Peinliche ß-Schusseligkeit bei Dr. Schüßler Salze DHU
Vielleicht ist es einfach nur die gerechte Strafe dafür, wenn ein Firmenname ohne Not in Versalien geschrieben wird. Denn eigentlich hat Dr. Schüßler Salze DHU ein ordentliches, einprägsames Logo, gesetzt aus einer durchaus passenden Schreibschrift:
Doch seit einigen Wochen »glänzen DHU Schüßler-Salze in einem neuen Packungsdesign« (Schüßler über Schüßler). Und das im wahrsten Sinne des Wortes, »denn unter dem auffallend großen Logo verläuft eine elegante Goldlinie. Sofort wird klar: Es handelt sich um ein Qualitätsprodukt der DHU, und um die beliebtesten Schüßler-Salze Deutschlands.« Im auffallend großen Logo befindet sich jedoch ein peinlicher Schreibfehler, denn der in Versalien gesetzte Firmenname lautet SCHÜßLER, statt SCHÜSSLER. Sofort wird klar: Hier wurde geschlampt. So was kann fatale Folgen für das Vertrauen in die Marke haben.
Freunde des Versal-ß werden jetzt einwerfen: »Mit Eszett-Großbuchstaben wäre das nicht passiert.« Doch. Wer die Benutzung des gewöhnlichen ß nicht beherrscht, wird auch am Versal-ß scheitern.
Danke an Ben für die Entdeckung. In seinem Blog Typolution zeigt er mehr Bilder und beleuchtet auch die Rückseite der Dr-Schüßler-Tuben.
Warum Steve Jobs ein Kontrollfreak war …
… nein: Warum jeder visuell anspruchsvolle Mensch ein Kontrollfreak sein sollte … beweist der Schutzumschlag der deutschen Ausgabe von »Steve Jobs by Walter Isaacson« (oben links, rechts das britische Cover, das mit dem US-amerikanischen identisch ist). Wer sich ein bisschen mit den Verdiensten des kalifornischen Unternehmers auskennt – das könnte man bei einer Buchcover-Gestaltung voraussetzen, die sicherlich an einem Mac verrichtet wird –, sollte Jobs’ jahrzehntelange Vorliebe für die Schrift Helvetica kennen. Sie ist seit der Geburtsstunde des Apple Macintosh Bestandteil des Betriebssystems und die Display-Schrift des iPhones (seit iPhone 4 und iOS 4: Neue Helvetica).
Diese biografische Tatsache kümmert die Verantwortlichen bei C.Bertelsmann wenig, genau so wenig wie die Proportionen des Titelfotos, das vertikal gestaucht wurde, damit eine weitere Textzeile über dem Portrait Platz findet. Dass sich die Biografie eines Weltstars nicht selbst erklärt sondern in Deutschland mit einer zusätzlichen Zeile gekennzeichnet werden muss liegt möglicherweise am »niedrigen Bildungsstand« (Zitat Schlecker) der Kunden. Ach ja, und wieder einmal bestätigt sich meine These, dass gute Typografie schneller und billiger geht als schlechte.
OPETUTTGART: Das Logo mit dem Paukenschlag
Die Oper Stuttgart gehört zu den Staatstheater Stuttgart, eine Drei-Sparten-Spielstätte für Oper, Schauspiel und Ballett in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Bis zum 17. September baut die Oper Stuttgart an einem neuen Internet-Auftritt, ein neues Logo scheint jedoch bereits gefunden, wie mir heute ein Freund des Hauses schreibt, dem es beim Blick in den PDF-Spielplan unangenehm aufgefallen ist. »Die Entwerfer (und Auftraggeber!) scheinen der Meinung zu sein, Oper sei Lärm.« lautet das Fazit in seiner E-Mail.
Es stimmt einiges nicht, an diesem Logo, und wir können nur hoffen, dass es sich um einen Platzhalter handelt, eingefügt von einem Scherzbold.
Samy Deluxe »Poesiealbum« [Update]
Tut mir auch leid, liebe EMI, dass ich hier das wunderbare (typografische) Video von Samy Deluxe nicht zeigen kann. Daniel Meyer hat es mir ans Herz gelegt (vielen Dank dafür). Er schreibt: »Für einen Typofan ein leckerer Augenschmaus, das neue Video von Samy Deluxe, falls unbekannt, auf http://www.samy-deluxe.de/ einsehbar. Für die Umsetzung u. a. die ›Typeholics‹ aus Hamburg verantwortlich.«
Ich hätte gerne noch ein bisschen mehr darüber geschrieben, aber dieser kleinkarierte Urheberrechtskrieg zwischen YouTube (die Beklagte; praktisch fürs plattformübergreifende Video-Einbetten), der GEMA (die Klägerin) und den Major-Musikfirmen (die Orientierungslosen) hat mir die Laune verdorben. Vielleicht geht es Samy Deluxe und den Video-Produzenten ähnlich und sie haben deswegen ein Making-of-Video produziert und auf YouTube hochgeladen. Immerhin haben sich das schon 31.000 Samy-Deluxe-Fans angesehen. Ist das jetzt die Zukunft, liebe Musikindustrie, das Angucken wie man Musik und Videos produziert, also der Konsum von Metainformation?
[Update]
Tape-TV hat mir inzwischen einen Embedding-Code gesendet, den ich gemeinsam mit diesem Backlink veröffentlichen darf: Mehr von Samy Deluxe gibt es auf tape.tv – Treppe Hoch!
Deutsche WM-Schweinebauch-Typografie
Für uns Typografen eigentlich nur von hinten interessant: Das DFB-Frauen-Trikot-Home-2011 (Foto: Wolfgang Kumm, dpa. Danke!)
Vorgestern habe ich mir im Fernsehen das Eröffnungsspiel der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Deutschland 2011™ angesehen. Es war eine Quälerei für meine Augen … nicht wegen des Spiels der beiden Mannschaften, das hat mich richtig begeistert, wie 14 Millionen andere Zuschauer in Deutschland offensichtlich auch, sondern wegen der Beschriftung des DFB-Frauen-Trikots.
Das Dress trägt im Kragen das stolze Zitat »Blüh im Glanze dieses Glückes« und wurde vor 100 Tagen von Adidas und dem Deutschen Fußball Bund in Frankfurt vorgestellt. Bei solchen Premieren werden die Hemden zwar mit Ziffern, aber meist ohne Namenszüge präsentiert, so dass es für die Begutachtung der Beschriftung keine Grundlage gibt. Wobei man im aktuellen Fall sowieso gedacht hätte, es handele sich um eine Skizze der Schneiderin, weil die endgütigen Ziffern zur Pressekonferenz nicht fertig geworden waren.
Die Fußball-WM hätte so schön werden können, und die deutschen Trikots ein Verkaufsschlager … zum Beispiel mit Unit Rounded Medium und Bold, der Einzelschnitt für 59 € … für den Trikothersteller eine zumutbare Investition
Nun, mit dem Start der WM, entfaltet die DFB-Trikot-Typografie ihr ganzes Elend. Wie Preisschilder auf dem Wochenmarkt sind unsere Fußballfrauen beschriftet, das Kilo Bartusiak 3 €, eine Steige Garefrekes 18 €, Angerer pro Stück 1 €. … die Medien- und Werbebranche spricht in dem Zusammenhang gerne von Schweinebauchdesign. Comic Sans lässt grüßen … doch leider ist die Schrift auf den Damen-Trikots nicht nur genauso ungeeignet wie Comic Sans, sie ist grottenschlecht gestaltet. Erschwerend hinzu kommt, dass die Versalschrift unfassbar stümperhaft gesetzt ist: Lena Goeßling trägt den Erstklässler-Fehler Nr. 1 auf dem Rücken, das gemeine ß mitten im Namen (GOEßLING), bei Spielerinnen wie Alexandra Popp und Birgit Prinz sind die Lettern handbreit gesperrt. Wer macht so was – ohne Not? Der Schuhwart?
Wie jubelten Adidas und der DFB damals bei der Vorstellung: »Die amtierenden Welt- und Europameisterinnen werden zum ersten Mal ein Jersey tragen, das von Frauen für Frauen entworfen wurde. Der leicht taillierte Schnitt und die runden und eleganten Rückennummern sorgen für ein feminines Design. Als Hingucker findet man im Kragen der Trikots die Zeile ›Blüh im Glanze dieses Glückes‹, die der deutschen Nationalhymne entstammt. … Das Heimtrikot ist traditionsgemäß weiß gehalten. Die Hosen sind schwarz.« Wenn diese Rückennumern »elegant« sind, dürfte man Willi Lippens ab sofort nicht mehr »Ente« nennen sondern »Schwan« … die Geschichte der 1. Bundesliga und die der Typografie müssten neu geschrieben werden.
Auch nicht schlecht, und typisch deutsch: die FF DIN Round, Medium und Bold … nicht gerade originell, aber solide und rund
Entworfen wurden die Trikots von der Designerin Annette Kres. Zu ihrer jüngsten Kreation erklärte sie: „Inspirieren ließ ich mich von den schnellen und dynamischen Bewegungen des Fußballs. Diese Eigenschaften sind in kleinen Designelementen im Trikot wieder zu finden.« Die 29-Jährige studierte Mode-Design in Trier, sie lebt in Fürth und arbeitet beim Sportartikel-Hersteller Adidas in Herzogenaurach. Unter ihrer Leitung entwickelte erstmals ein Designteam der Abteilung Frauenfitness das Trikot für die Damen-Auswahl.
Die authentische Filzstift-Schrift FF Duper, von Martin Wenzel, mit drei Varianten pro Buchstaben (siehe A und A) … aber gehört eine Edding-Schrift auf ein Fußball-Trikot? Eher weniger …
Seit dem Wochenende ist die Schrift der Damen-Nationalmannschaft auch im Internet ein Thema, zum Beispiel auf Twitter. Der Westen, das Portal der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, schreibt: Schrifttyp auf den deutschen Trikots sorgt bei Frauen-WM für Häme. Was die Leser des Fontblog schon lange wissen, nämlich seit den letzten beiden Fußball-WMs 2006 und 2010, kann die Redakteurin des Westen nur bestätigen: »Die Kritik prallt an Adidas, dem Hersteller der Trikots, ab.« Welche Schrift die Designerin verwendet hat, wolle sie nicht verraten. Muss sie auch nicht, denn mein Blogger-Kollege Michael Preidel, freier Art-Direktor und Autor von Esse est percipi, hat das längst herausgefunden: Trikot-Typografie.
Ach wär’s wenigstens Comic Sans … (Eer hätte gedacht, dass ich mich auch nur einmal hier im Fontblog nach dieser Schrift sehne.)
Die Beschriftung der Trikots wurde mit einem lausigen Free Font namens Action Man zusammen gefummelt, den man zum Beispiel auf dieser Seite laden kann: http://www.iconian.com. Macht das ruhig mal und scheut euch mal die Fontdaten an. Bei den 10 Fonts handelt es sich um einen Grundschnitt, dessen Varianten ohne jegliche optische Korrektur automatisch generiert sind, also verschrägt (statt kursiviert), horizontal verzerrt (statt extended), maschinell gefettet und schattiert … eine abscheuliches Typomonster.
Der scheußliche Free-Font ›Action Man‹, mit dem die Trikots unserer Fußball-Frauen verunstaltet sind; ihr müsst die Namen in dieser Schrift übrigens in Kleinbuchstaben setzen, um die Original-DFB-Ästhetik zu erreichen
Ronald W. ist sauer auf uns Typografen
Im November letzten Jahres habe ich ihn (selbstverständlich scherzhaft) im Rahmen meiner Fontnäpfchen-Kolumne »Schriftverbrecher« genannt. Eben hat Ronald W. den Beitrag entdeckt und kommentiert: »Habt Ihr Vögel nichts anderes zu tun, als Euch über irgendeine Schrift aufzugeilen? An einem Werbeschild kann ich doch wohl mit der Schrift machen was ich will. Sucht Euch endlich Arbeit, vielleicht als Werbegrafiker, dann könnt Ihr auch mal sehen was man alles mit Schriften anstellen kann. Übrigens wurde es in Corel gemacht. Viel Spaß noch, Ihr Klugscheisser. Ronny.«
Eine Google-Suche führte mich dann zu Ronnys Firma Wisdesign, in Berlin-Neukölln. Zum Glück hat sie eine Website mit vielen schönen Beispielen ihrer Arbeit, und ich muss sagen: Da gibt es eine Menge zu entdecken, zum Beispiel Deppen-Apostrophe (Ossi´s Bistro), oder Deppen-Gänsefüßchen (Lecker-„Bäcker“), auch falsche Akzente und fehlende Bindestriche (Back und Stehcafè), darüber hinaus tolle Schatten- und Buchstabeneffekte. Dieses Corel will ich auch haben.
Schriftverbrecher
Vielleicht finden das manche schon wieder geil … gleich drei Schwerverbrechen an einer wunderbaren Schrift, gesehen heute morgen in Berlin Schöneberg, Bundesallee (vgl. Fontnäpfchen 19 auf Twitter):
- falsche Schriftart (Bell Centennial für Kleingedrucktes)
- mechanisch verschrägt
- um über 50 % horizontal gestaucht
Es war gar nicht leicht für mich, diesen Mist zu verbocken. Erst in Word die Bell Centennial Bold Listing künstlich schräg gestellt, dass als PDF gespeichert, in Photoshop geöffnet und verzerrt. Die wunderbare Geschichte der Originalschrift, entworfen von Matthew Carter, ist auf 100besteschriften.de nachzulesen.
Schlechter lesbar = besseres Lernen?
Der Österreichischer Rundfunk (ORF) berichtet auf seiner News-Site von einer Studie an der psychologischen Fakultät der Universität Princeton, nach der wissenschaftliche Texte in einer mühsam zu lesenden Schrift um 14 Prozent erfolgreicher aufgenommen würden als mit einer gut lesbaren.
Lukas Zimmer, vom ORF erläutert: »Für ihre Tests verfassten die Psychologen fiktive Biologietexte über Außerirdische. Damit sollte ausgeschlossen werden, dass die Resultate durch Vorwissen der Versuchspersonen verfälscht werden. Eine Gruppe bekam die Texte in der Schriftart Arial, eine andere in den oft geschmähten Schriften Comic Sans und Bodoni. Die Tests … ergaben regelmäßig, dass die Gruppe mit den schlechter lesbaren Texten sich mehr gemerkt hatte, sogar wenn Schriften wie Haettenschweiler, Monotype Corsiva und Comic Sans Italicised zum Einsatz kamen.«
Der Leiter der Untersuchung, Prof. Daniel Oppenheimer, erklärt das Ergebnis mit der gesteigerten Mobilisierung des Geistes: »Wer sich beim Zuhören oder Lesen anstrengen muss, denkt intensiver, was sich auf allen Ebenen auswirkt.« Sein britischer Kollege Dylan Wiliam zweifelt nicht an den Ergebnis der Studie, zieht jedoch einen anderen Schluss: »Wir brauchen keine schlechte Druckqualität, sondern bewussteres Lesen«.
Ich zweifle an der Fähigkeit der Psychologen, eine gute lesbare von einer schlecht lesbaren Schrift zu unterscheiden. Im Sinne der Zeichenerkennung ist Comic Sans eine gute lesbare Schrift, verglichen mit Arial, was man in der Abbildung oben am ersten Wort gut beobachten kann. Im übrigen erinnert das kurz geschlossene Oppenheimer-Resüme an die Trainingsmethode Magath (die ebenfalls ein Märchen ist): Medizinball-Drill ergibt zwar kräftige Sportler, aber noch lange keine gute Fußballmannschaft.
Abb: Fontblog; Schriften, von oben nach unten: Arial, Haettenschweiler, Monotype Corsiva und Comic Sans Italicised