Berlinale-2008-Plakat: Der Lochverstärker ist der Star
Er gehört ohne Zweifel zu den aussterbenden Helden des Büroalltags: Der Lochverstärker. Kaum jemand blättert noch exzessiv in Akten. Elektronische Daten werden weder gelocht, noch abgeheftet. Wie schön, dass die Veranstalter der Berlinale auf den aktuellen Plakaten dem Lochverstärker ein Denkmal setzen.
Die Plakatserie für die Berlinale 2008 wurde von der Grafikerin Antonia Neubacher entwickelt. Sei selbst sagt zu den Motiven: »Grafisch gesehen ist die Plakatreihe eine reduzierte Variation aus Notwendigem und scheinbar Zufälligem. Man kann die Reihe auch als programmatisches Statement sehen, in dem der Berlinale Bär als visueller Repräsentant des Festivals ständig in Bewegung ist«. Kann man … muss man aber nicht. Immerhin scheinen diese Worte die Berlinale-Veranstalter überzeugt zu haben, sonst würde sie diese nicht eigens auf ihrer Seite zitieren.
Nachtrag: Das Hauptstadtblog will im Wettbewerbsplakat (oben links) eine Klobrille entdeckt haben. Es ist schon ein Dilemma, mit dem »Notwendigem und scheinbar Zufälligem«.
Nachlesen: Fontblog über die Berlinale-Plakate 2007 und 2006.
29 Kommentare
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Logo?
Berlinale sponsored by one?
Nathanael
Wenn einem nichts mehr einfällt, versteckt man die gestalterische Arbeit gern hinter sinnentleerten pseudointelektuellen Phrasen.
Damit suggeriert man dem Betrachter er sei zu dumm dieses Plakat zu verstehen bzw. zu unkreativ sich seine eigene Interpreation daraus zu bilden.
Im zeitgenössischen Kunstbetrieb macht man sowas auch häufiger.
Ein „Statement das die Bewegung des Berlinale Bären ausdrückt“… Wow, tiefgründige Message. Was hat das jetzt mit der Berlinale zu tun?
Ein Konzept das sich gestalterisch nicht (verständlich) kommunizieren lässt ist ziemlich wertlos. Die Idee muss sich allein visuell durch das Plakat vermitteln, nicht durch hinzugefügte sprachliche Statements. In der Kunst mag so ein Ansatz seine Berechtigung haben. Im Grafikdesign hat das meiner Meinung nach nichts zu suchen.
Somit sagt das aktuelle Berlinale Plakat Alles und Nichts aus.
Sven
Die Berlinale-Plakate sind ja seither eher «prestigeträchtig« als informativ. Und den tradtionellen Umgang mit dem Bären, auffallend und stilitisch einfach, trifft es doch in 2008 auch.
Wie kommt es zu einem solchen «Ritterschlag ähnlichen« Auftrag? Ist das jährlich eine Ausschreibung? Wubbt man den Plakatentwurf als alleinige freiberufliche Grafikdesignerin?
alican
schön geschrieben, Nathanael ;)
Alexander Hahn
1+ @Nathanael
letobi
War nicht beim spreadshirt-Wettbewerb ein Entwurf dabei, der auch mit dieser Lochverstärker-Optik hantiert hat? Wenn der Gestalter nix mehr weiß dann macht er einen …
Die rote Grundfläche und dass da mit den weißen Bären darauf etwas passiert finde ich aufs erste recht ansprechend, aber was soll das Gekringel?
Jui Jürgen
@ Nathanael
Aha, ich nehme also an, dass du deinen Kunden Entwürfe wortlos präsentierst. Das ist doch Humbug! Unabhängig davon, was ich von den Plakaten halte, finde ich es unangebracht von »sinnentleerten pseudointelektuellen Phrasen« zu zetern.
Jeder Designer muss doch seine Arbeit erklären dürfen bzw. die Wirkungsweise der Gestaltungselemente darlegen können, gerade gegenüber seinem Kunden. Auch enthält jeder Styleguide seitenweise Ausführungen darüber, wie eine Gestaltung zu verstehen ist. Diese Ausführungen helfen denjenigen, die mit den Guides arbeiten müssen, eine Stimmung nachzuempfinden und so im Sinne des Erfinders zu arbeiten.
Und da Kunden oft genug auch kein Auge dafür haben, die Ideen der Designer im Entwurf zu erkennen (und das auch häufig wissen und einräumen), ist es auf jeden Fall nötig, erlaubt und richtig, wenn es sein muss auch blumig und mit Pathos seine Ideen wortreich vorzutragen.
Alles andere wäre nämlich Kunst, ätsch!
pinkerton
erkennt jemand die neue headline-type?
poms
Ist das nicht die Myriad Condensed?
Holger
Internationale Donut-Festspiele Berlin?
christoph
natürlich spricht nichts gegen erläuternde worte bei der präsentation einer gestaltung, die sollten dann aber irgendwas sinnvolles vermitteln (was ist die eigentliche idee der plakatserie? warum der kringel?). bedeutungsschwanger von »scheinbar zufälligem« zu raunen wirkt eher albern. und erst recht das »programmatische statement«, dass der »berlinale bär ständig in Bewegung ist«.
rein formal sind sie aber sehr hübsch, die plakate.
pinkerton
myriad condensed scheint zu stimmen, allerdings ist der schriftzug noch fetter als der bold-schnitt. gibts einen extra-bold- oder black-schnitt, von dem ich nichts weiss? oder wurde die type händisch gefettet?
alican
Ich habe hier eine Myriad Pro Black condensed installiert. Wird wohl das sein.
robertmichael
runde plakate hätte mir gefallen.
Andrzej
Hat die Grafikerin nicht einfach nur versucht, den freien und non-konformistischen Geist wiederzugeben, in dem viele Berlinale-Filme im Idealfall gemacht sind?
Obs gefällt oder nicht, ist wie bei den Filmen wohl Geschmackssache, aber ich finde das nicht schlimm. Nächstes Jahr ist dann wieder jemand anders dran mit seiner Idee zum Berlinale-Kosmos.
Es ist doch schön, daß es noch Aufträge gibt, die dem Designer Raum zur eigenen Entfaltung geben, wo er sozusagen auch etwas „Künstler“ sein darf. Diesen Raum bietet das Festival den Regisseuren ja auch.
pinkerton
hmm, sowohl beim fontbook (die dicke offline-variante) als auch auf fontshop.de reichen die condensed-schnitte nur bis bold. kann jemand sagen, welcher foundry der black-schnitt zuzuschreiben ist? danke!
Florian
Pinkerton, ist Dein Google kaputt? Versuch’s doch mal direkt bei der Quelle *, oder bei FS Amerika.
[Oje, FS D gibt Agfa als Lieferant der Myriad an?! Warte sehnlichst auf den Relaunch …]
Jürgen
@ Florian: An unseren Lieferanten wird sich durch den Relaunch nichts ändern. Das von Dir zitierte Paket »Myriad Condensed« ist in dieser Form (als Paket mit Preisvorteil, keine Einzelschnitte) nur bei Agfa lieferbar, und von dort beziehen wir es auch. Was gibt es daran zu mäkeln?
Und natürlich gibt es auch beim FontShop die Myriad Condensed Black, was die ganz normal Suche offenbart: Myriad Pro OpenType Black Condensed.
pinkerton
ok, ok, da habe ich wohl zu schnell geschossen / gefragt. entschuldigung, und danke für die infos.
thomas
hmm also kunsthistorisch sind wir doch mittlerweile seit nunmehr fast 100 jahren in der abstraktion angekommen und haben das narrative, naturalistische widerkäuen von realen ereignissen und vorbildern hinter und gelassen. warum sollte das auch nicht für plakate gelten dürfen?
warum muss ein berlinale mit seiner vielfalt an filminhalten versuchen wollen alles wiederzugeben? das halte ich a) für relativ unmöglich und b) für unsinnig.
dann doch lieber »moodboards« zum charakter des events.
ich weiss nicht, ob es vorgabe war, den bären zu verwenden incl. schriftzug, wenn ja, ist das eine relativ große vorgabe und an dieser muss man sich ja dann erst einmal abarbeiten.
was die beschreibungen angeht, bin ich bei »jui jürgen«. ich möchte kein stottender designer sein, der sich nur in bildern ausdrücken kann.
btw. ich maße mir auch nicht an, alles zu verstehen, manches kann auch mal nur schön sein. hat auch was, finde ich.
ich weiss ja nicht inwiefern der begriff »lochverstärker« die debatte in eine gewisse richtung gedrängt haben, aber neutral war die headline nicht, jürgen. ;-)
Florian
@ Jürgen: Danke für die Info!
Mäkeln wollte ich gar nicht. Es ist halt das alte, leidige (weil undurchsichtige) Thema der Weiterlizenzierung (welches wir wg. mir auch gar nicht näher ausbreiten müssen). Oft ist es – vermutlich nicht nur für Außenstehende – recht unklar, was nun von wem kommt. ›Gelernt‹ hat man eben, dass Myriad v. Slimbach/Twombly bei Adobe/für Adobe entwickelt wurde. Auch auf fs.de findet sich das Zitat »Die Adobe-Originalschrift Myriad …« Dass ein Vertrieb wie FS Versionen von Agfa und Monotype anbietet, mag ja absolut korrekt sein und sogar Vorteile (Pakete) haben – zur Transparenz (›Sind all diese Fonts identisch?/Was sind die Unterschiede?‹) und zur stärkeren Wertschätzung von IP (›Bekommt der Gestalter über all diese Kanäle überhaupt noch sein Scherflein ab?‹) trägt das m. E. leider nicht gerade bei.
Und zum Relaunch: ganz normale Suche sieht anders aus, sorry …
flxb
Die FH Düsseldorf bedient sich des selben grafischen Elements, um den (Diplom-)Rundgang zu demonstrieren:
non redon-
wirkt alles recht willkürlich de-konstruiert, allein
‚der henkel am bären‘ bleibt ohnehin fragwürdig.
(zumindest keine DS beerdigungs-atmosphäre.)
gibt es keine ausschreibung mehr -?
mehr ‚kieler-woche‘ in berliner leuchtkästen
wäre wünschenswert und ab zu mal wieder
ein ‚rotes auto’…
Nathanael
@Jui Jürgen
Ich sag doch überhaupt nichts gegen textliche Konzepte im Allgemeinen. Du redest hier allerdings von Textkonzepten die für den Auftraggeber zur Präsentation geschrieben werden. Ich rede davon das ein Plakat völlig ohne textliches Statement auf der Straße beim Betrachter funktionieren muss, der hält nämlich kein entsprechendes Schriftstück in den Händen.
@thomas
kunsthistorisch gesehen stimmt das. Design ist aber nicht Kunst. Design kommuniziert zielgerichtet. Da die Berlinale ein reales Ereignis ist, sollte das Plakat darauf auch Bezug nehmen und nicht nur für sich selbst stehen …
thomas
»Design ist aber nicht Kunst.« hihi. buzzword!
bei plakaten würde ich da glaube ich gerne widersprechen.
da sehe ich nämlich die grenzen sehr verschwommen, wenn nicht gar aufgelöst.
christoph
überwindung des »narrativen wiederkäuens«, verschwommene grenzen zwischen kunst und design…
selbst wenn dem so wäre: das macht immer noch nicht plausibel, warum gestaltung keine inhaltsbezogenen ideen mehr braucht und beliebig werden darf.
Jui Jürgen
Hey Nathanael. OK, das ist doch klar, dass neben dem Citylights keine Handzettel verteilt werden. Da müssen die Plakate funktionieren oder eben nicht. Aber wenn eine Kampagne der Öffentlichkeit vorgestellt wird, stört mich das echt nicht, wenn da ein bisschen zu gesagt wird. Warum auch nicht? Das erleichtert vielleicht dem einen oder der anderen den Zugang zur Idee hinter der Gestaltung oder gar dem Festival. Vielleicht gehts aber auch nach hinten los (so wie hier wohl ; ).
HD Schellnack
Nun ist der Kreis an sich keine neue Idee – wir haben den auch schons eit Jahren beim ikf° als Logo und selbst da wars nichts neues, neben dem Kreuz ist der Kreis halt eine ultimative Form -, und die Lochverstärkersache verstehe ich auch nicht, aber… muss man immer alles verstehen? Ich bin der erste, der Design von Kunst abgrenzen würde, aber man sollte diese Abgrenzung nicht zum platten «niedrigsten gemeinsamen Nenner» verkommen lassen, der da heißt: «Versteh ich nicht – muss denn ja wohl Kunst sein». Schön, wenns so einfach wäre. Bei einem Plakat wie diesem ist die kommunikative Aufgabe der STOP-Moment. Die drei Sekunden, die jemand beim vorüberfahren/vorübergehen länger wartet, weil ihn etwas kurz fesselt. Dann, wenn die urbane Langeweile kurz durchbrochen ist, kann man Information nachliefern – und mehr als WAS und vielleicht noch WANN geht bei einem Plakat fast nie, WAS ist meist schon YOU WIN – GAME OVER. Das alles ist hier gegeben. Der fette Kreis verwirrt für den Moment, den es braucht, die Bären und BERLINALE in die Augen zu schieben.
Man kann also gestalterisch streiten über dieses Plakat – ich selbst mags und bin überrascht, die Myriad sogar mal für einen Moment erträglich zu finden -, nicht aber über Abgehobenheit und Kunst-Artigkeit, denn das ist hier nicht gegeben, es ist nicht die Sorte Plakat (und die gibts ja auch im Designbereich), die man sich ins Wohnzimmer hängen wollen sondern ein ganz klassisches, hochfunktionales Kommunikationsplakat.
Kopflastig find ich hier also gar nix.
Tobias
Ich finde die Plakate sehr passend. Warum muss immer alles gradlinig sein. Ich freue mich auf eine schöne und gelungene Berlinale. :-)