Aus der Zeitungsspalte ins Fontmenü: FF Dagny
Der 4. Teil und letzte unserer FontFont-Neuvorstellungen* widmet sich FF Dagny, die ursprünglich für die größte Schwedische Morgenzeitung Dagens Nyheter (»Nachrichten des Tages«) entwickelt wurde. Wie sie entstand, warum sie heute anders aussieht und wo es den kostenlosen OpenType-Probierfont FF Dagny Thin gibt … alles in diesem Beitrag.
Seit ihrer Gründung ist die FontFont-Schriftenbibliothek nicht nur darum bemüht, die Schöpfer der Neuveröffentlichungen vorzustellen, auch die Designkonzepte vieler FontFonts werden in Broschüren, auf Webseiten und in Büchern erzählt – seit einiger Zeit auch im FontFeed und hier im Fontblog. Seit 2007 gibt es die FontFont-OpenType-Benutzerbroschüre (PDF, 58 S., 720 K) mit einer allgemeinen Einführung in die OpenType-Technik sowie der FontFont-Philosophie zur Unterstützung von OT-Features und Fremdsprachen. Sie gehört genauso zum Lieferumfang wie die Font-spezifische Infobroschüre, in der Schriftmuster sowie Design- und technische Informationen zu finden sind (Beispiel: FF-Dagny-Infobroschüre, PDF, 12 S., 220 K). Ganz neu sind die FontFont-Steckbriefe (Abbildung unten), das sind einseitige designbezogene Informationen mit gestaltetem Schriftmuster. Auch zur FF Dagny gibt es eine solche Karteikarte: FF-Dagny-Steckbrief (PDF, 1 S., 250 K). Weitere Steckbriefe: Am Ende dieses Beitrags*.
Die Geburtsstunde der FF Dagny geht zurück ins Jahr 2002, als sich Dagens Nyheter dazu entschloss, vom Nordischen Format zum kleineren Tabloid-Format zu wechseln. Die liberale »DN« wurde 1864 von Rudolf Wall mit der Unterstützung des Verlegers Albert Bonnier gegründet und ist noch heute Eigentum der Medien-Familie Bonnier.
Die Verkleinerung des Layouts, betreut von Bark Design, hatte unmittelbare Folgen für die Redakteure, das Rektorat und die Typografie. Nur zwei Jahre zuvor erlebte DN das letzte Redesign, betreut von dem erfahrenen Mario R. García (García Media) – Besucher der TYPO-Konferenz kennen ihn als charmanten Redner. Bei diesem Projekt lernte García auch den schwedischen Schriftentwerfer Örjan Nordling kennen, Kreativdirektor von Pangea Design in Stockholm, der bereits seit 1996 für Dagens Nyheter arbeitete. Nachdem sie die Aufgaben für eine neue, robuste Zeitungsschrift definiert hatten, schuf Nordling 1999 die DN Bodoni, exklusiv für die Stockholmer Zeitung.
Auch 2002 wurde Pangea in das Redesign für das Tabloid-Format eingebunden. Die neue kompakte Gestaltung erforderte eine robuste, platzsparende Schrift, sicherlich eine Sansserif – der Anstoß für die Entwicklung der DN Grotesk.
Das Pangea-Design-Team mit Örjan Nordling (links) und Göran Söderström (Mitte) prüft mit Fredrik Anderson (Dagens Nyheter) erste Probedrucke von DN Grotesk
Die Verwendung serifenloser Schriften auf den Seiten von Dagens Nyheter hat in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich zugenommen. Meist war es die Akzidenz Grotesk, zunächst in Verbindung mit Bauer Bodoni (bis 1996), danach Berthold Bodoni (1997–2000) und später die hauseigene DN Bodoni. Die DN Grotesk, deren Mittellänge mit der von DN Bodoni übereinstimmt, wird bis heute für Überschriften, Sublines und Introtexte eingesetzt. Verantwortlich für den Ausbau der Familie waren zwei Designer, nämlich Örjan Nordling und Göran Söderström.
Örjan Nördling, geboren 1958, studierte zunächst an der »Konstfack« in Stockholm, danach an der Schule für Gestaltung Basel (1983–85). Nach der Gründung von Pangea Design spezialisierte er sich auf die Entwicklung von Corporate Schriften. 2004 erhielt er den Berling Preis für seine Berling Nova. Göran Söderström, geboren 1974, ist Schriftentwerfer (Autodidakt) und Font-Entwickler. Seit 2007 arbeitete er bei Pangea Design. Den größten Teil seiner Freizeit verbringt er mit dem Entwerfen eigener Schriften (zum Beispiel die kuriose Metall-Script Flieger Pro).
Links: Specimen Book, Printing Types H.W. Caslon & Co., Ltd, London, 1902: Doric No. 6 60 pt, 48 pt, 42 pt, 36 pt, 30 pt; Rechts: Wilhelm Woellmer’s Schriftgießerei, Berlin, 1926: Halbfette Consul 1, klassische Form No 1788 – No 1799
Die Wurzeln der FF Dagny reichen freilich weiter zurück als ins Jahr 2002. Tatsächlich ist sie von Schriftproben aus den 1920er Jahren beeinflusst, unter anderem von den Gießereien Caslon and Son, Wilhelm Woellmer und Proben aus der Dagens-Nyheter-Hausdruckerei. Das Design-Team wollte eine Schrift mit stärkerem Kontrast, dynamischeren Konturen und eine großen Mittellänge. Doric Grotesk brachte alle diese Eigenschaften mit sich. Sie kam einst bei der britischen Gießerei Stephenson Blake heraus und basierte auf einer frühen Sansserif von William Caslon IV, der 1816 zum ersten mal serifenlose Buchstabenformen zu Schriftfamilien ausbaute. Mit ihren kräftigen, fast fetten Versalien, einheitlich spationierten Gemeinen und der großer Mittellänge ist die Schrift ideal für widrige Druckbedingungen und klein gesetzte Texte, zum Beispiel Kleinanzeigen in Tageszeitungen.
Eine andere Inspirationsquelle war Consul Grotesk der Gießerei Woellmer, die – gemeinsam mit anderen deutschen Schriften – gerne in schwedischen Verlagen eingesetzt wurde. Die Schrift lieferte einige Ideen für Details, mit der die neue DN-Sansserif eigenständig und unverwechselbar werden konnte, zum Beispiel das kleine f mit seiner zurückgelehnten Bogen, die charakteristischen g und b sowie die »kursivischen« An- und Abstriche bei a, c, e und s.
Erste Bleistiftzeichnungen der DN Grotesk, später FF Dagny, dienten dazu, die Design-Richtung der Schrift festzulegen. Das f mit dem gekrümmten Rücken ist schon dabei, wie auch der »kursivische« Anstrich beim a und das charakteristische hochstehende g.
Ein erster Probesatz der DN Grotesk mit Anmerkungen und Korrekturvorschlägen
Ungezählte Verbesserungsvorschläge auf einem Korrekturbogen während der Entwicklung der DN Grotesk
Die gesamte DN-Grotesk-Familie des Jahres 2002 im Überblick
Am Ende flossen verschiedene Ideen aller historischer Vorlagen in die Entwicklung der DN Grotesk ein. Dabei ist es Örjan Nordling und Göran Söderström gelungen, eine harmonische Familie aufzubauen. Ein besonderes Merkmal der DN Grotesk ist die große Mittellänge, die rund 10 % über der von Akzidenz Grotesk liegt. Sie garantiert, dass die Schrift auch in kleinen Graden groß wirkt und gut lesbar bleibt. In der allgemeinen Anmutung ergibt sich eine leicht-schmale Schrift mit offenen Buchstabenformen. Auch die Ober- und Unterlängen sind knapp bemessen, so dass die Zeilen enger gesetzt werden können. Die kursiven Schnitte – eigentlich nur schräg gestellt Grundformen – wurden selten in Dagens Nyheter eingesetzt.
Damit die ungewöhnliche Sansserif ihren Platz in der FontFont-Bibliothek finden konnte, unternahmen die Entwerfer einige Änderungen und Erweiterungen. Zunächst entfernten sie Ungereimtheiten in den Buchstabenformen, die sich über mehrere Schnitte erstreckten. Dies rührte daher, dass DN Grotesk nicht in einem Aufwasch entstanden war. Zunächst zeichneten Nordling und Söderström nur der Heavy-Schnitt für den Sportteil von DN. Erst später arbeiteten sich die beiden »rückwärts« an die leichteren Schnitte von Bold bis Thin heran, was keine leichte Aufgabe ist.
Für die FF Dagny wurde die Strichstärkenabstufung korrigiert und die Kontraste in den einzelnen Schnitten verringert, so dass sie nicht nur als Headline-Schrift sondern auch als Textschrift einsetzbar ist. Viele Buchstaben wurden in Absprache mit dem FontFont-Tech-Department überarbeitet oder korrigiert. Die Kursive ist nun eine echte Kursive, die sich erstmals über alle Strichstärken erstreckt. Schließlich wurde die Schrift technisch so ausgestattet, dass sie nicht nur auf Papier sondern auch am Bildschirm gut aussieht (Hinting).
Schon kurz nach ihrer Vorstellung vor 3 Wochen verzauberte FF Dagny die ersten Kenner. Yves Peters sieht in der Familie eine Brücke zwischen dem Grotesque-Stil (z. B. Akzidenz Grotesk) und den amerikanischen Gothics (z. B. Franklin Gothic). Er schrieb im Fontfeed: »Ihr Design begann als Grotesque und sie weist viele typische Eigenschaften dieser Schriftklasse auf, was man bei den Buchstaben a, c, e und s gut sehen kann. Das kaufmännische & erinnert mich total an News Gothic/Benton Sans. Die Ziffern scheinen von Franklin Gothic beeinflusst. Die nostalgischen Details wie das gekrümmte f und die dorischen Q und R stellen einerseits einen Bezug zu den historischen Vorbildern dar, auf der anderen Seite geben sie der Schrift – im Kontext – eine zeitgemäße Designnote. FF Dagny ist eine Cross-over-Sans, die sicherlich neue typografische Wege öffnet.«
Zur Namensgebung: Dagny steht einerseits als Abkürzung für Dagens Nyheter, ist aber auch ein alter nordischer weiblicher Vorname, der als »neuer Tag« übersetzt werden kann.
Wen es nun juckt, die gut ausgebaute Dagny OpenType mit dem kompletten Zeichenvorrat selbst zu testen, sollte sich den kostenlosen Probierfont FF Dagny™ Thin von der FontShop-Probierfont-Seite laden.
Zum Kennenlernen aller Dagny-Schnitte einfach unsere Flash-Schreibmaschine unten stehenden Fenster benutzen … eigenen Text eingeben, die Dagny-Schnitte beliebig wechseln und die Schriftgröße nach Wunsch ändern:
*siehe auch:
Die neue FF Kava und hier den Kava-Steckbrief downloaden …
Martin Wenzel über seine FF Duper und hier den Duper-Steckbrief downloaden …
Wie Unit-Slab entstand und hier den Unit-Slab-Steckbrief downloaden …
10 Kommentare
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tobecks
Ich weiß, es hat nichts direkt mit diesem Artikel zu tun. Er ist nur ein weiteres Beispiel dafür. Bin ich der Einzige, den stört, dass die Artikel im ganzen Umfang auf der Startseite erscheinen? Ich finde es jedenfalls sehr nervig über die ganzen Artikel zu scrollen, wenn man sich erstmal einen Überblick über die Themen schaffen will. Kann man da nicht einen kurzen Anreisser auf der Startseite platzieren? Nur so ein Gedanke …
Jürgen Siebert
OK, ich teile den Artikel in Vorspann und Hauptteil.
Rainer
Ich persönlich finde das gut, wenn ich alles in einem Artikel lesen kann. Zwischenüberschriften könnten allerdings bei längeren Texten bei der Orientierung helfen.
Jürgen W.
Nein, so lassen. Wenn ich mich eh nicht vertiefen will, brauch ich auch nicht weiter scrollen. Aber Gliederung könnte beide Seiten zufrieden stellen.
charly
@tobecks: kauf dir eine maus mit rad!
*duckundwech*
Jürgen W.
Ist in jedem Fall von Vorteil :-)
till
Bin ich der Einzige, der die Datei nicht laden kann („Dekomprimieren ist fehlgeschlagen“)? Safari und 10.5.8
Jürgen W.
Nein, nicht der Einzige. Kommt nur eine 0 KB Datei an.
Jürgen Siebert
Sorry, wir reparieren den Link morgen. Bis dahin bitte bei den Kollegen von FontShop USA bedienen: http://www.fontshop.com/freefonts
soso
Zur Schrift: ugly und das f geht mal garnicht.