Das Doppelleben des Designers (Anti-Design)
von Erik Spiekermann
Der nachfolgende Beitrag erschien vorgestern unter dem Titel “The Designer’s Double Life” auf der Website des britischen Magazins Blueprint und wurde über Twitter tausendfach empfohlen. Ich habe mir beim Autor die Genehmigung zum Übersetzen und veröffentlichen hier im Fontblog geholt. Foto: Jürgen Siebert.
Wenn Architekten vom Funktionalismus genervt sind, ändern sie Louis Sullivans Lehrsatz »Form follows function« in »Form follows fun« um und schmücken ihr Gebäude mit beliebigen Elementen. Türmchen, Betonsegel, Stufenpyramiden, Bögen, Architrave und jede Menge Zierrat, der keinen Zweck erfüllt außer Zierrat zu sein. Wenn Grafikdesigner gelangweilt sind von der Perfektion ihrer neuen Rechner, die ihre Arbeit pixelgenau rendern, rebellieren sie mit einem selbst geschriebenen Programm, das die Konturen von Buchstaben per Zufall verändert und Texte bei jedem Druck anders aussehen lässt. Ein Editorial Designer, dem der gelieferte Text eines Autors nicht gefiel, setzte ihn einfach aus einer unlesbaren Dingbats-Schrift.
Dieser Akt unfassbar mutiger Missachtung machte ihn berühmt, zumindest in jenen Kreisen der Studenten, die dazu verdammt waren, ihr Leben als Layout-Sklave in einer Werbeagentur zu fristen. Mich nannte mal einen Design-Professor Verräter, weil ich meine Mitarbeiter dazu anhielt, für finstere kapitalistische Unternehmen zu arbeiten, während er seinen eigenen Kampf gegen die Ausbeutung unseres Berufsstandes lobend hervorhob, der darin bestünde, Plakate gegen die Verbreitung von Aids und Hunger zu entwerfen. Er dachte, dies seien unglaublich mutige Botschaften gegen das Establishment. Wen wundert’s, dass er heute, nach 30 Jahren in einem sicheren Job, die staatliche Rente genießt während ich immer noch die Peitsche über die armen Abhängigen in meinem Büro schwinge.
Es war schon immer leicht, in der sicheren Umgebung von Kunstzeitschriften oder Galerien zu protestieren, vor einem Publikum aus Designern, die viel lieber Künstlern wären, wenn es eine Aussicht auf ein sicheres Einkommen gäbe. Es ist in der Tat schwer mit dem Widerspruch zu leben, Botschaften zu entwerfen die Menschen dazu bewegen sollen, Geld auszugeben, das sie nicht haben, für Dinge, die sie nicht brauchen. Wenn sie die Hochschule verlassen haben, möchten Designerinnen allzu gerne Kinderbücher illustrieren und Designer Plakate gegen das Böse in der Welt gestalten. Monate später sind sie froh vor einem Computer zu sitzen, der am laufenden Band endlose Variationen diagonal gestreifter Etiketten für die nächste »Light«-Produkterweiterung ausspuckt. Natürlich ist unsere Welt in einem traurigen Zustand. Öffentliche Einrichtungen sind pleite, der Verkehr ist ein Alptraum, die Luft ist das Atmen nicht wert, an käufliche Politiker und hohe Arbeitslosenquoten haben wir uns gewöhnt. Sollten wir unser Fähigkeiten als Kommunikatoren, Strategen und Problemlösen nicht auf die wichtigen Themen des Lebens richten? Den öffentlichen Verkehr? Effiziente und nachhaltige Energiequellen schaffen, bezahlbare Wohnungen und einen lebenswerten Kiez?
Als das First-Things-First-Manifest von 1964, unterschrieben von 22 britischen Designgrößen, im Jahr 2000 wiederveröffentlicht wurde, unterschrieben es jede Menge Designer aus aller Herren Länder. Viele von ihnen arbeiteten und arbeiten immer noch in einem Umfeld, das im Manifest so beschrieben wurde:
… Designer … setzen ihr Talent und ihr Phantasie dafür ein, Hundekuchen zu verkaufen, Designerkaffee, Diamanten, Putzmittel, Haargel, Zigaretten, Kreditkarten, Turnschuhe, Kosmetik, Light-Bier und Geländelimousinen. Kommerzielle Arbeit hat unsere Rechnungen bezahlt, aber viele Grafikdesigner haben sie inzwischen zum einzigen werden lassen, was ein Grafikdesigner tut. Und genauso nimmt die Außenwelt inzwischen das Design wahr. Die Zeit und Energie unseres Berufes wird dafür benutzt die Nachfrage nach Dingen zu schüren, die bestenfalls unwichtig sind …
Auch ich habe das Manifest unterschrieben, weil ich daran glaube, dass wir unsere Fähigkeiten viel eher dafür einsetzen sollten, die drängenden Fragen zu lösen als die oben zitierten. Aber wovon sollen wir dann leben? Regierungen und Behörden sind die schlechtesten Auftraggeber, die man sich vorstellen kann. Sie unterschätzen und unterbewerten unsere Arbeit dauerhaft. Wir werden als das wahrgenommen, was wir hauptsächlich tun: Leute, die dem hässlichen Gesicht des Kapitalismus ein Make-up verpassen. Außerhalb der kommerziellen Welt traut uns niemand einen wertvollen Beitrag zu. Dieser Teufelskreis wird nicht durchbrochen, indem man gegen seine Teuflischkeit protestiert. Wir werden uns keine Freunde außerhalb unserer kleinen eigenen Welt machen, wenn wir die Hand beißen, die uns füttert. Am Abend in Kunstgalerien mit unserer nicht-kommerziellen Arbeit gegen Konsumterror und Überdesign protestieren, um am nächsten Morgen wieder unserer gewohnten Arbeit nachzugehen mag unser Gewissen beruhigen, es löst aber nicht die Zwiespältigkeit unserer Arbeit.
Nicht dass ich eine Lösung hätte … Wenn mein Sohn mir vorwirft, dieses kranke System zu stützen, kann ich nur darauf verweisen, wenigstens unseren Mitarbeitern ein menschenwürdiges Umfeld zu bieten. Wir haben eine Zentralheizung, Espressomaschine, schnelle Computer und eine angenehme Beleuchtung. Wir zahlen pünktlich Gehälter, gewähren 30 Tage Urlaub im Jahr, Mutterschafts- oder Vaterschaftsurlaub und niemand wird eingestellt ohne Zustimmung der zukünftigen Kollegen. Wir arbeiten auch nicht für echt-böse Produkte, wie Zigarettenmarken oder Banken. Obwohl wir niemanden umbringen und uns selbst nicht für unsere Kunden umbringen lassen, respektieren sie uns und wir respektieren sie und sie behandeln uns genauso gut wie wir sie behandeln. Wir bieten ein Umfeld mit so wenig wie möglich Entfremdung. Es geht nicht darum, was wir tun, sondern wie wir es tun. Ein ehrlichere Antwort fällt mir nicht ein.
40 Kommentare
Kommentarfunktion ist deaktiviert.
<em>kursiv</em> <strong>fett</strong> <blockquote>Zitat</blockquote>
<a href="http://www…">Link</a> <img src="http://bildadresse.jpg">
Frank Meier
Eine typische Zeitgeist-Weltsicht mit der allgemeinen Gemengelage: finstere kapitalistische Unternehmen, Ausbeutung, Aids, Hunger, Establishment, das Böse in der Welt im Allgemeinen, Alptraum-Verkehr, miese Luft, ineffiziente Energiequellen und unbezahlbare Wohnungen.
Wie kommt es eigentlich, dass selbst gestandene Menschen, sich eine Welt zurechtfühlen, welche diametral zur Wirklichkeit steht?
Nana
@ Frank
wie sieht denn die Wirklichkeit aus?
So heil wie in der Werbung?
Frank Meier
@ Nana
So wie in der Rügenwalder Teewurst, der 1936er Kunstwelt. Nein sicherlich nicht.
Ich halte mich gern an die Realität: Die Luft in unseren Breitengraden ist seit der Abschaltung der gesamten Ost-Industrie locker um 100 Prozent besser als vor 20 Jahren. Das es keinen bezahlbaren Wohnraum geben soll, ist mehr als lächerlich angesichts der Tatsache das wir in vielen Städten Wohnraum vernichten, weil es keine Mieter gibt (Stichwort: demogr. Wandel). Das alle Unternehmen finstere Kapitalisten sind konterkariert Person Spiekermann mit seiner eignen Unternehmensführung. Die Lister der Wahrnehmung liese sich beliebig fortsetzen …
Meinen Sie nicht auch, wenn Menschen vom Bösen in der Welt fabulieren ist das Weinglas auf dem rolf benz cosmo ausgelaufen?
Sebastian
All diese Aussagen, wiedersprechen sich doch nicht damit, sein Handwerkszeug für seine politische oder moralische Überzeugung zu verwenden. Und wenn man etwas ändern möchte muss man es kommunizieren. Da kann man doch ruhig „Plakate gegen Aids und Hunger“ gestalten. Verstehe dieses schwarz/weiss denken nicht. Kommerziell arbeiten müssen wir ja irgendwie alle und sind somit auch am Gesamtsystem beteiligt ob wir wollen oder nicht.
Nana
@ Frank
ich seh das schon anders.
Finanzkrise, Neoliberalismus, Rechtspopulismus, Umweltzerstörung, Politikverdrossenheit, Lobbyismus, Armut, Sozialabbau, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche usw. sind Dinge die einem täglich entweder direkt oder über die Medien begegnen.
Die Gentrifizierung von Stadtvierteln (teurere Mieten), prekäre Arbeitsverhältnisse, schlechte soziale Absicherung (Freelancer), unbezahlte Praktika und unbezahlte Pitches betreffen doch gerade die Kreativbranche besonders stark.
Und.
Leider behandeln viel zu wenig Unternehmer ihre Mitarbeiter so wie oben beschrieben.
Öl ins Feuer
Nana schreibt: „prekäre Arbeitsverhältnisse, schlechte soziale Absicherung (Freelancer) […] Leider behandeln viel zu wenig Unternehmer ihre Mitarbeiter so wie oben beschrieben.“ Eines dieser Unternehmen, das seine Mitarbeiter so behandelt, wird vom Autor des Artikels (mit)geleitet: 230 Euro Tagessatz für gelernte, studierte, erfahrene Fachleute in Deutschland — ist das das „menschenwürdige[s] Umfeld“, von dem erik spiekermann spricht, weil es da eine Espressomaschine hat?
Horst
Für mich unterstreicht der Artikel nur die These: Es gibt zu viel Speicherplatz auf der Welt.
anderer tom
Für einen Tagessatz von 230 Euro bei einem festen, krisensicheren Job mit guten Arbeitsbedingungen, netten Mitarbeitern und interessanten Aufträgen würde ich auch arbeiten. Wie Erik Spiekermann schon in oben stehendem Beitrag sagte, es geht um das wie. Das „wie“ ist der wahre Luxus – nicht das sinnlose Abstrampeln unter unwürdigen Bedingungen für viel Kohle.
Sebastian
Dinge wie pünkliche Bezahlung, 30 Tage Urlaub, Mutterschafts und Vaterschaftsurlaub müssten doch selbstverständlich sein. Unternehmer die das nicht so halten misachten gesellschaftliche Grundregeln des Zusammenlebens und schüren Konflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.
Die Kaffemaschine und das Prestige-Ding sind doch egal. Man sollte seine Angestellten eher weiterbilden, ihnen Freiraum zum lernen geben. Ein soziales, verständnisvolles Umfeld ohne drohendes Burn-Out und Existenzängste bieten. Das sind eher wichtige Werte.
Wenn man in der Branche für gerechte Pitches, anständige Projektbudgets etc. kämpft muss man auch über den Tellerrand blicken und dafür sorgen, dass Praktikanten (auch die, die schon ihr drittes nach Diplom machen) von ihrer Tätigkeit ohne Gönner leben können. Und Festangestellte ordentliche Gehälter kassieren und ihre normale 40 Stundenwoche haben.
Frank Meier
@ Nana
Genauso wie obiges Pamphlet klingen Ihre Aussagen wie die eines Waschweibes, welche von eins zum Tausenden kommt. Dieser Generalabwasch ist es, der diese Pocahonta-Geschichten unerträglich macht. Nichts im Leben ist perfekt, gar nichts, Nada, Null, Niente … und es gibt Nichts was man nicht auch verbessern könnte, da haben Sie durchaus recht. Aber kann man die Problem auch punktuell benennen. Dann kann man einsteigen, zustimmen, abstreiten, Ideen zur Lösung beisteuern. Wenn aber die Geschäftsführung erfolgreicher Unternehmungen sich scheinbar darin ergießt, dem eignem Sohn gegenüber ein schlechtes Gewissen wegen seiner Unterstützung des aus seiner Sicht kranken System zu generieren, dann hat es die Schwelle der Albernheit längst verlassen. Ins Fassungslose fällt man spätestens beim Zitat: „… Wir bieten ein Umfeld mit so wenig wie möglich Entfremdung …“ Das ist an verlorener Bodenhaftung nicht mehr zu überbieten. Ja Horst, es gibt zu viel Speicherplatz und das Internet ist doch eine Klowand, aber das ist wieder ein andere Sache ;-)
Balthier9999
Design, dass der kommerziellen Identität entgehen will, kann eigentlich nur Kunst sein. Es ist egal, ob man für wohltätige Zwecke oder Joghurtbecher designt – der Kapitalismus, der die bekannten, ungleichen Verhältnisse in der Gesellschaft erzeugt, bleibt. Selbst anspruchsvolle Designs oder No Design können dagegen nichts tun; sie sprechen dann eben eine andere Zielgruppe an oder wollen Trends setzen (die wiederum in den Design-Mainstream übergehen).
Auch durch bewusst sinnvolleres, vernünftiges Design (dass man braucht) ändert sich die Situation kaum, denn Design bleibt Manipulation, die der Vernunft entgegensteht und kommerzielle Ausnutzung provoziert.
Doch: Wie schon erwähnt wurde, geht es uns trotz, bzw. gerade wegen des Kapitalismus so gut. Der Drang zur Wohltat ist gut gemeint, gerade wenn man in der Position steht, theoretisch etwas Großes reißen zu können. Aber um „die Welt besser zu machen“, braucht man Hilfe vom System. Immerhin: Dank dem sozialen System Deutschlands, dass jeder Steuerzahler systematisch unterstützt, können _theoretisch_ alle Menschen in diesem Land, egal wer, frei leben. ‚Wohltat‘ per System.
Und natürlich hilft eine gemeinnützige Aktion ohne kommerziellen Hintergedanken der Welt etwas.
PS: Rebellion gegen Normen im Design sind aber unabhängig vom Gedanken der Ablehnung der Verhältnisse oder der Besserung der Stellung des Berufs in der Gesellschaft wichtig, da auch Design etwas zur Kultur beitragen kann.
clexs
was ist schön?
gutes design ist der kern.
es braucht solche gedanken;
um die harte schale zu knacken.
und spaß und freude und liebe und …
Hans Kohlhase
Tja liebe Designer, und dann wundert’s euch, dass keiner zuhören mag, wenn’s ihr was erzählen möchtet. Wenn keiner euch „wahrnehmen“ und „ernst nehmen“ tut, wie’s immer heißt. Ein bissel Eigenwerbung vom guten Spiekermann Erik in Ehren, und dabei so wenig Entfremdung wie möglich (Gruß an Karl!), eh klar.
Was hadert’s denn, Wohlstandsdekorateure und Medienfloristen, so mit den Realitäten? Stört’s euch daran, dass ihr den bösen Kapitalismus schön verpacken müsst? Oder sind’s die 230 Espressos am Tag, die ihr sauft, um bei angenehmen Licht ganz schnell die Pixel zu schubsen und überhaupt, solang’s warm is‘!
Also, auf geht’s, macht’s mal, das alles schöner ausschauen tut, weil schlecht genug is‘ die Welt ja schon. Und vielleicht fällt dem Spiekermann Erich noch eine ehrlichere Antwort ein, versprochn hat er’s zwar nicht, der alte Fuchs. Und wer weiß, warum er den Engländern überhaupt so ins Heftel plädojiert hat. Hauptsache die Heizung läuft.
Detlef D. Seiner
Die Pflanze hat zu viel Blattläuse, wo bleibt der Fressfeind, sonst fault sie ab?!
Pascal
Unfassbar. Ich habe nicht den geringsten Schimmer, was einem der Autor eigentlich sagen will. Der Begriff „Layout-Sklave“ ist für mich die Spitze des Eisbergs. Sind die Arbeiter bei VW dann auch Sklaven, nur weil sie Tätigkeiten verrichten? Ist jede Tätigkeit, die nicht im Kopf stattfindet Sklaverei oder was soll das bedeuten? Ganz furchtbarer Beitrag aus meiner Sicht und unglaublich überheblich in den Details.
Simoniak
Klasse!
Janni
Spiekermann sagt doch im Grunde genommen nichts anderes als dass er letzten Endes KEIN wirkliches Problem damit hat, kommerziell zu arbeiten – auch wenn wir alle natürlich viel lieber ausschließlich tolle wichtige weltrettende Kunstprojekte machen würden. Wer es als Designer nicht aushält, Dienstleister für Wirtschaftsunternehmen zu sein, hätte Künstler werden sollen und nicht Designer (Wobei im übrigen auch der Künstler, wenn er von seiner Arbeit leben möchte, sich mit den Gesetzen des Marktes herumschlagen muss).
In einem Punkt bin ich aber anderer Meinung als Spiekermann und seine First-Things-First-Kollegen: Nicht die Tatsache, dass Designer „käuflich“ sind, untergräbt die Wertschätzung der Gesellschaft für unseren Berufsstand, sondern die bei Designern weit verbreitete „ach, dieses kommerzielle Zeugs mache ich doch nur, um meine Miete zu zahlen“-Haltung. Wie man in den Wald ruft, so schallt es nunmal heraus.
Ich jedenfalls bin von Herzen gerne Dienstleister und halte es für eine wichtige und richtige Aufgabe, meinen Kunden bei ihrem Unternehmen zu helfen – und zwar so, dass es möglichst für alle Beteiligten Sinn macht und sich rechnet.
Und ja, dann kommt es schonmal vor, dass man an einem Tag einen AIDS-Kongress bewirbt und am nächsten einen Tabakkonzern.
Ilona Koglin
Ich glaube, das hier beschriebene Problem – den Widerspruch zwischen dem, was man für richtig hält und dem, was man meint machen zu können (wobei ich auch glaube, dass wir Deutsche uns oft zu wenig zutrauen) – kann man überall in unserer Gesellschaft spüren. Dass es derzeit das Gefühl zunimmt, dass es bei uns zunehmend ungerecht zu geht, weiß wohl jeder, der Zeitung oder im Internet liest. Gleichzeitig trägt aber jeder dazu bei, das große Ganze am laufen zu halten. Wie man das ändern können soll, das weiß wohl niemand zu beantworten (weder die Politiker, noch die Unternehmensführer, noch die Designer, noch die Journalisten et cetera). Vielleicht müssen wir so einen Widerspruch einfach ertragen… Ich denke wichtig ist vor allem, dass wir uns nicht auseinander dividieren lassen – dort die „schlimmen“ Designer, Politiker, Journalisten, Hartz-IV-Empfänger, Immigranten, Rentner usw. / hier wir, die „Guten“. Stimmt: unsere Gesellschaft hat gute und schlechte Aspekte. Dass sie gute hat, heißt nicht, dass man nichts gegen die schlechten tun sollte. Es ist jedenfalls besser, abends konsumkritische Kunstgegenstände in einer kleinen Off-Galerie zu präsentieren, als gar nichts zu machen.
erik spiekermann
Nur zu den Fakten: ich schreibe seit drei Jahren eine Kolumne für Blueprint, die von Jürgen übersetzte erschien im August-Heft und neulich in der online-Ausgabe. Diese wurde entdeckt und über Twitter verbreitet, nicht von mir. Die Blueprint Ausgabe befasste sich mit dem Anti-Design Event, das Neville Brody in London kuratierte. Da ich nichts davon halte, wenn wir uns mit Ausstellungen und kunstähnlichen Aktionen gegen unsere eigene Arbeitssituation stellen, habe ich diesen Kommentar verfasst. Ich bin kein Revolutionär, sondern Dienstleister, frage mich aber gelegentlich, ob wir unsere Fähigkeiten, auf die ja auch Florian hinweist, nicht besser einsetzen können als ständig Probleme zu lösen, die nicht wirklich weltbewegend sind. Mit diesem Dilemma müssen wir aber alle leben, das allein habe ich sagen wollen. Plakate gegen Übel wie Krieg zu gestalten, ist nur etwas für Maulhelden, weil sie nichts ändern und für den Gestalter hierzulande das einzige Risiko mit sich bringen, damit in Kunstausstellungen zu gelangen.
Ich weiss nicht, in welcher Firma ich Kollegen für 230,– Tagessatz beschäftige, was übrigens ein Monatsgehalt von mehr als 4600 bedeutete – nicht schlecht. Auch unsere freien Mitarbeiter haben Verträge, wenn auch befristet, und wir bezahlen unseren Praktikanten mehr als den Bafög-Satz. Krisensichere Arbeitsplätze gibt es sowenig in dieser Branche, wie es eine Garantie dafür gibt, dass neue Auftraggeber zur Tür hereinkommen. Viele der unzähligen kleinen Büros wären froh, wenn sie mehr als 200 Euro am Tag für ihre Arbeit – besonders im kulturellen Bereich – erzielen könnten.
Tucholsky hat schon geschrieben, dass Ironie – Espressomaschine, Zentralheizung, Layout-Sklaven – nur was für Erwachsene ist.
Philipp Schilling
Designerinnen und Designer, die bei ihrer Berufswahl allen Ernstes davon ausgehen, dass sie in ihrem Berufsleben niemals für die „bösen“ Kapitalisten arbeiten werden, sind selbst schuld, wenn die Wahrheit plötzlich ganz anders aussieht.
Wem dieser Berufsalltag zu viel Entfremdung bedeutet, der kümmere sich – und das ist durchaus nicht ironisch gemeint – um die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, da besteht noch viel Kommunikationsbedarf.
@Frank Meier: Wenn Zeitgeist bedeutet, dass wir die allgemeinen Probleme endlich wieder besser wahrnehmen, nachdem wir ein Jahrzehnt lang die Augen vor allem verschlossen haben, dann freue ich mich sehr, dass im Moment viele so „zeitgeistig“ unterwegs sind.
Designer
Der Artikel von Erik erinnert mich an die guten, wenn auch teils polemischen, Texte von Otl Aicher (z.B. in „die welt als entwurf“) in denen er die Zwickmühle und Krise beschreibt in der sich das heutige Design befindet.
Schade das Herr Spiekermann resigniert, anstatt einen Lösungsansatz anzubieten.
Donald
ich schweige und lese diesen Artikel und Kommentare :)
thomas junold
@donald: alter schwede donald, deine preise … auch so eine sache. wer sich so in den keller arbeitet. muss doch nicht sein oder?
erik spiekermann
Ich resigniere überhaupt nicht, ich mache meine Arbeit. Und zum Rest habe ich unter Florians Text eine Erwiderung geschrieben. Nur soviel: in den letzten 40 Jahren habe ich mit meiner Arbeit, in meinen Büros etwa 500 Kolleginnen und Kollegen mehr oder weniger beeinflusst. Etliche davon haben heute ihre eigenen Büros oder lehren an Hochschulen, oft genug mit einem Gutachten von mir dafür empfohlen. Ist das Resignation?
Stephan
Man sollte sich als Designer nicht wichtiger nehmen als man ist. Design ist eine Dienstleistung. Die von Designern zu lösenden Probleme würde ich nicht als nichtig hinstellen, da an dieser Kette auch wieder Arbeitsplätze in den Unternehmen unserer Auftraggeber hängen. Das hat zu mindest bei uns auch nichts mit bösem Kapitalismus zu tun. Funktionierende Unternehmen stärken letztendlich die Gesellschaft.
Das Interessante an Design ist doch gerade sein verborgener Zugang in das Bewusstsein. Als Designer habe ich viel mehr Einfluss auf ein Unternehmen oder die Gesellschaft, als es dieser oder der Geschäftsführung oft bewusst ist. Also kann ich indirekt auch lenkend eingreifen, um im Sinne des gemeinsammen Erfolges Unternehmensbilder zu formen. Manchmal springt der Funke auf den Manager über.
Für den Weltfrieden und eine saubere Umwelt bin ich doch eh. Daran ändert meine Arbeit doch nix.
thomas junold
@stephan: das würde ich so nicht 1:1 unterschreiben. wenn du für amnesty international oder greenpeace arbeiten würdest, kann deine arbeit vielleicht eine menge ändern, findest du nicht?
design ist schon ein bisschen als eine reine dienstleistung, wer das nur so nüchtern sieht, der brennt doch auf sparflamme, statt lichterloh. ;)
ich persönlich steh voll drauf, wenn ein kunde sich freut oder eine sache erfolg hat oder leide im gegenzug, wenn eine wirklich gute sache aus welchen gründen auch immer nicht genommen wird. :)
Immer noch die gleiche Vroni
@ Erik
„Es war schon immer leicht, in der sicheren Umgebung von Kunstzeitschriften oder Galerien zu protestieren,…“
Stimmt. Guter Satz.
Und auch noch voll in das Wespennest getroffen.
:-)
Wer Designer ist, kann sich schlecht aus dem System stehlen. Nicht einmal so tun als ob. (Die Kunstgalerie und das Protestplakat sind ja ebenfalls Teil des bestehenden Systems, auch wenn das nicht jedem immer sofort klar ist.)
War auch mal nur ein kleiner Layouter und wollte nichts als schöne Seiten liefern. War jung und brauchte das Geld. :-) Ich war ein kleiner Anhübscher und wollte genau und nur das.
Erst später wurde mir klar, dass wirklich gute Sachen nur gelingen können, wenn wenn man über die Anweisungen, die man bekommt, hinausdenkt. Das Ergebnis des Nachdenkens kompetent mitteilt, statt es verbittert zu verheimlichen.
(Heimlich und empört am Rechner zu brodeln ist anscheinend eine beliebte Eigenschaft von freiberuflichen Grafikern. Was ich daran merke, dass manche Auftraggeber recht erstaunt sind, wenn eine eigene Sichtweise geäußert wird: Es kommt anscheinend selten vor, sie sind es nicht gewohnt. Manchmal sind sie verärgert, manchmal aber positiv überrascht.
student xy
es gibt doch auch designer, welche fast aussschließlich für lokale kultureinrichtungen oder benefit gestalten. meist schon gegen geld – wobei doch weniger als normal und dann noch für einen „guten zweck“.
und wie ist es mit street-art künstlern und graffiti-sprayern, welche nur aus protest gegen das system heimlich angefangen haben und später gegen geld große aufträge leisten?
ich
was genau heißt „anti-design“?
Stephan
@thomas: das stimmt schon, dass der Wirkungsgrad des eigenen Handelns stark von der Motivation des Auftraggebers abhängt. Aber als Designer bin ich kein passiver Befehlsempfänger sondern kann mehr oder weniger in bestimmte Prozesse eingreifen. Ich persönlich liebe die Herausforderung zu sehen wie weit sich ein Auftraggeber in bestimmten Punkten bewegen lässt. Natürlich habe ich auch das andere Extrem kennen gelern, in dem Gestalter die Vorgaben der Klienten kommentarlos 1:1 umsetzen. Is ja auch nich so prall.
Die reine Dienstleistung sehe ich in der Form meiner Arbeit begründet, da es (bei mir) immer darum geht für einen Auftraggeber eine Lösung zu erarbeiten. Im Schaffensprozess selbst bin ich natürlich Feuer und Flamme und freue oder gräme mich wie du. Eine gewisse kühle Sachlichkeit gestehe ich mir zu, um Abstand wahren zu können. Das ist aber eine persönliche Entscheidung und darf nicht auf alle Designer übertragen verstanden werden. Da tickt zum Glück eh jeder etwas anders.
Frank
Der Kommentar #13 von Hans Kohlhase fasst eigentlich alles sehr schön zusammen, gut auf den Punkt gebracht.Im Grunde gibt’s danach nix mehr zu sagen.
till1
wie erik im kommentar schon erläuterte: „anti-design“ sowie die polemischen anmerkungen im artikel beziehen vor allem auf das „anti design festival“ mit der leitfigur neville brody.
http://www.antidesignfestival.com/
Carlos
Lieber Erik Spiekermann,
ist es denn wirklich wahr, dass Sie nie für Banken arbeiten?
Ich glaube das nämlich nicht…
johannes
Mensch Carlos,
nein, erik arbeitet nicht für Banken, siehe die Liste „Auftraggeber“: ABN Amro Bank, Aegon Bank, Commerzbank, FGH Bank, geldshop.nl, iBank, Rabobank, Sozialversicherungsbank. Auch nicht für Tabakunternehmen: Camel Active. Und ebenso nicht für Versicherungen. Siehe auch hier der Vollständigkeit halber. — Das ist doch alles Ironie vom Erik, Mensch! Auch die Zentralheizung ist nur Ironie! Das verstehen so Leute wie Du und ich halt nicht, das tun nur Erwachsene wie erik verstehen!
erik spiekermann
@ johannes
Eigentlich lohnt es sich nicht, ewig-neidischen, boshaften Leuten wie dir Aufmerksamkeit zu schenken, aber zur Aufklärung für die anderen muss es wohl sein. Meine Kolumne schreibe ich für Blueprint, ein englisches Magazin, das hierzulande kaum jemand kennt. Eine reine Übersetzung (auch wenn Jürgen das prima gemacht hat) ist offensichtlich nicht so einfach. Wenn ich von Banken rede oder anderen „bösen“ Auftraggebern, dann hat das in London einen anderen Klang als in Berlin. Dort hängen nämlich alle Designbüros viel mehr ab von Aufträgen aus dem Finanzsektor, weil die Briten kaum noch etwas herstellen. Und dieser Sektor ist dort besonders aufgefallen durch niedrige Moral und gieriges Absahnen. Das Wort „Bank“ steht dort also symbolisch für Unmoral.
Natürlich enthält die Liste unserer Auftraggeber der letzten zehn Jahre viele Banken, weil nicht jeder Banker ein Verbrecher ist und weil Banken früher eher einen guten Ruf hatten. Unsere Kollegen in Amsterdam arbeiten gerade für ABN Amro, eine staatliche Bank. In Berlin haben wir derzeit keine Bank als Auftraggeber – leider oder Gottseidank. Denn wie wir entscheiden würden, wenn es darum ginge einen Auftrag anzunehmen oder abzulehnen angesichts der Tatsache, dass wir jeden Monat 50 und mehr Gehälter zahlen müssen, dass mag ich nicht zu sagen. Genau um dieses Dilemma zwischen Moral, unserer Rolle in der Gesellschaft und der Verantwortung den Mitarbeitern gegenüber ging es in meinem Artikel. Ich habe kein Rezept, obwohl ich dieses Geschäft seit 40 Jahren betreibe. Immerhin diskutieren wir solche Themen bei Edenspiekermann. Wer nie darüber nachdenken musste, ob er einen Auftrag ablehnt oder Mitarbeiter entlässt, kann da nicht mitdiskutieren.
Immerhin haben wir unsere Haltung gegenüber unbezahlten Pitches auf eben der Website bekannt gemacht, aus der du zitierst. Und wir halten uns daran. Möchte mal wissen, wer von den ganzen Besserwissern und Moralaposteln hier dazu die gleiche Einstellung nicht nur mit dem Mund vertritt, sondern auch durchhält.
erik spiekermann
Im Übrigen könnte ich einfach meine Kommentare anonym veröffentlichen wie viele hier. Dann könnte ich alles behaupten, wie viele hier, müsste aber nichts beweisen. Wer weiss denn, wie die Leute handeln, die hier das große Wort schwingen, weil niemand weiss, dass sie Rumpelstilzchen heissen?
thomas junold
es ist wirklich schade, dass ausgerechnet die person, die dem grafikdesign in unserem land so viel gegeben hat und sich wirklich so dafür einsetzt, dass uns überhaupt jemand ernst nimmt, so rechtfertigen muss. ihr namenlosen neidhammel solltet euch echt schämen, aber anonym rummaulen ist hier ja ein diskussionstil, wenn die argumente fehlen. ausfälle dieser art sind ja keine neuigkeit.
Christian
Zitat Eric Spiekermann: „Wir werden als das wahrgenommen, was wir hauptsächlich tun: Leute, die dem hässlichen Gesicht des Kapitalismus ein Make-up verpassen. “
Aha. Tun wir das hauptsächlich? Überhaupt: wer ist „wir“? Wieso ist das Gesicht des Kapitalismus hässlich – ist das nicht eine Frage des Geschmacks? Was ist der „Kapitalismus“?
Ich sag mal so: Make-up trage ich auf, wenn ich etwas kaschieren oder polieren möchte, das entweder nicht da oder nicht auf den ersten Blick erkennbar ist.
Design mit Make-up zu vergleichen erscheint mir angesichts der breiten Anwendungspalette von Design etwas zu reduktionistisch. Es sei denn der Autor möchte uns mit dieser Aussage provozieren…
Oder spricht er aus der Elfenbeinturm-Perspektive eines Auftragnehmers der großen Markenwelt, wo tatsächlich kreatives Design regelmäßig dazu missbraucht wird, künstlich Bedürfnisse zu wecken, die vorher so nicht da waren?
Jan Middendorp
Tatsächlich ist dieses ‚Wir‘, vor allem in der englischsprachigen Metaliteratur üblich, ein verwirrendes (und vielleicht fiktives) ‚Wir‘. Es wird allzu oft in wohlgemeinten Moralpredikten von Leuten benutzt, die sich mit diesem ‚Wir‘, das sie beschreiben, gerade nicht identifizieren möchten. Entweder das, oder sie benutzen das ‚Wir‘ in einer Selbstbeschuldigung einem Publikum gegenüber, das sie gern in die Beschuldigung miteinbeziehen möchten, während dieses Publikum dies ablehnt, da es noch jung und idealistisch ist, oft umsonst oder für wenig Geld arbeitet und nur Auftraggeber hat, die nett, kulturell und bleifrei sind.
Nicht viele Designer haben wirklich ein Doppelleben. Es gibt einfach im Design Parallelleben, die ganz unterschiedlich sind. Es gibt Grafiker, die ein Unternehmen führen und mehrere Leute beschäftigen; Geschäftsführer also, die ein Haus und ein Auto besitzen (oder mehrere von beidem), die in guten Restaurants essen, Kunst und viele Bücher kaufen, sich gut kleiden und viel reisen. Das ist gut für die Wirtschaft und sicher nicht tadelnswert, aber sie brauchen einen bestimmten Umsatz, um sich das leisten zu könnnen. Sie gehören nicht zu der gleichen Klasse von Designern, die einen Schreibtisch mieten, anstatt einen Büroraum, und froh sind, dass sie es nach Jahren von gefährlichem Leben endlich in die Krankenversicherung geschafft haben. Es gibt Designer, die diese letzte Kategorie nie verlassen werden – nicht weil sie unfähig sind, ‚Karriere zu machen‘, sondern weil sie entschieden haben, nur Arbeit zu machen, die interessant, begeisternd und 100% ‚gut‘ ist. Die Entscheidung, kommerzieller Grafiker oder Kommunikationsdesigner zu werden, ist kein Fall der höheren Gewalt. Es ist eine Wahl.
Etienne Girardet
hey, die debatte hier ist schon eine weile her – aber ich lese sie erneut mit großem interesse. das bleibt eine spannende frage: fürwas, für wen und zu welchen bedingungen bieten wir unser handwerk an. diskutieren wir sie immer weiter!