahr habe ich, haupt­säch­lich aus persön­li­chem Interesse, die TYPO Berlin »Wanderlust« besucht, was eine Kette von Ereignissen nach sich zog und noch immer zieht, von denen ich Ihnen einfach mal berichten möchte.

Begonnen hat alles in einem eher klei­neren Saal im Haus der Kulturen der Welt (TYPO Show), auf dessen Bühne plötz­lich zwei Holländer auftauchten und ihre TilburgsAns präsen­tierten. Sie, lieber Herr Siebert, erin­nern sich mit Sicherheit, weil Sie dieses tolle T-Shirt von den beiden über­reicht bekamen. Ich war begeis­tert von dem Vortrag, insbe­son­dere der Idee, die TilburgsAns-Lettern zur Adoption frei zu geben.

Jürgen Siebert mit dem TilburgsAns-T-Shirt »She loves you yeah, yeah, yeah«

Zurück in der Heimat habe ich schnell mit Sander Neijnens Kontakt aufge­nommen und nach nur wenigen Mails war klar, dass ich den Buchstaben Å (= Aring) adop­tieren möchte. Sander und sein Kollege Ivo van Leeuwen wiederum fanden es aufre­gend, dass jemand, der 400 Kilometer von Tilburg entfernt lebt, Interesse an ihrer Schrift zeigt.

Also haben sie sich ein paar Tage später ins Auto gesetzt und mir den Buchstaben persön­lich vorbei gebracht. Kurze Führung durch die Steinmetzwerkstatt, zusammen Nudeln essen und schon waren die zwei wieder verschwunden. Ein kleines Video dieses Road-Trips ist ganz nebenbei auch noch entstanden:

Kurze Zeit später bat mich die Rockband meines Bruders – Grannys Garden – um den Entwurf eines Logos. Und weil mich der Charakter dieser Band sehr an den Charakter der Stadt Tilburg erin­nert hat, kam TilburgsAns zum ersten Mal komplett zum Einsatz (Erläuterungen zum Logo-Design, PDF). Das fanden wiederum Ivo und Sander so toll (»Wow, eine deut­sche Band mit unserer Schrift«), so dass Ivo uns mit seiner Familie zum jähr­li­chen Werkstattkonzert besuchte, auf dem die Band das erste Mal unter neuer Flagge auftrat.

Ivo versprach nach dem Konzert einen Auftritt für die Jungs in Tilburg zu orga­ni­sieren und so haben sie am 12. Oktober auf dem »Forgotten Hits«-Festival gespielt. Natürlich nicht ohne sich zuvor die Stadt von den TilburgsAns-Macher zeigen zu lassen, um endlich mal die ganzen Icons der Schrift im Original zu sehen.

Das Logo der nord­hes­si­schen Band Grannys Garden, inspi­riert von TilburgsSans

Nächstes Jahr wird dann Ivo mit seiner Band in unserer Werkstatt spielen. Bis dahin bin ich gespannt, was noch alles in TilburgsAns geschrieben werden wird. Einige Buchstaben habe ich in der Zwischenzeit auch schon in Stein gemei­ßelt. Hier eignet sich ganz wunderbar die Black-Version. Ob Steinhocker, Gartenskulptur oder sogar im Tiergrabmalbereich … die Schrift findet immer wieder ihre Berechtigung.

Viele Grüße aus Neukirchen und alles Gute für Sie,

Benjamin Ritter


Neue, lebendige »Holzdruck«-Schriftfamilie Kontiki

Meine Begeisterung für die Digitalisierung indus­tri­eller Schriften – also Stempel-, Schablonen-, Baukasten-Schriften und ähnli­ches –, begann an einem Sonntagnachmittag vor 27 Jahren, in den Räumen von MetaDesign/FontShop in der Bergmannstraße in Kreuzberg. Ein Praktikant namens Just van Rossum legte mir einen Plastikstreifen mit Buchstaben aus der Dymo-Prägepistole auf den Schreibtisch und sagte: »Das müsste man mal digi­ta­li­sieren, oder‽« Ich antwor­tete: »Ja, mach mal …« und keine zwei Stunden später hatte ich die Dymo-Buchstaben auf meinem Computer.

Das fand ich genial: Kein Prägegerät, keine Kunststoff-Streifen in verschie­denen Farben, kein Fehlprägungen, keine Größenvorgabe … einfach nur ohne Ende Dymo-Schriftzeilen tippen, und nach Belieben weiter­ver­ar­beiten. Einige Wochen später haben wir Justs Dynamoe mit 4 weiteren Industrieschriften als FF Instant Types auf den Markt gebracht, und sie begrün­deten ein neues Genre im Bereich digi­ta­li­sierter Schriften.

Einen sehr ähnli­chen Weg hat jüngst auch der Kölner Schriftentwerfer Felix Braden zur Entwicklung seiner neuen Schriftfamilie Kontiki beschritten, wobei die Vorlagen bei weitem mehr Handwerk und Raffinesse erfor­derten, als das Bedienen einer Etiketten-Präge-Maschine. Kontiki simu­liert einen hand­ge­machten Holzdruck, ist aber im Digitalen weniger aufwändig in der Produktion und besser zu steuern. Den Anwendern bieten sich so die Möglichkeit, ein Druckbild – ähnlich einem tradi­tio­nellen Holzschnitt – zu schaffen, ohne dass Missgeschicke und Fehldrucke dazwi­schen­funken. Der Charme von manuell herge­stellten Drucksachen hat immer noch einen beson­deren Wert und gilt heute als Zeichen »hand­made« oder »mit Liebe gemacht«.

Für die Erstellung der Schrift wurden 193 Glyphen per Hand aus fünf Holzplatten geschnitten und manuell gedruckt. Aus unzäh­ligen Testdrucken wurden die inter­es­san­testen vier ausge­wählt und digi­ta­li­siert, um die unter­schied­li­chen Schnitte von Kontiki zu erstellen. Zu jedem der 560 Zeichen bietet die Schrift vier verschie­dene Druckbilder und gibt den Benutzern so die Möglichkeit zu vari­ieren und ein bewegtes Schriftbild nach eigenen Vorstellungen zu schaffen.

Die Kontiki Familie bietet vier Schnitte mit unter­schied­li­chem Druckbild als sepa­rate Schriftdateien mit jeweils 560 Glyphen. Die Pro Version vereint alle 2240 Zeichen in einer Schriftdatei und enthält die einzelnen Varianten als Stylistic Alternates. Außerdem ermög­licht das Opentype Feature Contextual Alternates eine zufäl­lige Variation der Glyphen mit unter­schied­li­chem Druckbild. Beim Kauf der Pro Version sind die einzelnen Schnitte kostenlos enthalten. Wer mit seiner Layout-Software keinen Zugriff auf diese Opentype Features hat, sollte die Einzelschnitte verwenden. Alle anderen sollten die Pro-Version nutzen, schon wegen des opti­mierten Kernings bei Glyphen aus unter­schied­li­chen Schnitten.

Kontiki wird aktuell bei MyFonts zum Einführungspreis (50%) angeboten.

Felix Braden lebt und arbeitet in Köln. Er hat an der Fachhochschule Trier Kommunikationsdesign bei Andreas Hogan studiert und mit Jens Gehlhaar bei Gaga Design gear­beitet. Er war eines der Gründungsmitglieder von Glahaus-Design, und arbeitet zur Zeit als Art Director bei MWK Cologne und als frei­schaf­fender Schriftgestalter. Im Jahr 2000 grün­dete er die Foundry Floodfonts und gestal­tete viele Schriften die über Adobe Typekit verfügbar sind (Moby, Bigfish, Hydrophilia, u.a.). Seine kommer­zi­ellen Schriften werden vertrieben vom Fontshop (FF Scuba), Floodfonts (Capri, Sadness, Grimoire), URW++ (Supernormale), Volcanotype (Bikini) und Ligature Inc (Tuna als Kooperation mit Alex Rütten). FF Scuba ist einer der Gewinner des Communication Arts Typography Annual 2013.


»Neue« Regierungsschrift für die USA

Auf einer Website der US-Behörde GSA (General Services Administration) hat die haus­ei­gene Kommunikationsagentur 18F die Vorschau einer 9-schnit­tigen Schriftfamilie veröf­fent­licht, die aktuell für die Verwaltungen der USA entwi­ckelt wird. Die GSA ist eine unab­hän­gige Dienststelle der US-Regierung zur Unterstützung von Bundesbehörden mit Hauptsitz in Washington, D.C.

Wie GitHub zu entnehmen ist, heißt die Regierungsschrift seit zwei Monaten Public Sans – der Name ist Programm –, zuvor war sie unter Libre Franklin bekannt. Libre Franklin ist eine Neuinterpretation (besser: Kopie) des Morris Fuller Benton-Klassikers Franklin Gothic. Sie wurde von Pablo Impallari digi­ta­li­siert, ein argen­ti­ni­scher Schriftentwerfer, der eher für Nachahmungen als für origi­nelle Neuheiten bekannt ist. Seine Website impallari​.com wurde von einigen Monaten abge­schaltet. Die dort imple­men­tierten Font-Test-Routinen waren unter Schriftentwerfern beliebt. Im Copyright der Schriftdateien von Public Sans ist Pablo Impallari einge­tragen, zusammen mit Rodrigo Fuenzalida und Dan O. Williams, der für »Modifikationen« verant­wort­lich zeichnet.

Ich kenne das Briefing für die geplante Regierungsschrift nicht, aber irgendwie scheint mir der Prozess »von hinten durch die Brust ins Auge« zu gehen. Warum bastelt die Agentur der GSA an der digi­talen Kopie einer 1903 für den Bleisatz entwor­fenen Schrift herum, anstatt mit erfah­renen Schriftentwerfern ein maßge­schnei­dertes Font-Konzept zu entwi­ckeln, das sich an den aktu­ellen Herausforderungen der digi­talen visu­ellen Kommunikation einer Regierung orientiert?


Sans Klassiker Haas Unica™ wird moderne Großfamilie

„Etwas luftiger in der Laufweite und die Buchstaben etwas schmaler.“ Seine Komplett-Überarbeitung der Haas Unica™ Familie für Linotype beschreibt Toshi Omagari, Absolvent des renom­mierten Typeface Design Kurses an der University of Reading, bescheiden. Die Neuveröffentlichung greift André Gürtlers Unica von 1980 auf.

In den späten 1970er beauf­tragte die Haas’sche Schriftgiesserei eine zeit­ge­mäße Interpretation ihrer Helvetica Familie, die der tech­ni­schen Entwicklung zum Fotosatz Rechnung tragen sollte und gleich­zeitig die Formgebung der Zeit aufnehmen sollte. Es enstand die Haas Unica – der Name ein Spiel mit den beiden großen Schrift-Ahnen Helvetica und Univers®. 

Haas-Unica-Schnitte bei FontShop

Omagaris aufwän­dige Interpretation baut die Originalfamilie nicht nur auf neun Schriftschnitte mit passenden Kursiven von Ultra Light bis Extra Black aus, er kreuzt geschickt einen weiteren Titan unter den Sans-Klassikern ein: die Akzidenz Grotesk. Um den globa­li­sierten Kommunikationsanforderungen gerecht zu werden, gehören nun auch Non-Latin-Zeichen für die zentral- und ost-euro­päi­schen Sprachen zum Zeichenvorrat, sowie Griechisch, und Kyrillisch.

Mehr zur neuen Haas Unica und ein Einführungsangebot steht in den FontShop News.


Familienzuwachs: Lukas Schneider & FF Utility

Wie wirkt die Erweiterung einer Schriftfamilie sich auf das Gesamtkonzept aus? Sind Familien je ausgewachsen?  FF Utility, 2002 als Diplomarbeitsprojekt begonnen, erhielt kürzlich zwei neue Light-Schnitte – und eine komplette Überarbeitung. Zu den Hintergründen haben wir mit Lukas Schneider gesprochen.

Eine Schrift zu gestalten war für Designer Lukas Schneider schon deshalb nahe­lie­gend, weil man während des Studiums „ständig mit Schrift hantiert“ – und er im Rahmen seiner Diplomarbeit kost­bare sechs Monate Zeit hatte. Zudem fand Lukas („Das war wie eine Erleuchtung für mich!“) am Schwarzen Brett einen Aushang von Linotype: Akira Kobayashi suchte eine studen­ti­sche Aushilfskraft („Ich hab den Zettel sofort abge­rissen, damit ihn kein anderer sieht“). So profi­tierte Lukas von Supervision bei der Entwicklung der FF Utility – oder damals noch ihrer Urform namens Gazoline. Die lag nach dem Diplom aller­dings „erstmal ewig rum“ …

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FontFont veröf­fent­lichte die Ur-FF-Utility-Familie mit fünf Fonts 2008. Im letzten Monat kamen die Erweiterungen Thin und Extra Light hinzu. 

Wie die weitere Entwicklung der FF Utility verlief, beschreibt Lukas so:

Lukas, war der Name Programm? 

Nicht ursprüng­lich. Beim Gestalten dachte ich an 50er-Jahre-Schriften an Tankstellen in den USA und hatte Gazoline im Sinn; das fand ich kraft­voll – ging aber nicht, gab es schon. Es gab Namensvorschläge von Stephen Coles (soweit ich mich erin­nern kann), – Utility fand ich am passendsten. Irgendwann sieht man das prag­ma­tisch. Zudem hatte sich die Ästhetik der Schrift im Gestaltungsprozess geändert.

Warum kommt jetzt die Erweiterung? Was war deine Motivation?

Die Erweiterung, oder die Idee zur Erweiterung, war schon da, bevor die FF Utility mit fünf Schnitten 2008 als FontFont herauskam.

Das klingt, als hätte FontFont gedrängelt? 

Ja, schon (lacht leise)… Zum Beispiel möchte das FF-Type-Department immer vier Ziffernsätze. Die haben wir für fünf Ur-Schnitte gemacht von Light bis Black. Damals dachte ich schon, es wäre schön, etwas noch Leichteres für große Headlines zu haben. Oder eine Condensed. Schon 2008  habe ich erste Versuche gemacht – nebenher – dann lagen die Sachen eine Weile rum – und jetzt war es einfach an der Zeit.

Inzwischen konzen­triere ich mich mehr auf Schrift (Lukas Schneider resümiert).

Weil ich für mich gelernt habe, ohne Konzentration wird es nichts.

Die Entwürfe liegen sonst zu lange herum und man hinter­fragt Details ständig neu. Anfang des Jahres habe ich mir gesagt, jetzt ziehst du das durch. FontFont freuen sich ja auch immer, Ivo fragt: „Gibt’s denn auch mal Italics?“ Jetzt haben wir zwei neue leichte Schnitte gemacht, bzw. einen ganz dünnen Master, die Thin, und dann eine Interpolation, die Extra Light.“

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Die Gesamtheit aller Schriftschnitte muss stimmen, einer einheit­li­chen Formensprache folgen. Also über­ar­bei­tete Lukas Schneider anläss­lich der Neuzugänge die Ur-Familie gleich mit.

Der Prozess hielt konzep­tio­nelle Überraschungen bereit: Es war nicht so einfach wie anfangs gedacht. Diese zwei leichten Schnitte waren von mir damals nicht einge­plant. Das heißt, wenn ich sie genau nach Plan durch­ge­zogen hätte, wären die Proportionen im Gesamtbild nicht wirk­lich harmo­nisch gewesen.Das hat dazu geführt, dass ich dann doch auch die Proportionen der alten Schnitte über­ar­beitet habe, was vorher eigent­lich nicht so geplant war.

Ich dachte anfangs, die alten Schnitte packst du einfach gar nicht an (lacht leise):

Man sieht Sachen, die man vorher nicht gesehen hat. Das will man dann einfach nicht so stehen lassen wie es war.

Ich finde die Schriftfamilie ist durch die Anpassungen moderner geworden und durch die Erweiterung des Zeichensatzes durch SmallCaps beispiels­weise auch viel­sei­tiger einsetzbar.“

Lukas, warum eigent­lich keine Kursive?

Ich weiß, es gab Rezensionen zur FF Utility; einige meinten, dass es keine Kursive braucht und Auszeichnung auch anders geht. Jetzt geht das ja auch mit Small Caps. Ganz ehrlich – für mich war das damals zu viel Arbeit. FF Utility ist mein aller­erstes Schriftprojekt und so nicht geplant. Im Grunde wäre es schon gut, Kursive zu haben …

Gibt es einen Trend, auf Kursive zu verzichten? 

Das sehe ich nicht so.

Selbst aktu­elle Monospace-Schriften haben Italics.

Wenn ich mich so umschaue, sehe ich keinen Trend darin – Gottseidank. Die FF Utility gibt das gestal­te­risch her. Prinzipiell bin ich auch sehr kritisch wenn es um die eigene Arbeit geht und die Überarbeitung der FF Utility hat mir bereits viel Zeit geraubt, also nicht ,geraubt‘, sondern mich Zeit gekostet. Heute erwarten ja viele von einer Schrift, dass sie mindes­tens 16 Schnitte hat. Ich denke aber, weniger ist manchmal mehr und ich finde es durchaus legitim einfach erstmal die Geradestehenden zu veröf­fent­li­chen und dann weiter zu schauen.

Meine Schlussfolgerung: Die Familienplanung damals war viel­leicht unbedarft.

In Zukunft würde ich auch die Italics mitplanen.

Es wäre besser, parallel zu planen oder alles zumin­dest ansatz­weise mitzu­denken, mitzu­skiz­zieren. Es ist für mich schwierig, über eine – oder viel­leicht speziell diese – Schrift zu spre­chen.

Die FF Utility war sein Schneiders Einstieg. „Ohne inhalt­liche Hintergedanken“ sei er damals an die Schriftgestaltung heran­ge­gangen, ohne an bestimmte Anwendungsbereiche zu denken – „frei Schnauze“. Trotzdem, oder viel­leicht deshalb, trägt seine FF Utility ihren Namen selbst­be­wusst und ganz zu Recht und voller Würde.

Lukas_Schneider_Interview

Zeichnen, drucken, korri­gieren, zeichnen drucken korri­gieren … Lukas Freizeitaktivitäten haben bis zum Release der neuen FF Utility Schnitte immens abge­nommen. Das wird jetzt anders. Oder kommen doch Italics? 

Und was macht Lukas Schneider, wenn er mal nichts Nützliches tut? Für ihn offenbar die scho­ckie­rendste aller Fragen: „Oh je. In letzter Zeit … oh je … das hat ganz schön abge­nommen. Fahrrad fahren, also bißchen inten­si­viert, Rennrad, aber … mmh … das ist immer echt schwierig.“ Ich bin mir nicht sicher, meint er „immer“ diese Fragen oder „immer“ diese Freizeit, und möchte ihn nicht länger quälen – da kommt ein entschie­dener Nachsatz: „Ich bastele gerne. Sachen vom Sperrmüll aufmö­beln, eine Designer-Couch zum Beispiel – einen alten Plotter habe ich umge­baut. Und sonst, ja … nee. Also es hat schon ziem­lich viel mit Schrift zu tun. Man rennt mit offenen Augen rum, foto­gra­fiert, sammelt“.

Wir freuen uns, wenn er weiter­bas­telt – auch an der FF Utility.

Lieben Dank für das Interview, Lukas! Das Interview führte Sonja Knecht .


FF Mister K. Station 2014: OpenType Webfont

Seit Kafka sie schrieb und seit ihrer Veröffentlichung als FontFont im Dezember 2008, reist die FF Mister K Familie der finni­schen Schriftgestalterin und Philologin Julia Sysmäläinen umher

Ihr Ursprung: Die Prager Tagebücher des Schriftstellers Franz Kafka (1883–1924) ab 1914. Als die Nationalsozialisten 1939 in Prag einmar­schieren, rettet Max Brod Kafkas lite­ra­ri­sche Aufzeichnungen und mit ihnen Kafkas Handschrift, Station:  Tel Aviv. 55 Jahre später werden Kafkas Tage- und Notizbücher, ihrem Format nach auch Quarthefte genannt, in Frankfurt erst­mals digi­ta­li­siert. 2004 beginnt eine neue Digitalisierung, 2007 die Umwandlung in in Outlines, Station: Berlin. 2010 reist FF Mister K. mit der Ausstellung Travelling Letters nach Lahti, Finnland.FF-Mister-K-Web-OT-Feat-Screen_DEEndlich auf dem Bildschirm wie im Druck verfügbar: FontFont veröf­fent­licht die FF Mister K. Familie von Julia Sysmäläinen als Webfont mit umfang­rei­chen OpenType-Features

Formal gehört FF Mister K. zur Gruppe der Schreibschriften oder Script-Fonts. Wie Kafkas Handschrift kenn­zeichnet Sysmäläinens Mister K. die eigen­stän­dige und viel­fäl­tige, aber gleich­zeitig gut lesbare Formensprache. Der Name Mister K. nimmt die Namen der Hauptfiguren der Romane Der Prozess und Das Schloß auf.

Die aktu­elle Station auf der Reise von Mister K. ist das Web. Erst seit Kurzem ist es möglich Script-Fonts mit komplexen OpenType-Features auch als Webfont einzu­setzen. Alle Browser (ausser Safari) unter­stützen jetzt zum Beispiel Contextual Alternates, wie den Einsatz des „langen S“. Die OpenType Features von FF Mister K. können auf FontShop​.com betrachtet werden.

FF Mister K. Sheep_spread

Die Originalhandschrift aus einem Quartheft von Franz Kafka und Julia Sysmäläinens digi­ta­li­sierte Form. Aus Stop Stealing Sheep, 3. Auflage (2013), Erik Spiekermann, Adobe Press.

Wie die OpenType Layout Features bei Web FontFonts aussehen und welches Kommando welches Feature akti­viert, zeigt die Web FontFont Microsite. Wie der Printer-Font, besteht auch der Webfont aus inzwi­schen sieben Mister-K.-Schriftschnitten Splendid Light, Dingbats, Splendid, Regular, Onstage, Informal, Crossout und Dingbats UI.

Während der Regular Font den Fluss einer weit­ge­hend verbun­denen Handschrift digital simu­liert weist Onstage verstärkt kalli­gra­phi­sche Züge mit über­wie­gend allein stehenden Zeichen auf. Crossout schließ­lich enthält den gesamten Zeichensatz in nach Kafkascher Manier akri­bisch durch­ge­stri­chener Form. Die Schriftschnitte werden durch Mister K Dingbats ergänzt, einem Satz von 600 Piktogrammen, in der Form dem Regular-Font angepasst.

FF Mister K bei FScom

Direkt auf den Bildschirm kann der FF Mister K. Webfont auspro­biert werden und wandelt sich, je nach geschrie­benem Zeichen in den passenden Anschlussbuchstaben um

Die FF Mister K. OpenType Features ermög­li­chen viel­fäl­tige kontext­be­zo­gene Substitutionen und hauchen dem Zeichenfluss varia­ti­ons­rei­ches Leben ein, indem im Wort- und Satzbild Formwiederholungen vermieden werden. Diese Features sorgen für authen­ti­sches Handschrift-Verhalten:

Standard Ligatures: Substituieren Zeichenfolgen durch zwei, drei oder vier Zeichen verbin­dende Ligaturen und erzeugen verbun­dene Worteinheiten mittels alter­na­tiver Zeichen für hohe, mitt­lere und tiefe Verbindungen

Contextual Alternates: sorgen für Unterstreich- und Durchstreichoptionen, sowie deko­ra­tive Endformen

Stylistic Sets: gene­rieren verein­fachte, nicht verbun­dene Zeichensätze für Abkürzungen, Akronyme und Formeln

Discretionary Ligatures: ersetzen Wörter mit zuge­ord­neten Piktogrammen.

Für FF Mister K. empfing Julia Sysmäläinen ein Certificate of Excellence in Type Design bei der inter­na­tional Modern Cyrillic 09 Competition in Moskau und einen Premier Award der International Society of TypoGrafikdesign Competition in London.