100 beste Schriften (4)
Im Juni 1766 sind alle Reisevorbereitungen getroffen. Der 26-jährige Graveur Giambattista Bodoni, Sohn eines italienischen Druckers, verlässt Rom, um die zweiwöchige Fahrt zur Cambridge University Press anzutreten. Im Gepäck die aktuelle Lieblingslektüre: das Neue Testament, gedruckt von »Vollender der klassizistischen Antiqua« John Baskerville, dem Direktor der Universitätsdruckerei. Bei ihm will Bodoni seine Schriftschneiderlehre abschließen.
Noch vor der österreichischen Grenze setzt ein Fieberanfall der Expedition ein abruptes Ende: Malaria! In einem norditalienischen Sanatorium erholt sich Bodoni schneller als die Ärzte erwarten. Dabei schneidet er, ohne neue Pläne zu schmieden, Tag für Tag Schriften. Nach einem Besuch in Parma wird er dort 1768 Leiter der Stamperia Reale. Auf Wunsch einiger kunstfanatischer Fürsten soll er der Druckerei landesweite Bedeutung verschaffen.
Bis zu seinem Tode 1813 arbeitet Bodoni am Manuale Tipografico, das seine Witwe 1817 vollendete. Auflage: 250 Exemplare.
Um Bodoni an den Hof zu binden, erlaubt ihm Prinz Ferdinand von Bourbon-Parma 1771 die Errichtung einer privaten Buchdruckerei im Palast. Hier entstehen bald Folianten und Prachtausgaben von Klassikern, die europaweit für Aufsehen sorgen, weil Bodoni fast jede Ausgabe in einer neuen Schrift setzt. Seine Perfektion – vom Schriftschnitt bis zur Wahl der Papiere – bringt ihm den Ruf »Drucker der Könige und König der Drucker.«Über 40 Jahre leitet Bodoni die Stamperia Reale, bis zu seinem Tod 1813. In den folgenden 5 Jahren sichtet seine Witwe Margherita den entstandenen Schrift-Schatz. Die Druckerei ist fast ausschließlich für das Erbe ihres Mannes im Einsatz. 1817 schließlich bringt sie das zweibändige Manuale Typografico (Handbuch der Typografie) heraus, in einer Auflage von nur 250 Exemplaren. Mit 142 Alphabeten, den dazugehörigen Kursiven, Schreibschriften und Ornamenten beschäftigt es bis heute die Bodoni-Interpreten.
Beim Setzen mit der königlichen Schrift ist zu beachten, dass die harmonischen Formen und der klare Kontrast zwischen Schwarz und Weiß Sorgfalt beim Umgang voraussetzt. Bodoni ist keine kleinkarierte Bürokratenschrift. Und sie ist auch nicht sehr praktisch. Wenn es jedoch gilt, einem lesenswerten Text Geltung zu verschaffen, mache man es wie Bodoni selbst: viel weißer Raum, großzügiger Zeilenabstand und mindestens 10 Punkt Schriftgröße.
Eine von 142 geradestehenden Bodoni-Schriften im Manuale Typografico (Abbildungen mit freundlicher Genehmigung von Octavo/Bridwell Library)
9 Kommentare
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Florian
Juhu, ein Treffer! :) Was ich nicht gedacht hätte: mindestens 5½ Serifenlose unter den ersten 10 (denn eine kommt ganz sicher noch …)
Wer – wie ich – einen tieferen Blick in das Manuale tipografico werfen mag: Der kalifornische Digital-Verlag Octavo zeigt das komplette Buch online zum Durchklicken!
Jürgen Siebert
@Florian: Der Octavo-Link ist auch in meinem Beitrag enthalten. Adobe-Gründer John Warnock höchstpersönlich hat uns das OK zum Abdruck der Manuale-Abbildungen gegeben … er ist Octavo-Partner.
Florian
Oh! Sorry. Ich war so angefixt, dass ich gleich die erstbeste Suchmaschine angeworfen habe, ohne Deinen Link zu entdecken …
Bei Bodoni kommt mir seit einiger Zeit immer das Sprüchlein des typophilen George E. Thompson in den Sinn: »I felt bad because I had no shoes, until I met a man who had no Bodoni.« Und so lese ich – unfreiwillig – den italienischen Namen stets mit imaginärem Ami-Akzent: ›Bow-dow-nee‹ … :)
webicus
Abdruck klingt verdächtig nach einem Buchprojekt… 100-Beste-Schriften-Edition
Marcus
@webicus: die Idee fand ich auch gut …
Jens Fassmann
…die ultimative *rundumsorglos*, *allyoucaneat* & *allinone* Schriftenedition sozusagen ;)
Hat wirklich was die Idee, aber einige dieser vorgestellten Fonts hat bestimmt jeder sowieso schon irgendwo…
Anton Blume
Wer ist der Autor der Quelle?
Ich arbeite gerade an einer Hausarbeit zum Thema Bodoni. Kennt jemand weitere Quellen zu Bodoni?
Gruß A.B.
mirjam schweigkofler
hallo.
ich mache zur Zeit eine Recherche über Bodoni.
und suche nach weiteren Infos?
bzw. auch grafische Arbeiten, wo seine Schriften vorkommen.
wäre super wenn mir jemand weiter helfen könnte.
lg