Bücher frisch ausgepackt (5): Nanni Balestrini »Tristano«

12579_BalestriniFrisch ausge­packt … und im Buchhandel erhält­lich: ein multi­pler Roman in Einzelausgaben, numme­riert und jeder ein Unikat. Der Autor Nanni Balestrini, geboren 1935 in Mailand, veröf­fent­lichte 1961 unter dem Titel »Tape Mark I« das erste je auf einem Computer geschrie­bene Gedicht. Seit dieser Zeit verfolgt ihn eine radi­kale Idee: am Rechner einen Liebesroman verfassen, in seine Bestandteile zerlegen und diese will­kür­lich kombinieren.

1966 erschien sein »Tristano« bei Feltrinelli – als »normales« Buch mit 10 Kapiteln zu jeweils 30 Abschnitten in einer fest­ge­legten Reihenfolge. Vier Jahrzehnte später erlaubt die digi­tale Drucktechnik, das Buch so zu veröf­fent­li­chen, wie der Autor es ursprüng­lich geplante hatte: Per Computer werden aus den 30 Abschnitten der 10 Kapitel jeweils 20 ausge­wählt und in eine neue, zufäl­lige Reihenfolge gebracht.

Somit ist jedes der 2.000 Exemplare dieser deut­schen Originalausgabe ein Unikat. Alle Bände sind auf dem Umschlag fort­lau­fend numme­riert. Die ersten 5.999 Exemplare sind in italie­ni­scher Sprache erschienen, die deut­sche Ausgabe beginnt mit der Nummer 6.000 und endet mit der Nummer 7.999.

Weitere Informationen bei Suhrkamp, hier eine Leseprobe als PDF.


18 Kommentare

  1. Plamen Tanovski

    „Leseprobe als PDF“

    Das Ligaturen-An-Den-Wortfugen-Analphabetentum scheint epide­mi­sche Ausmaße erreicht zu haben. Das kommt davon, wenn Bücher von Grafikdesignern und Germanisti(k-Studentin)nen produ­ziert werden.

    SCNR

  2. thomas junold

    lieber plamen, sie sind aber auch eine mecker-tante! woran liegt’s?

  3. Jürgen W.

    Das liegt wohl daran, dass in InDesign Ligaturen ›default‹ sind. Und wenn ein OpenType-Font mit vielen Ligaturen ausge­stattet ist, werden die auch überall auto­ma­tisch gesetzt. Korrekturlesen ist aber Sache des Setzers.
    Schlimmer finde ich aber den Konservatismus von Suhrkamp, immer stur bei der ›verord­neten‹ Corporate Identity Schrift Garamond zu bleiben, bei dieser radi­kalen lite­ra­ri­schen Idee des Autors.

  4. Jürgen Siebert

    Schlimmer finde ich aber den Konservatismus von Suhrkamp, immer stur bei der ›verord­neten‹ Corporate Identity Schrift Garamond zu bleiben, bei dieser radi­kalen lite­ra­ri­schen Idee des Autors.

    Als Kämpfer für Schriftvielfalt, -qualität und -weiter­ent­wick­lung kann ich dem nur zustimmen.

  5. HD Schellnack.

    >Schlimmer finde ich aber den Konservatismus von Suhrkamp, immer >stur bei der ›verord­neten‹ Corporate Identity Schrift Garamond zu >bleiben…

    Warum? Und welche wäre besser gewesen? Die Beowulf? Random Font fürs Random Book? Eine Textschrift sollte sich hüten, den Inhalt des Buches aktiv zu kommen­tieren. Auch hier gilt für mich nach wie vor, dass sie gut lesbar sein sollte und «dienen» muss, den Text und das eigent­liche Experiment darin in den Vordergrund stellen, nicht das lite­ra­ri­sche Spiel als Vorwand nehmen, um selbst zu experimentieren.

    Gehört zu einem CD-Font nicht übri­gens irgendwie eben dazu, dass man ihn «stur» einsetzt? Zumal gerade Suhrkamp ja durchaus wohl­tuend «konser­vativ» ist in dieser Hinsicht. Jede Modernisierung tut dem Fleckhaus-Design Abbruch, finde ich.

    >Korrekturlesen ist aber Sache des Setzers.
    Aus der Praxis spre­chend: Dazu fehlt aufgrund der sinkenden Budgets bei zugleich wach­sendem Zeitdruck einfach zuneh­mend die Zeit. Wir haben früher jedes Buch, das wir layoutet haben, von A bis Z gelesen. Das geht heute gar nicht mehr und auch wir müssen uns drauf verlassen, dass der Kunde es sieht – dafür gibt es ja Korrekturläufe. Was wir sehen, fixen wir, aber es geht einfach gar nicht mehr immer.

  6. Jürgen W.

    Ach was, Beowulf! Natürlich muss es eine sehr gut lesbare Schrift sein. Es geht nicht um typo­gra­phi­sche Experimente. Aber warum nicht was moder­neres als eine Adobe Garamond bei einer Neuauflage? Hat diese die Buchhoheit in puncto Lesbarkeit gepachtet? Das Fleckhaus-Design der Titel soll davon auch unbe­rührt bleiben, das ist sowieso wieder eine andere Garamond als für den Text innen.

    Korrekturlesen: dass das heute keiner mehr bezahlt, sieht man überall. Drum: vorher entscheiden, ob Ligaturen auto­ma­tisch an oder nicht.

  7. HD Schellnack.

    >Aber warum nicht was moder­neres als eine Adobe Garamond bei einer >Neuauflage?
    Was ist unmo­dern an der Garamond? Wäre die Dolly o.ä. jetzt der große Gewinn? Ich finde es prima, wenn ein Verlag alle seine Bücher in einer Typographie hält – simpel und gut.

    Es gab vor ein paar Monaten/Jahren mal einen schönen Artikel irgendwo (hei, bin ich heute präzise) zum Zustand des deut­schen Lektorenwesens, mit haar­sträu­benden Beispielen. Das ist der Preis der ökono­mi­schen und damit hastigen Produktion. Vor zehn Jahren haben Projekte fast drei- oder viermal so lange gedauert (allein bis mal ein Cromalin bei uns war), das Web und Softproof und PDF hat das alles enorm beschleu­nigt, was einer­seits toll ist (und ökolo­gi­scher!), aber eben auch keine Zeit und kein Budget für Lektorenarbeit auf Designerseite. Was ich immer wieder schade finde. Zeit und Ruhe für ein gereiftes Produkt ist irgendwie ein Luxus geworden.

  8. Jürgen W.

    Garamond ist nicht unmo­dern per se, aber warum darf man nicht eine Ausnahme vom strengen CI-Korsett machen? Wie wär’s mit einer gut lesbaren Serifenlosen?
    Aber was soll’s: keine Zeit und kein Budget für die Korrektur, warum also Zeit und Geld verschwenden, um einmal eine andere Schrift zu suchen.

  9. Plamen Tanovski

    Ich finde es prima, wenn ein Verlag …

    Das Problem ist, es ist nicht ein Verlag. Fast alle im GuSW-Bereich publi­zie­renden Verlage benutzen (Stempel) Garamond/Sabon. Von CI kann somit keine Rede sein. Eldorado oder Figural wären z.B. zwei frische Alternativen, ohne sich weit von Garamond zu entfernen.

    Für das hier vorge­stellte Buch, würde ich auf einen nicht so mageren Schnitt von Univers zurückgreifen.

  10. Jürgen W.

    Danke für die Unterstützung, Plamen!

  11. nora

    @HD: „Eine Textschrift sollte sich hüten, den Inhalt des Buches aktiv zu kommentieren.“

    Warum denn? Natürlich soll die Textschrift lesbar sein. Natürlich soll sie sich nicht platt anbie­dern. Aber es ist doch wunderbar, wenn jemand sich über­legt, welche Schrift er wählen könnte um den Inhalt zu stützen, auch wenn dies viel­leicht ganz leise geschieht und für normale Leser, nicht typophile Menschen sogar unsichtbar – um so besser – sonst bräuchten wir ja nur noch eine Brotschrift und fertig. Dann hätte ich keine Lust mehr Bücher zu gestalten.

  12. HD Schellnack.

    >um den Inhalt zu stützen, auch wenn dies viel­leicht ganz leise geschieht
    Das ist ja immer die Afgabe von Typographie, oder? ich glaube auch nicht wie Tschichold, dass Typographie völlig neutral sein sollte, selbst beim Buch nicht. Andererseits glaube ich nicht – zumal nicht bei Suhrkamp – dass ein expe­ri­men­teller Text nun auch unbe­dingt eine expe­ri­men­telle Typographie braucht. Manchmal ist zweimal Plus dann eben Minus. Ein expe­ri­men­teller Text ist kein Freibrief für den Typographen, plötz­lich witzig oder «modern» sein zu wollen. Buchsatz, da darf man sich nichts vorma­chen, ist die konser­va­tivste Spielart von dem, was wir so tun, und das mit allem Fug & Recht. Es ist wie der Bau einer guten, zeit­losen Armbanduhr, die auch in 30 Jahren idea­ler­weise noch am Arm gut aussehen soll. Es gibt durchaus Bücher, wo man aufgrund ihrer Kurzlebigkeit auch mal Gas geben kann, aber alles in allem ist «konser­vativ» beim Buchsatz eine feine Sache.

    Was keines­wegs heißt, dass man immer die Garamond nehmen muss, klar – es gibt zig wirk­lich ausge­zeich­nete Satzschriften, die man je nach Zweck nehmen kann, um eine eigene Note einzu­bringen. Dennoch erwi­sche ich mich schon oft dabei, dass ich auch gern zu Sabon und Garamond greife, wenn ich eine Typographie suche, die möglichst entspannt und unauf­fällig sein soll.

    Wobei ich mich frage, wie um Himmels willen ausge­rechnet die Univers «expe­ri­men­teller» sein sollte (von der besseren Lesbarkeit in einem Buch will ich gar nicht erst anfangen). Die Garamond ist öde, aber die… ausge­rechnet… Univers ist besser? Tauscht man da nicht eine abge­grif­fene Sache gegen eine andere aus, die halt nur (und das ist eben NICHT moderner) die Füßchen abge­hackt bekommen hat?

  13. Indra

    Korrekturlesen auf Rechtschreibung und Zeichensetzung ist nicht Sache des Gestalters, sondern des Verlags/Lektors.

  14. jamie oliver

    Ich verstehe hier einige Kommentare auch nicht ganz. Die immer­gleiche Typografie der Suhrkamp Bücher ist ja das Erkennungsmerkmal der „edition suhr­kamp“ sozu­sagen das CI der Reihe. Wieso jetzt hier von Gestaltern ernst­haft vorge­schlagen wird dies für einen Buchtitel zu ändern ist mir echt nicht klar. Manchmal habe ich das Gefühl viele Gestalter meckern einfach gerne. Wenns ein CI hat dann ist es das falsche wenn es keins hat müsste es eins haben.

    Mir gefallen die Bücher so. Vielleicht weil ich mit denen im Büchergestell aufge­wachsen bin.

  15. till1

    ich würde gerne eine initia­tive gründen, die ein für allemal diese CICD verwechs­lungen behebt – oder noch besser: die extrem unter­schied­lich verstan­denen und unprä­zise verwen­deten begriffe wie CI, Marke, Brand, Branding einfach abschafft und neue, eindeu­ti­gere etabliert.

  16. HD Schellnack.

    erschei­nungs­bild beispielsweise.
    mit dem wort bran­ding hab ich schon von der herkunft irgendwie probleme – ist unser kunde etwa eine kuh? oder ein hornochse? oder wert oder was kriegt da sein zeichen eingebrannt?

  17. till1

    genau sowas meine ich… (visu­elle) desi­gner reden die ganze zeit von iden­tity oder iden­tität, wenn sie eigent­lich das erschei­nungs­bild meinen.

    da kriegt jeder geis­tes­wis­sen­schaftler zustände und außen­ste­hende verstehen das gar nicht erst – denn iden­tität ist ja schon umgangs­sprach­lich viel mehr als nur das visu­elle auftreten. und wenn man mal in meta­phern spre­chen will, ist corpo­rate design ja auch nur die uniform, die die ange­stellten anziehen müssen – und nicht deren gesamtes erschei­ungs­bild mit gesicht, körper­hal­tung und modi­schen accessoires.

    auch die vorstel­lung, marken und iden­ti­täten beliebig formen zu können, ist so eine furchtbar naive vorstellung.

    niko­demus herger sortiert diese begriff­lich­keiten (kultur, iden­tität, marke, repu­ta­tion, image) ganz schön in seinem buch „Vertrauen und Organisationskommunikation: Identität – Marke – Image – Reputation“

  18. Mario

    Hui, da kam ja doch glatt eine Versalie – ähh ich meine ein Großbuchstabe – in den Zitaten. Ich hatte mich schon damit abge­funden, dass till1 die Shift- – pardon, die Großschreibtaste, nicht kennt.
    Dankbar für den Proof, – pardon, das gelun­gene Beispiel – dass gute Lesetypografie ohne korrekte Schreibweise und somit ohne Lektor, pardon Rechtschreibfehlerfinder, nicht funktioniert.
    Und dann in den letzten beiden Zeilen – groß­artig, das nenne ich real drama- äh pardon, einfach tolle Dramaturgie. Danke till1.
    Aber warum schimpfst du so auf die Designer, die machen meis­tens einen richtig guten Job. Denn was wären wir alle ohne Identity, ähh unsere Selbstidentifikation.

    Ja es ist wirk­lich nicht leicht in diesen Zeiten, wo Marken alles durch­dringen, was nicht ordent­lich ge-„branded“ ist, Marketing eigent­lich Reklame heißen müsste und Corporate Design wieder geklebt wird. Und was machen die Geisteswissenschaftler eigent­lich in 50 Jahren, wenn die lieb­ge­wonnen Anglizismen von chine­si­schen Fachausdrücken durch­setzt werden. Sind das dann nicht alles Ligaturen – ähh, wie heißen die noch auf Deutsch. Wir müssen das Rad zurück­drehen. Ich bin mal gespannt. Btw., wie heißt eigent­lich Versalie auf chinesisch?

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