bukowskigutentag 3/13: Lotto für Arme
Schon wieder ein neuer Rekord: 46 Millionen Euro diesmal! Der größte deutsche Lotto-Jackpot aller Zeiten wurde ausgeschüttet. Na, da freue ich mich aber – nicht. Im Gegenteil. Dieser erneute, allerzeitenste Super-Duper-Rekord bringt bei mir das Glücksfass zum Überlaufen. Endgültig.
Missgönne ich dem Gewinner oder der Gewinnerin die Kohle? Keineswegs. Es interessiert mich nicht. Was mich dagegen nicht nur interessiert, sondern sogar enerviert, ist das konstant pervertierende Lotto-System. Es scheint mir übrigens eine erschreckend analoge Entwicklung zur allgemein überhitzten Spirale in Sachen gesellschaftlicher Umverteilung von Wohlstand. Bekannt ist ja, dass ein Konzernvorstand früher ein zweistelligfaches eines durchschnittlichen Arbeitnehmers verdiente, heute dagegen ein dreistelliges Vielfaches. Immer munter weiter von unten nach oben lautet auch das Motto bei Lotto.
Was da los ist bei bei der staatlichen Lotterie, erzählte sie mir kürzlich unaufgefordert selbst, in Form einer E-Mail mit klassischem Euphemismus-Sprech zur Verschleierung und Schönung der Tatsachen. Hier drei Beispiele aus dieser Mail mit einer kurzen Übersetzung ins Klartextdeutsch:
Lotto wird also für mich attraktiver, weil eine Umverteilung von kleineren Gewinnen zum Jackpot vorgenommen wird. Ob ich diese Aussage unterschreiben würde, hat mich allerdings niemand gefragt. Zurecht. Ich würde sie nicht unterschreiben, sondern sogar ganz anders interpretieren. Nämlich so: Kleinere Gewinne zahlen für den großen Jackpot-Overkill. Satte 2,8 Prozent werden von unten abgezogen und oben draufgepackt.
Künftig wird es schon für zwei Richtige plus Superzahl einen Gewinn geben: 5 Euro! Bei dieser Nachricht floss bei mir aber der Champagner in Strömen, kann ich euch sagen, liebe Leute. Ich bin jetzt noch ganz besoffen vor Glücksrausch.
Und hier mein ganz besonderes, persönliches Leckerhäppchen: »Vereinfachtes Preissystem«? Geil! Und: »… erfreulicherweise steigen auch die Jackpots und ihre Gewinnchancen«? Noch mal geil! Und, ach so, bevor wir es vergessen: Es wird ein bisschen teurer. Aber nur ein bisschen, nämlich nur läppische 25 Prozent, also ein schlappes Viertel … 25 fucking Prozent? Meine Fresse!
Und jetzt eine kurze Rückblende. Ich erinnere mich an meine Kindheit, als Eltern, Großeltern und andere Lotto spielten. Da wurde immer mal was gewonnen. 1000 Mark zum Beispiel. Das war toll. Bei niemanden war Reichtum ausgebrochen, aber es gab was Neues zum Anziehen, Spielsachen für die Kinder und so weiter. Sehr nett.
Und gleich wieder zurück in die Gegenwart. Ich spiele seit etwa zehn Jahren Lotto mit wöchentlich zwei Ziehungen und zwölf Feldern. In diesen zehn Jahren habe ich zweimal 4 Richtige gehabt. Man sieht also, wie unwahrscheinlich allein schon diese 4 Richtigen sind. Vor kurzem hatte ich wieder diesen kleinen Miniatur-Jackpot und für meine 4 Richtigen wurden mir satte 52 Piepen irgendwas ausgezahlt. Na da war bei mir aber gleich mal schon wieder der Champagner geflossen, kann ich Ihnen sagen.
Fazit: Lotto dreht zunehmend an einer völlig überdrehten Jackpot-Spirale. Wie im richtigen Leben zahlen die kleinen die Zeche für die großen. Sprich: die Kleingewinne sinken und finanzieren damit die regelmäßig neuen größten Jackpots aller Zeiten. Ich finde das zum Kotzen.
Leider darf man annehmen, dass die Leute genau diesen Kick der Superlative wollen. Ich hatte mich vor Jahren sogar mal mit dem Geschäftsführer eines Online-Lotto-Anbieters ausführlich unterhalten. Ihm persönlich gefiel meine Idee eines entspannten Lotto mit guten Gewinnchancen auf realistischere Gewinne – also öfter mal einen Tausi, aber dafür auch keine hundert Zillionen ganz oben. Aber er sah dafür keinen Markt.
Man überlege einmal: Anstatt dass aktuell einer oder eine mit 46 Millionen Euro beglückt wird, könnte es jetzt 46 Leute mit einer Million auf dem Konto geben. (Hier machen wir mal eine kleine volkswirtschaftliche Hobby-Ecke auf: 46 Leute mit einer Million würden sich jeweils ein neues Auto kaufen und ein Häusle bauen. Sprich: Die Wirtschaft ankurbeln. Eine Person mit 46 Millionen wird sich aber nicht 46 Autos kaufen und auch keine 46 Häusles bauen. Fazit: Auch die Volkswirtschaft guckt bei diesem Umverteilungsmotor mit akuter Oben-Unten-Unwucht doof aus der Wäsche).
Und jetzt mache ich gleich noch eine Klammer auf, diesmal eine kleine Psychologie-Krabbelgruppe: Was bringen mir bitte schön 46 Millionen Euro? Angenommen, ein Betrag von 2 Millionen würde mir die Freiheit gewähren, für den Rest meines Lebens nicht mehr meine Arbeitskraft zu Markte tragen zu müssen. Diese Schwelle ist absolut und nicht steigerbar. 46 Millionen Euro (geteilt durch 2) würden mir also nicht zusätzliche 23 Mal die absolute Freiheit gewähren können. Höchstens ein »Freiheit für«-Effekt wäre das Ergebnis; also die Freiheit, große Mengen an Geld zu investieren, zu spenden oder sonstwie sinnvoll nutzen können. Aber ein Zuwachs an Freiheit von »seinen Lebensunterhalt verdienen müssen« können mir auch 460 Millionen oder 4,6 Milliarden einfach nicht bieten.
Abschließend mein Vorschlag: Wenn schon, dann richtig, Lotto! Schaff doch gleich alle Gewinnklassen unterhalb des Hyper-Mega-Wega-Ultra-Geilo-Jackpots aller Zeiten ab. Dann gibt’s jede Woche einmal 100 Millionen für genau eine Person, dazu geile Schlagzeilen, neue Kunden mit Sabber in den Mundwinkeln und gut is.
Was mich persönlich anbetrifft, ich bin raus. Meinen Lottoschein kündige ich mit einer gewissen »Aber sowas von!«-Verve. Stattdessen habe ich ein anderes Gewinndings aufgetan. Da gibt es – halten Sie sich fest – einen maximalen Hauptgewinn von sportlichen – Achtung! – 15.000 Euro. Garantiert keinen Cent mehr. Da mach ich mit. Tschüss, Lotto.
P.S.: Autoren, die diesen Beitrag geschrieben haben, haben auch diese Beiträge geschrieben.
11 Kommentare
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Mick
Well said, well said.
Ergänzend: Glücksforscher fanden heraus, dass das Glücksempfinden nach einem Lottogewinn (wenn ich mich recht erinnere) drei Monate anhält und dann wieder auf normal sinkt.
Ergänzend: Geld hilft auch nicht bei Krebs, Tod und einem üblen Charakter. Aber auch im normalen Leben kann der Lottogewinn mehr Probleme als Nutzen bringen: Neid, neue „Freunde“, (gierige) „Berater“, Gier bei bisher guten Freunden, Geiz bei einem selbst, Forderungen von Familienmitgliedern …
Ergänzend: je mehr Besitz, desto mehr Sorgen, den Besitz zu erhalten, zu vermehren, zu schützen und Ängste all das zu verlieren … Geld und Besitz machen nicht aus sich heraus sorgenfrei, sonst würden Reiche sicher keine Anti-Depressive benötigen …
Alternativ: Glück nicht auf Geld bauen ;-)
Tschüss, Geld=Glück.
Nachdgedanke: Letztlich ist diese Verblödung, die die Lottogesellschaft ihren Lesern unterjubelt, aber sicher das Ergebnis „guter“ PR Arbeit, oder?
Neuropol
46 Millionen kann man schwerlich in einem Jahr ausgeben. Selbst mit Yacht, Champagner auf Hütte auf Malle nicht. Nach dem schönen steuerfreien Jahr kommt dann das Finanzamt und holt sich das Geld wieder. So rechnet sich das für den Staat. Aber es gibt noch eine Möglichkeit den Schotter zu retten: Ab in die Schweiz.
zwoelfuhrmittags
Zwar war ich in Mathe nie eine Leuchte, aber dass die Preiserhöhung von 0,75 € auf 1,00 € mehr als 25 Prozent beträgt, das sehe sogar ich.
Sie ist nämlich noch höher. Denn 25 Prozent von 0,75 € sind bloß 0,1875 €. Um von 0,75 € auf 1,00 € zu kommen, müssen ~33,3 Prozent auf den Preis aufgeschlagen werden.
mbukowski
@zwoelfuhrmittags Huch, stimmt ja. Danke für den Hinweis!
Christoph
Neuropol: Noch gibt es die Vermögensteuer nicht. Wo holt sich der Staat das Geld?
Der Staat hat sich das Geld doch schon vor der Ausschüttung geholt.
mbukowski: Du hast mit 24 Feldern pro Woche gespielt? Das macht bei den aktuellen Preisen: 1 € * 24*52 = 1248 € Wenn man gar nicht spielt und das Geld einfach zur Seite legt, dann kann man sich jährlich 1000 Euro auszahlen.
debruehe
Sicherlich richtige Überlegungen.
Aber: Wer bei klarem Verstand spielt denn bitte Lotto? Und das auch noch jahrelang. Dann das Geld doch lieber gleich vor die Haustür legen und hoffen, dass es ein Bedürftiger findet.
Mick
Schönes Foto zum Thema Geld und Glücksspirale.
Geld, die große Liebe:
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/s-k-geheime-videos-der-mutmasslichen-betrueger-schaefer-und-koeller-a-896851.html
Neuropol
@ Christoph
Ja stimmt. Das ist nur so ein gängiges Vorurteil. Lotto Gewinne müssen tatsächlich (noch) nicht versteuert werden, wenn damit nicht anderweitig Geld verdient wird. Aber heutzutage sind 46 Mille die auf dem Konto rumliegen ein nicht zu unterschätzendes Risiko. :-)
Peter
Lotto ist schon toll. Die Gewinnsummen werden immer höher, der Gewinn muss nicht versteuert werden, doch wie hoch sind die Gewinchancen?
Alex
Ich interessiere mich für Lotto und beschäftige mich im Prinzip auch gerne damit, aber diese Änderungen bzw. die tollen neuen Gewinnchancen sind für mich reine Augenwischerei. Nach bester Marketingmanier einen Nachteil für den Endkunden als Vorteil verkaufen. Und alle Anbieter, die ja inzwischen wieder zahlreich zugelassen sind, machen munter mit. Ich mache auf meiner Website ein wenig Werbung für Lotto, das will ich nicht verhehlen, aber diese zusätzliche Verdummung und Irreführung kann ich nicht gutheißen.
An dieser Stelle sei mir eine Korrektur erlaubt: Es sind nicht 25%, sondern sogar über 33% Preiserhöhung, nämlich von 75 Cent um 25Cent auf 100 Cent (1EUR).
Kim
Servus,
Die Lotto Preise sind schon alle irgendwie komisch. Lg. Kim