Bewerbt euch lieber nicht

Stellenanzeige

Die Kreativdirektoren Daryl Corps und Ben Kayder der Londoner Agentur Lunar BBDO suchen einen Spitzen-Typografen. Dass sie es bitter nötig haben, beweisen sie selbst mit ihrer Stellenanzeige. Sie greifen die uralte Idee (1994) von David Carson auf, ein Interview in Ray Gun aus Zapf Dingbats zu setzen (eine sehr origi­nelle Schriftwahl); Carson brachte damals seine Verachtung gegen­über Bryan Ferry zum Ausdruck (auf dieser Seite gibt es eine kleine Abbildung dazu).

Die Stellenanzeigen sind im Stile eines Jan Tschichold bzw. im Bauhaus-Look gehalten. Ich würde mich nicht wundern, wenn sich jede Menge Rätselfreunde im Alter zwischen 60 und 80 Jahren aufgrund der Anzeige bei den beiden bewerben. Mehr zu der Kampagne bei Creativepro. Danke an Jörg Gudehus für die Quelle.


15 Kommentare

  1. simon

    Hm. Ganz soo streng sehe ich das eigent­lich nicht. Zum einen mögen viele jüngere Designer den Bezug zu Carson gar nicht kennen. (Auch ich wusste nichts von dem Interview, wenn­gleich es mich auch nicht im Geringsten über­rascht hat.) Und im Prinzip ist es ja auch nicht so schlecht, wenn man an der Anzeige gleich sieht, dass man sich als Typo-Ass noch voll und ganz einbringen kann …
    Gut, das alles hätte man auch moderner und hipper machen können. Aber wenn sie jetzt die FF infoPict Three genommen hätten. Wie viele Typografen hätten wohl die Chance, die zu entschlüs­seln? Webdings und Zapf Dingbats sind eben für jeden verfügbar. Zu einem verschlüs­selten Text muss der Empfänger nun einmal auch den Schlüssel besitzen.
    Ich erin­nere mich aller­dings an ein CD-Cover von Pat Metheney, »Imaginary Day« … da war die selbe Idee ein wenig hübscher umge­setzt, wenn­gleich even­tuell weniger typo-affin?

  2. Jürgen

    Also, wer den Text der Anzeige mit einem Schriftmuster der Zapf Dingbats entschlüs­selt, ist in meinen Augen ein Dünnbrettbohrer. Die wahre Herausforderung besteht doch darin, eben erst mal den Code zu knacken. Ein klas­si­sches Kryptogramm-Rätsel, eben.

  3. jamie oliver

    Ich find die Idee ein wenig an der Zielgruppe vorbei gedacht. Damit spricht man doch vorallem Sudoku-Macher, Hobby-Kryptologen oder Leute die aller ernstes die Zapf Dingbats nicht deinstal­liert haben an.

  4. Alexander Hahn

    Oh man, sieht für mich eher nach dem Kurs »Typografie, eine Einführung« im 2ten Semester aus, selbst wenn es bei jemandem ankommt, will man den dann wirk­lich in seiner Firma haben? Da muss man dann ja von jemandem ausgehen, der den ganzen Tag Sudoku spielt und im Netz nach neuen Pacman Versionen in der Rave-Variante sucht.

  5. robertmichael

    ich finde die idee zwar nett im sinne von »wir haben keinen ordent­li­chen tyografen, seht her – bewirb dich jetzt!« aber finds auch affig die idee von carson einfach so zu klauen. das hätte man auch auf eine andere art und weise rüber­bringen können. wo ist die denn erschienen?

  6. Jens Kutilek

    Im Zeitalter von Unicode funk­tio­niert das doch gar nicht mehr, weil die Dingbats keinem Buchstaben(-taste) mehr zuge­ordnet sind. Der Anfang über­setzt sich deshalb nach »Zeichenpalette« so:

    »Star of David right half black circle eight petalled outlined black florette upper right shadowed white square …«

  7. JaySee

    Die Dingbats-Story wird mitt­ler­weile als „Trendsetter“ behan­delt, was unver­ständ­lich ist. In der letzten Page stand eine Anzeige von irgend­einer Werbeagentur. Im Anzeigentext fanden sich Ersetzungszeichen, die eigent­lich nur bei Fonts auftau­chen, wo z.B. Umlaute fehlen. Die Ersetzungszeichen tauchten aller­dings auch an Stellen auf, die der Vorrat beinhalten müsste. Fake oder nicht?

  8. Sieghart

    Die Idee ist noch älter. Frage doch mal Erik nach Studentenfutter.

  9. simon

    Dankeschön für das editieren meines Beitrages! Das nenne ich mal Service!
    simon

  10. Benjamin Hickethier

    das ist zwar mal wieder beson­ders spitz­findig, aber nicht ganz unwe­sent­lich: die geschichts­schrei­bung sagt, carson drückte mit der verwen­dung von zapf ding­bats 1994 in raygun nicht seine verach­tung für brian ferry aus, sondern für die (›far-from-inte­res­ting‹) qualität des inter­views mit ferry. »we shouldn’t confuse legi­bi­lity with commu­ni­ca­tion,« so carson in ›the end of print‹, »you may be leigible, but what is the emotion contained in the message? that is important to me.«
    hier geht es nämlich um die elemen­tare frage welche wich­tig­keit der/die designerIn hat/haben sollte.
    das ganze ist sehr schön und ausführ­lich beschrieben als einer der ›great moments‹ in ›WE LOVE MAGAZINES‹, dem buch zur colophon2007 edito­rial design konfe­renz. erschienen bei die gestalten und jedem/r ans herz gelegt.

    hier noch ein etwas größeres bild und drei finger:

    http://​diediebe​.be/​r​g​.​jpg

  11. erik

    Frage doch mal Erik nach Studentenfutter.
    Muss leider schnell zum flug­zeug (Helvetica film in Zürich!), aber sonn­tag­abend mach ich mal ein scan vom umschlag des buches, auf das sich Sieghart bezieht. Das erschien 1989, der umschlag­ent­wurf war von 1987. Noch auf Berthold gesetzt. Da war der titel aus der Berthold lini­en­scheibe gesetzt und ein paar ding­bats. Ursprünglich ein fehler des setzers, aber sehr schön. Daneben steht aber der rich­tige text, denn nie würde ich mich als gestalter erdreisten, einen text zu zensieren. Wenn ich ihn so doof finde, dann rede ich darüber mit der redak­tion oder dem autor. Selbstherrliche gestalter sollten kunst machen, aber kein design.

  12. stefano picco

    das motiv paßt gut in ein museum für …

  13. Benjamin Hickethier


    …hier der ›Studentenfutter‹-Umschlag vor dem Hintergrund einer Publikation namens ›Hamburger Satzspiegel‹, vermut­lich eben­falls aus dem Jahre 1994, in der einlei­tend ein gewisser Jürgen Siebert schreibt: »…wie behauptet sich heute die geschrie­bene Sprache gegen­über multi­me­dialer Reizüberflutung? Die Schrift brüllt mit, putzt sich heraus oder läßt die Hüllen fallen. Sie kaschiert Inhaltslosigkeit und sagt uns: Ihr habt sowieso keine Zeit zum Lesen, also blät­tert ein bißchen herum und ergötzt Euch an meinen Designerfummeln.« […] »Hier noch ein kleines Geheimnis: Untersuchungen unter Designern, Werbemenschen und Verlagsleuten haben ergeben, daß jene Zeitgenossen (und -genos­sinnen) Zeitschriften heute nur noch durch­blät­tern. Wo bleibt das Auge hängen: an Bildern, Überschriften, dem Vorspann und an Bildlegenden. Dann geht’s gleich weiter zur nächsten Seite.«

  14. HD Schellnack

    Bejamin hat recht.
    Es ging Carson um die B-Qualität des Textes, der etwas mau umgeht, dass eigent­lich kein echtes Gespräch mit Ferry statt­fand. David hat das bei einem Vortrag vor 12 Jahren mal recht ausgiebig erläu­tert, ebenso die Tatsache, dass NACH diesem Text einige Autoren zu ihm kamen und sich beschwerten, wenn er einen Text vergleichs­weise normal setze… «Hey, we can READ this.. didn’t you like it?» Ich nutze genau diesen Artikel gerne, um den Zenith einer Bewegung zu markieren, in der der Designer zum Editor, zum visu­ellen Redakteur wird, der massiv in die text­li­chen Inhalte eingreift. Es ist nicht wirk­lich Style-over-Content, sondern eher so, dass hier voll­ends die klas­si­sche Rollenverteilung Redaktion/Grafiker-Designer umkippt. Nicht ohen Grund hat David den Job geschmissen, als der Herausgeber ihm in ein Cover (Bowie) rein­reden wollte. In der der Designer, wie Erik moniert, sich zum «Künstler» aufschwingt oder die Grenzen zumin­dest aufweicht. 

    Ah, the good old days. Sowas wie die Ray Gun fehlt mir heute. Weniger die konkrete Gestaltung, mehr die Kick-Ass-Mentalität, die Carson damals da rein­brachte. Da gab es schon herr­lich boshafte Ideen :-D.

    Die Anzeige ist aller­dings SO derb offen­sicht­lich geklaut, daß einem die Kinnlade herun­ter­fällt, nebenbei gesagt.

  15. erik

    Danke, Benjamin. Dann kann ich mir das scannen ja sparen.

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