Augenschmaus: »In einer deutschen Pension«

Seit längerer Zeit beob­achte ich das bemer­kens­werte Programm der Edition Büchergilde (vgl. u. a. Fontblog: 36 Versicherungsblüten, illus­triert von Jens Bonnke). In dem Frankfurter Verlag erscheinen wunderbar ausge­stat­tete Bücher, zeit­gemäß Illustriert und lese­freund­lich typografiert.

Die Büchergilde (Gutenberg) wurde 1924 als Buchgemeinschaft vom Bildungsverband der deut­schen Buchdrucker auf Initiative seines Vorsitzenden Bruno Dreßler in Leipzig gegründet. In der Tradition der deut­schen Arbeiterbewegung stehend, ermög­lichte sie ärmeren Leuten durch preis­werte Bücher den Zugang zu Bildung und Kultur. Nach dem Krieg baute der Sohn des Gründers, Helmut Dreßler, die Büchergilde in Frankfurt am Main wieder auf. Bis zu seinem Tode im Dezember 1974 enga­gierte sich Dreßler für hand­werk­lich gut gemachte, illus­trierte Bücher. Diese Tradition setzt sich bis heute fort.

Im Herbst 2002 wurde der eigen­stän­dige Verlag Edition Büchergilde ausge­glie­dert, um Eigenproduktionen auch auf dem freien Buchmarkt anzu­bieten. Seitdem erscheinen in dem jungen Verlag Belletristik, Sachbuch sowie die Künstleredition »Die Bibliothek von Babel« mit Umschlagillustrationen von Bernhard Jäger. Seit Herbst 2008 gibt der Ilija Trojanow in der Edition Büchergilde die Reihe »Weltlese – Lesereisen ins Unbekannte« heraus.

Die neuste Veröffentlichung erscheint zum 90. Todestag der neusee­län­di­schen Kurzgeschichten-Autorin Katherine Mansfield. Sie ist als Meisterin der Short Story in die Literaturgeschichte einge­gangen ist. Beneidet von ihrer Zeitgenossin Virginia Woolf, war sie Vorbild großer Autoren wie F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway. 1909 verbrachte Katherine Mansfield einigeMonate in einer Pension im baye­ri­schen Bad Wörishofen. Hier verfasste sie ein Dutzend messer­scharfer Porträts und funkelnde Gesellschaftsskizzen, die 1911 unter dem Titel »In einer deut­schen Pension« erschienen und sie berühmt machten.

In Mansfields Erzählungen tummeln sich auffällig fröh­liche Witwen neben verun­si­cherten jungen Ehefrauen, auch der Teller voller Fleisch zur Mittagsstunde wie auch die allein­ge­las­senen Kinder der so fürsorg­li­chen Mütter stehen unter der Beobachtung der Autorin. Gekonnt stellt sie die Vorurteile und Stereotypen der engli­schen und deut­schen Mentalität auf den Prüfstein. Aus dieser Distanz und der daraus entste­henden Spannung zwischen den Mentalitäten zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsteht ein Panoptikum, das durch das Können Katherine Mansfields sowohl Gesellschaftskritik übt als auch Klischees auf den Prüfstand stellt. Elisabeth Schnack hat die Geschichten über­setzt und mit einem ausführ­li­chen biogra­fi­schen Essay versehen.

Bebildert wurden die scharf­zün­gigen Texte mit üppigen Tableaus der Künstlerin Joe Villion, in denen sie Jugendstil-Elemente mit surrealen Bildideen und leben­digen Farben mixt. Villion wurde 1981 in München geboren, wuchs in Italien und Griechenland auf und lebt seit 2001 in Berlin. Dort studierte sie bei Henning Wagenbreth an der Universität der Künste. 2010 gewann sie den Gestalterpreis der Büchergilde für »Zazie in der Metro«, für das sie 2011 eben­falls das Ehrendiplom der Stiftung Buchkunst für ausge­zeich­nete buch­künst­le­ri­sche Leistungen erhielt.

Das 280-seitige Hardcover-Buch wurde in drei Sonderfarben plus schwarz gedruckt. Es enthält 21 Abbildungen und kostet 24,95 €. Gesetzt ist es übri­gens aus der wunder­baren Proforma Book (10,5 auf 15 Punkt), entworfen von Petr van Blokland. (ISBN 978-3-86406-020-5)


3 Kommentare

  1. dirk uhlenbrock

    Und nicht zu vergessen die Typografische Bibliothek der Büchergilde in der von Klaus Detjen gestal­tete und heraus­ge­ge­bene Bücher erscheinen.

  2. Jürgen Siebert

    Danke, Dirk, hatte ich glatt übersehen.

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