bukowskigutentag 9/13: Das IARN-Syndrom

Am 16. Juni 2013 platzte die Bombe. Eine über­re­gio­nale Zeitung brachte einen Beitrag mit diesem Aufmacher: »Im Juli soll in London das Kind von Prinz William und Herzogin Kate zur Welt kommen. Das öffent­liche Interesse am royalen Nachwuchs ist groß, …«

Zwar beherrschten zu dieser Zeit die Proteste in der Türkei und Brasilien oder auch die Prism-Enthüllungen die Schlagzeilen, aber das Publikum ließ sich davon zum Glück kaum in seiner Aufmerksamkeit für dieses hoch­bri­sante Thema ablenken. Weitere eigene Recherchen brachten das ganze Ausmaß einer bisher kaum diagnos­ti­zierten Pandemie zum Vorschein. Hier eine erschüt­ternde Fallbeschreibung und leider kein Einzelschicksal: Norbert H., 52, selbst­stän­diger Tischlermeister berichtet:

»Ich saß im Wartezimmer beim Zahnarzt und blät­terte in so einer Promi-Zeitschrift. Plötzlich hatte ich so ein komi­sches Gefühl. Wie so eine Art Interesse. So was hatte ich früher schon mal. Aber mein Interesse galt plötz­lich dem Nachwuchs von Prinz William und Herzogin Kate. Das war heftig. Später am Tag, ich war auf Montage, musste ich wieder daran denken. Wie weit sich der Bauch von Herzogin Kate wohl wölbt, fragte ich mich, und ob das Kleine schon stram­peln würde und ob es dies auch mit der gebo­tenen aris­to­kra­ti­schen Noblesse täte. … Ein Albtraum. Und dann wurde es immer schlimmer. Ich inter­es­sierte mich bren­nend für den royalen Nachwuchs. Die ganze Zeit! Äußerlich sah man mir das nicht an, aber ich konnte mein gewohntes Leben nicht mehr führen. Die Scham, sag ich Ihnen! Und die Einsamkeit. Man kann das ja nicht in seinem Umfeld mal eben so ausplau­dern, ohne stig­ma­ti­siert zu werden. Und die Stigmatisierung ist ja völlig berech­tigt. Ich meine, mal im Ernst: Sich für einen solch irrele­vanten Scheiß zu inter­es­sieren wie die Tatsache, ob ein paar Blaublüter einen erfolg­rei­chen Zeugungsakt geba­cken bekommen haben, wie pein­lich ist das denn! Ich bin völlig verzwei­felt und habe die Kontrolle über mein Leben verloren.«

Wie sich das Problem von medi­zi­ni­scher Seite darstellt, berich­tete uns die behan­delnde Ärztin von Norbert H. Hier der Mitschnitt unseres Telefon-Interviews mit Prof. Dr. Beate Breitscheidt vom Uni-Klinikum Hamburg-Harburg:

»Ich gestehe es ungern ein, aber über das IARN-Syndrom, also das Interesse am royalen Nachwuchs, wissen wir bisher fast gar nichts, weder in der Diagnostik noch in der Therapie. So unschön der Krankheitsverlauf für Herrn H. sein mag, für die Medizin handelt es sich dabei um einen Glücksfall. Denn charak­te­ris­tisch für das IARN-Syndrom ist, dass den meisten Patienten das Ausmaß ihrer Erkrankung gar nicht bewusst ist. Wir unter­su­chen Herrn H. jetzt seit einigen Wochen in strikter Quarantäne und hoffen, mehr über die Krankheit zu erfahren. Aus der Öffentlichkeit wissen wir, dass Millionen Menschen betroffen sind. Eine passende Therapie ist noch nicht in Sicht. Bisher können wir nicht mehr machen, als die Erkrankten mit Morphium zu behan­deln, in akuten Fällen in letaler Dosis. Aber davon abge­sehen bin ich sehr aufge­regt. Im Juli soll ja schon das Kind von Prinz William und Herzogin Kate … das wird bestimmt total süß und schnu­ckelig … oh Gott, was … ich … ich muss auflegen … Schwester, Morphium, bitte. 5 ml …«

Wie sich bei diesen Recherchen weiterhin heraus­stellte, ist das IARN-Syndrom offen­sicht­lich anste­ckend und wird über die Berichterstattung in Medien über­tragen. Das briti­sche Königshaus heizt die Seuche sogar noch zusätz­lich an, wie der eingangs erwähnte Bericht aus der Zeitung zeigt: »Im Juli soll in London das Kind von Prinz William und Herzogin Kate zur Welt kommen. Das öffent­liche Interesse am royalen Nachwuchs ist groß, trotzdem verrät der Palast offi­ziell keine Details – inof­fi­ziell aber schon. Die briti­sche Königsfamilie will sich beim Geschlecht des Babys über­ra­schen lassen«. Es ist zu befürchten, dass sich durch diese unver­ant­wort­liche Informations-Politik weitere unzäh­lige Menschen mit Interesse am royalen Nachwuchs infizieren.

Michael Bukowski

P.S.: Autoren, die diesen Beitrag geschrieben haben, haben auch diese Beiträge geschrieben.


Ein Kommentar

  1. andi kissel

    danke für die aufklä­rung. ich habe schon immer geahnt, daß es so etwas wie das iarn-syndrom mal geben würde. auch wenn bisher noch wenig über die krank­heit und ihren verlauf bekannt ist, haben belgi­sche forscher im labor­ver­such fest­ge­stellt, daß g.a.l.a.-bakterien und b.i.l.d.-viren maßgeb­li­chen einfluß auf die inten­sität und dauer der krank­heit haben.

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