bukowskigutentag 19/12: Quelle? Twitter!

uweia, Tweet-Diebstahl! Nun ja, Sie merken schon: Es handelt sich bei diesem Thema nur um einen kleinen Mäusefurz im Universum der Diskussionen von Urheber- und Leistungsschutzrecht. Aber trotzdem um einen rele­vanten kleinen Beitrag, der das schi­zo­phrene Verhältnis vieler Verlage zum Urheberrecht sehr anschau­lich illus­triert. Oder wie es dieser Twitter-Kollege hier auf den Punkt bringt:

In diesem Fall könnte man auch gut von Bigotterie spre­chen, scheint mir. Kürzlich bin ich über eines von vielen Beispielen dafür gestol­pert. Hier ein Zitat aus dem ersten Absatz eines Artikels aus dem Sportteil von SPIEGEL ONLINE:

»Direkt nach dem Abpfiff der 3:5-Pleite von Basel am Samstagabend twit­terte der Erste ironisch: „Eilmeldung: Löw nomi­niert 26 Spieler nach.“ Dann wandte sich die Kurznachrichten-Gemeinde aller­dings geschlossen dem Eurovision Song Contest zu und ließ den Bundestrainer und seine an diesem Abend gede­mü­tigte B-Mannschaft in Ruhe.«

Während Verlage also ein Leistungsschutzrecht für sich einklagen, bedienen sie sich aus dem Internet ohne jede Hemmung in Sachen Zitat-Recht, Quellen-Angabe oder ähnli­ches. Hier in Form eines Tweets ohne Nennung auf oder Verlinkung zum Urheber. Dürfen die das? Keine Ahnung!

Klar an der recht­li­chen Lage ist nur, dass sie unklar ist.

Das heißt, dass die schöp­fe­ri­sche Höhe eines Tweets noch nicht defi­niert und recht­lich geschützt oder über­haupt nur gere­gelt ist. Es handelt sich um eine Grauzone, in der die Rechtslage den medialen Entwicklungen mit weitem Abstand hinter­her­hinkt. Man erin­nere sich zum Beispiel an den Ärger um die Tweets des Tages auf der Titelseite von Welt Kompakt – obwohl die zitierten Twitterer immerhin nament­lich genannt und damit im weitesten Sinne CC-Lizenz-Bedingungen einge­halten wurden.

In diesem Beispiel also gibt der Redakteur als Quelle einfach Twitter an. Als wäre es eine alltäg­liche Nachrichtenquelle wie eben die dpa oder eine andere Presseagentur, von der die Verlage Nachrichten im Abo beziehen. Für letz­tere zahlen sie. Für ersteres, also „Quelle Internet“ zahlen sie auch; und zwar mit ihrer Reputation.

Zum Vergleich: Würde man aus dem SPIEGEL oder anderen in glei­cher Weise eine origi­nelle Überschrift ziehen ohne Nennung und Quellenangabe – hui! – dann wäre aber was los! Auch wird hier nicht einfach nur irgendein irrele­vantes Zitat von irgend­woher irgendwie benutzt. Im Gegenteil: Bei dem zitierten Tweet handelt es sich um einen Witz mit tages­ak­tu­ellem Bezug und einem Niveau, wie es zum Beispiel Gag-Schreiber fürs Fernsehen produ­zieren, und zwar gegen Bezahlung. Ein solcher Witz im ersten Absatz wertet den Artikel eindeutig auf.

Um aber nicht nur entrüstet mit »Du, Du, Du!« zu argu­men­tieren, möchte ich es als Frage formu­lieren. Was genau denken sich die Redakteure, Journalisten und Verlage dabei? Sie würden doch nichts verlieren, wenn sie die Quelle nennen, von der sie zitieren oder abschreiben, während die eigene Rechtsabteilung gerade die nächsten Maßnahmen gegen den Perlentaucher oder andere plant.

Wieso sollte ich dem was schenken, den ich gerade beklaue?

Steckt dahinter viel­leicht die Arroganz eines Massenmediums im Sinne von: »Ich, die große, renom­mierte Zeitschrift verlinke doch nicht auf einen kleinen Twitterer! Und wieso sollte ich dem auch noch zu Aufmerksamkeit verhelfen, dessen geis­tige Produktion ich gerade zum Wohle meiner eigenen Aufmerksamkeit zocke?«

Wahre Größe würde man gerade auch als – wie ich kürz­lich in einer Eigenwerbung des SPIEGEL las – »gefürch­tetes Nachrichtenmagazin« beweisen, wenn man das Internet nicht als Territorium zum freien Wildern geis­tigen Eigentums nutzen würde, während man gerade sein eigenes Hoheitsgebiet gegen diesen Missbrauch zu vertei­digen versucht.

Also, liebe große Medien, das Thema ist nicht neu, aber viel­leicht denkt Ihr trotzdem noch mal neu drüber nach. Es wären sehr dankbar: Eure kleinen Mäusefurze von Twitter.

Michael Bukowski


5 Kommentare

  1. Will Sagen

    Ich weiß noch, wie dieser eine Mensch, der daran betei­ligt war, son Twitterbuch zusam­men­zu­stellen, not amused war, als ich meinte, das würde ich jetzt als pdf ins Netz stellen. Da käme es ja schließ­lich her. Tja. Es müssen nicht nur die alten Medien sein.

  2. Simon Wehr

    »Quelle: twitter« ist aber auch so unge­fähr wie »Quelle: Stammtisch«. Hätte man früher geschrieben »Ede Humbeck in Paula’s Eck sagte gestern Abend, …«? Nö.

  3. NetzBlogR

    @Simon: Schon aus Höflichkeit sollte man in der Kneipe wenigs­tens dazu sagen, dass ein lustiger Spruch nicht von einem selbst ist. Geht ja einfach durch den Zusatz: „Habe ich letz­tens gelesen“ oder so. Wobei man bei manchen schon ahnt, dass der sich sowas nicht einfallen lässt. :-)

    In schrift­li­cher Form ist es aber eine andere Sache: Wenn etwas irgendwo steht, ist es in den meisten Fällen mit einem Namen verknüpft – dem Autor. Und wenn der nicht dazu schreibt, dass etwas nicht von ihm ist, muss man ja zunächst annehmen, dass es seine Idee war. Und das ist ja nicht richtig.

    Auf diese Art haben schon einige Leute Geld verdient. Bekanntes Beispiel dürfte „Axolotl Roadkill“ sein. Die Autorin wurde durch das Medienecho erst gezwungen, einzu­räumen, dass sie vieles nur zusam­men­ko­piert hat.

    Außerdem tut es keinem weh, gleich dazu zu sagen, wenn man etwas von jemand anderem über­nommen hat. Im Gegenteil: Es zeigt, dass man demje­nigen Respekt gegen­über bringt.

    Etwas, was viel mehr wert ist als Geld.

  4. Simon Wehr

    @ NetzBlogR: Du hast total recht, mich aber leider genau falsch herum verstanden.
    Ich meinte, ob ein Redakteur in seinem Artikel wohl geschrieben hätte, dass Ede Humbeck gestern in der Kneipe gesagt hat, … Er hätte eher geschrieben, dass an Berliner Stammtischen darüber disku­tiert wird, dass …
    Generell finde ich es (noch ?) recht merk­würdig, wenn in Artikeln steht: »Der User @bukowskigutentag beklagt sich auf twitter über die Unsitte, …«

  5. epikur

    Die Tagesschau bringt seit Wochen in der Berichterstattung über Syrien „Quelle: Internet-Video“. Anscheinend will man die wahre Quelle verschleiern.

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