Majestätische Serif: die neue Royalis

Schriftmuster der neuen Royalis, entworfen von Julian Fincker. Der Name der Schrift steht groß in weiß auf schwarzem Grund, darunter – klein gesetzt und in Orange – die drei Stile Display, Dísplay Condensed und Text.

Was mich an den Schriften von Julien Fincker immer wieder begeis­tert: die stilis­ti­sche Raffinesse und die Ausbaustufe. Das war schon bei Ardena so (℗ 02/2021, 1064 Glyphen/Font; Vorstellung im Fontblog) und auch bei Garino (℗ 09/2021, 1165 Glyphen/Font; FontShop). Übrigens entstand bereits in der Entwurfsphase von Garino der Gedanke, eine charak­ter­starke Serif zu entwi­ckeln. Die Motivation des Designers: Die Extreme so weit es geht auszu­reizen. Jetzt ist sie erschienen.

Julien Fincker begann damit, der kräf­tigsten Strichstärke sehr schmale Punzen zu geben und anschlie­ßend zu beob­achten, was passiert, wenn die Buchstaben leichter und enger werden – ohne die Charakteristik zu verlieren. Zu dieser Zeit entstanden auch die ersten verspielten Elemente, wie die langen, hoch­ge­zo­genen Ausläufe und die ange­schnit­tene Tropfenserife. Beide entwi­ckelten sich zu den unver­wech­sel­baren Eigenschaften der neuen Schrift. Ebenso die ziem­lich tiefen Einkerbungen in den Übergängen, eine Art Inktraps. Beim kleinen a kamen alle drei Charakteristika zusammen. Sie gaben der Schrift ihren Schwung und ihre Extravaganz. Die Assoziation zu den Drei Musketieren entstand, und damit auch der Name: Royalis. 

Dreispaltiges Schriftmuster aller 32 Royalis-Schnitte: 12 mal Display Condensed, 12 mal Display und 8 mal Text

Die drei Musketiere (= Stile) von Royalis auf einen Blick: Display, Display Condensed und Text

Noch während des Zeichnens der Basisbuchstaben kam Julien Fincker die Idee, mit den Buchstaben n und o eine Condensed Version anzu­testen. „Was ich dabei nicht bedacht habe: Durch diesen fünf Minuten Test, der erstaun­lich positiv ausfiel, wuchs mein gesamtes Arbeitspensum für Royalis kurzer­hand um das Doppelte an. Denn ich entschied mich dazu, die normale und die Condensed Version zeit­gleich zu zeichnen.“ erin­nert sich der fran­zö­si­sche Designer, der in Stuttgart lebt und arbeitet. Damit platzte auch der ursprüng­lich geplante Veröffentlichungstermin. „Doch inspi­riert durch die Musketiere nahm ich die Herausforderung an.“

Doch damit nicht genug: „Bei einer meiner letzten Feedbackrunden mit meinem Freund und Kollegen Marc Lohner, meinte dieser, dass die Lesbarkeit auch in klei­neren Größen relativ gut werden könnte. Er wusste nicht, was dieser kurze Kommentar in mir auslösen würde. Denn, wie könnte es anders sein, ich entschied mich, auch eine Textversion zu zeichnen, was die Arbeit an der Schrift um etwa ein Jahr verlängerte.“

Anleitung: Wie sich – dank OpenType-Features – ganz einfach die Pfeile und Dekorziffern von Royalis „schreiben“ lassen

Heute steht fest: Der Extra-Aufwand hat sich gelohnt. Royalis entwi­ckelte sich zu einer Großfamilie mit insge­samt 32 Schnitten und 1027 Glyphen pro Font. In diesen Tagen erscheint sie in drei Ausführungen: als Display-Version mit sechs Strichstärken plus Oblique-Schnitte, dasselbe noch einmal als Condensed-Version, plus vier Text-Schnitte, eben­falls mit Obliques. Mit dieser Ausstattung wird Royalis viel­seitig einsetzbar, insbe­son­dere für Editorial-Design, Packaging, Branding und Advertising.

Typografische Vielfalt und 1027 Zeichen pro Font: Royalis ist eine gut ausge­baute Corporate-Schrift für Marken mit Stil

Die leichten Schnitte über­zeugen durch ihre Eleganz, während die kräf­ti­geren Fonts durch ihren starken Kontrast beein­dru­cken. Weitere Leckerbissen sind alter­na­tive Zeichen, Small Caps, auto­ma­ti­sche Brüche, Pfeile und verschie­dene Ziffernsätze. Dank OpenType-Features und einer einfa­chen Systematik lassen sich die verschie­denen Ausführungen der Pfeile und Ziffern auch einfa­ches „Schreiben“ abrufen, also ohne eine Suche in der Glyphenpalette.

Royalis ist bis zum 13. Mai 2023 zu einem 60 % redu­zierten Preis bei MyFonts erhält­lich; das sind rund 78 € für die gesamte Großfamilie. Ein Schnäppchen!

Weitere Informationen zur Schrift: https://​www​.myfonts​.com/​c​o​l​l​e​c​t​i​o​n​s​/​r​o​y​a​l​i​s​-​f​o​n​t​-​j​u​l​i​e​n​-​f​i​n​c​ker

Mit alter­na­tiven Zeichen lädt Royalis zum Spielen und Experimentieren ein


Erstes Standardwerk zum Thema ‚Design und KI‘

Sein Name ist Nikolay Ironov. Er entwirft Logos für Cafés, Shops, Apps und Verpackungen. Kostenpunkt: 290 € für das Basis-, 449 € für das Profipaket. Er ist Mitarbeiter beim russi­schen Designbüro Art. Lebedev Studio und scheint rund um die Uhr zu schuften, sieben Tage in der Woche. Das macht er auch, denn Ironov ist kein Mensch, sondern ein KI-gestützter Service, der auf digi­tale Typografie und Vektorgrafik trai­niert wurde. Die Technik ist so ausge­feilt wie die von Tero Karras entwi­ckelten Generative Adversarial Networks (Wikipedia, zu Deutsch „erzeu­gende gegne­ri­sche Netzwerke“), die realis­ti­sche Gesichter von Menschen erzeugen (this​per​son​does​not​exist​.com), nicht exis­tie­rende Autos zusam­men­bauen (this​au​to​mo​bi​le​does​not​exist​.com) oder frei erfun­dene Kunstwerke schaffen (this​art​work​does​not​exist​.com).

Sechs mittels KI erzeugte Logos aus dem Ironov-System des Arte.Lebedev-Designstudios.

Sechs mittels KI erzeugte Demologos aus dem Ironov-System der Arte.Lebedev-Designstudios.

Design und KI

Unsere tägli­chen Designwerkzeuge bieten längst KI-gestützte Funktionen. Adobe Photoshop bietet neuro­nale Filter, die es zum Beispiel erlauben, mensch­liche Gesichter zum Lächeln zu bringen oder Fotos zu animieren. Gestern lancierte Adobe Express die Betaversion eines Trickfilmgenerators, die eine selbst gespro­chene Audiospur mit einer animierten Trickfigur synchro­ni­siert. 

Für die visu­elle Gestaltung und die Gestaltenden hat künst­liche Intelligenz, wie diese Beispiele zeigen, weit­rei­chende Konsequenzen. Aktuell stellen sich die folgenden Fragen:

  • Welche Wirkung hat KI auf das Design und den Designprozess?
  • Wie verän­dert KI die Rolle und die Arbeitsweisen von Designerinnen und Designern?
  • Welche Möglichkeiten ergeben sich durch KI-Designwerkzeuge?
  • Wie werden diese Werkzeuge in den Gestaltungsprozess eingebunden?
  • Entstehen durch KI neue Gestaltungsmethoden und -prozesse?
  • Wem gehören die künst­li­chen Designprodukte (Urheberrecht)?
  • Gelten die aktu­ellen Prinzipien guter Gestaltung noch?
  • Welche neuen Geschäftsmodelle bahnen sich an?

Obwohl künst­liche Intelligenz kein neues Phänomen und bereits in vielen digi­talen Produkten inte­griert ist, sind die meisten der oben aufge­wor­fenen Fragen noch nicht beant­wortet. Vor allem fehlt in vielen Bereichen die akade­mi­sche Auseinandersetzung mit der KI-Technologie im Design. 

Das gerade erschie­nene Buch Design und Künstliche Intelligenz – Theoretische und prak­ti­sche Grundlagen der Gestaltung mit maschi­nell lernenden Systemen von Marc Engenhart und Dr. Sebastian Löwe ebnet endlich den Weg für die theo­re­ti­sche Auseinandersetzung mit diesem wich­tigen Thema. Marc Engenhart ist Kommunikationsdesigner, leitet das Engenhart Design Studio und doziert im Bereich Mensch-Maschine Interaktion, Kommunikationsdesign und Interaktionsgestaltung. Sebastian Löwe ist seit 2018 Professor für Designmanagement an der Berliner Mediadesign Hochschule und Experte für Design- und Innovationsthemen. Beide sind Gründer der Konferenz „Designing With Artificial Intelligence“. 

Ihr Buch führt die unter­schied­lichsten Stränge und Wissensstände aus den KI-affinen Disziplinen zusammen und macht sie für Gestalterinnen und Gestalter in verständ­li­cher Weise zugänglich.

Nach einer Einführung wird in Kapitel 2 geklärt, was sich hinter der Chiffre ‚künst­liche Intelligenz‘ verbirgt, wieso KI-Technologie auf so große Mengen von Daten ange­wiesen ist und um welche Art von Intelligenz es sich bei KI eigent­lich handelt. Es werden zentrale Verfahren der KI vorge­stellt, welche Probleme sie lösen und welche Anwendungsgebiete, aber auch welche ethi­schen, ökono­mi­schen und gestal­te­ri­schen Implikationen sich daraus ergeben.

Danach beant­wortet das Buch die Frage, wie man als Designer die neuen KI-Werkzeuge prak­tisch nutzt und neue KI-Anwendungen im Team gene­riert. Im abschlie­ßenden fünften Kapitel gibt es prak­ti­sche Hilfestellungen und Ratschläge, wie ein leichter Einstieg in die Arbeit mit KI-Werkzeugen gelingen kann. Für den Unternehmens- und Beratungskontext stellt das Buch erst­mals ein umfäng­li­ches visu­elles inter­ak­tives Innovation-Framework vor, mit dem Designerinnen und Designer im Team KI-Produkte entwi­ckeln können.

Das Buch ist eine sehr empfeh­lens­werte Einführung in das Thema Design und künst­liche Intelligenz und richtet sich vornehm­lich an Theoretiker:innen und Praktiker:innen aus den Bereichen Design, Designmanagement und angren­zenden Gebieten, wie der Mensch-Computer-Interaktion, der Medienkunst oder dem Projektmanagement. 

Marc Engenhart, Sebastian Löwe: „Design und künst­liche Intelligenz – Theoretische und prak­ti­sche Grundlagen der Gestaltung mit maschi­nell lernenden Systemen“, 2022, Birkhäuser Basel, 208 S., 205 mm x 257 mm, 53 Abbildungen, 53,00 €. Weitere Informationen …


Yang Liu vergleicht wieder

Titelseite des neuen Taschenbuchs von Yang Liu: Europa trifft USA.

Alles begann vor 15 Jahren mit „Ost trifft West“. Die deutsch-chine­si­sche Informationsdesignerin Yang Liu verglich in ihrem ersten, selbst verlegten Buch – auf quadra­ti­schen Doppelseiten – west­liche und östliche Gepflogenheiten mitein­ander: Pünktlichkeit, Warteschlangen, Schönheitsideale, Duschzeiten oder den Umgang mit Problemen. Für die Visualisierung nutzte sie Piktogramme, die teil­weise vom Stil Otl Aichers inspi­riert sind.

Doppelseite aus dem Buch "Europa trifft USA" von Yang Liu, hier zum Thema Heiraten. In Europa: erst Kinder, dann heiraten. In den USA: erst heiraten, dann Kinder.

Das rote Büchlein war so erfolg­reich, dass bald weitere Vergleichsbücher erschienen, diesmal aller­dings welt­weit im Verlag Taschen: „Man meets Woman“, „Today meets Yesterday“ und „Big meets Little“. Jetzt ist ihr fünftes Buch erschienen: „Europe meets USA“. Das Format und die Ausstattung sind immer noch so sympa­thisch wie bei der ersten Auflage: 13,5 × 13,5 cm, faden­ge­bunden, Leineneinband. Und der Preis nach wie vor fair: 12 €. Unter anderem direkt beim Verlag zu bestellen …

Doppelseite aus dem Buch "Europa trifft USA" von Yang Liu, hier zum Thema Pizza. In Europa: eine ganze Pizza, die genau auf den Essteller passt. In den USA: eine Achtel-Pizza-Stück, das über den Rand des Tellers hinausragt.

Im fünften Teil ihrer Bestsellerreihe stellt Yang Liu die Unterschiede der Kulturen beid­seits des Großen Teichs gegen­über. Wie reagieren Menschen auf ein „Wie geht’s“? Wo verdienen Bosse mehr, in Paris oder in L.A.? Wann wird gehei­ratet? Wie halten es die Menschen mit dem Patriotismus? Die Unterschiede sind oft über­ra­schend, vor allem, wenn man sich selbst noch nie Gedanken über das Wie und Warum gemacht hat.

Doppelseite aus dem Buch "Europa trifft USA" von Yang Liu, hier zum Thema Pizza. In Europa: eine ganze Pizza, die genau auf den Essteller passt. In den USA: eine Achtel-Pizza-Stück, das über den Rand des Tellers hinausragt.

Porträtfoto von Yang LiuYang Liu wurde 1976 in Peking geboren. Nach ihrem Studium an der Universität der Künste Berlin arbei­tete sie als Designerin in Singapur, London, Berlin und New York. Im Jahr 2004 grün­dete sie ihr eigenes Designstudio, das sie auch heute noch betreibt. Neben Workshops und Vorträgen auf inter­na­tio­nalen Konferenzen, unter­richtet sie an zahl­rei­chen Hochschulen im In- und Ausland. Im Jahr 2010 wurde sie zur Professorin an der BTK Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin ernannt. Ihre Arbeiten wurden bei inter­na­tio­nalen Wettbewerben mit zahl­rei­chen Preisen ausge­zeichnet und sind in Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu finden. Yang Liu lebt und arbeitet in Berlin.


Das hat Sepp Herberger nicht verdient

85-Cent-Briefmarke zum 125. Geburtstag des Fußball-Trainers Sepp Herberger, mit einem Ball im Zentrum, inks und rechts die Waden zweier Fußballspieler, dazu ein Zitat und eine Unterschrift.

Sondermarke „125. Geburtstag Sepp Herberger“ (1. März 2022) © Bundesfinanzministerium, TandemBranding/shutterstock.com

Anlässlich des 125-jährigen Geburtstags des legen­dären Fußball-Bundestrainers Sepp Herberger (1897–1977) hat das Finanzministerium eine Sondermarke heraus­ge­geben. Deren Gestaltung ist beliebig, der Inhalt ist falsch. Es beginnt beim Zitat Das Runde muss ins Eckige, das nicht auf Herberger zurück­geht, sondern vom ehema­ligen Bundesligatrainer Helmut Schulte geprägt wurde. Dieser äußerte während seiner Zeit als Trainer beim FC Schalke 04 (1993–1994) in einem Interview: „Ball rund muss in Tor eckig“. Veredelt und bekannt wurde die abstrakte Anweisung vom Journalist Helmut Schümann, der seinem 2001 erschie­nenen Buch über die Geschichte der Fußball-Bundesliga den Titel „Das Runde muss ins Eckige“ gab.

Berühmte Zitate von Sepp Herberger sind übri­gens: „Der Ball ist rund“, „Ein Spiel dauert 90 Minuten“ oder „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.“

Kommen wir zum Foto, das gar kein Foto ist, sondern ein compu­ter­ge­nerierter Abbildungsbastard. Ich wusste gar nicht, dass die Herausgeber unserer Briefmarken sich bei 0815-Bildquellen bedienen. Wurden Briefmarken nicht mal geschnitten, gezeichnet oder gemalt? Visuelle Gestalterinnen und Gestalter wissen natür­lich, dass Stockfotos arbi­trär produ­ziert werden, um (1) keine Markenrechte zu verletzen (in diesem Fall: Ball, Schuhe, …) und (2) keine real exis­tie­renden Vereine oder Personen darzu­stellen (in diesem Fall: Stadion, Stutzen). Alles Konkrete schränkt den Gebrauch vorpro­du­zierter Bilder ein. Nur was maximal neutral ist (also nichts­sa­gend), verkauft sich zahlreich.

Ergebnis: Der Fußball ist kein echter Fußball, sondern eine zu klein gera­tene Kreuzung aus Hand- und Volleyball. Und die Farben der Hosen und der Stutzen haben nichts mit den Farben der Heim- und Auswärtstrikots der deut­schen Nationalelf zu tun. Am schlimmsten sind die Schuhe. Sepp Herberger würde fassungslos den Kopf schüt­teln. Vielleicht würde er auch sagen: Das Eckige (die Marke) muss ins Runde (Papierkorb).


Kleiner Tipp für Daisy

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben die Typografie ihres Dynamischen Auskunfts- und Informationssystems (DAISY) über­ar­beitet. Rund 1500 dieser Anzeigen infor­mieren die Fahrgäste über die genaue Abfahrtzeit von U-Bahn, Bus und Tram. Bisher wurde der Countdown bis zum Eintreffen des nächsten Fahrzeugs mit der platz­rau­benden Bezeichnung „in x min“ darge­stellt. Seit Anfang Februar ist nur noch die Zahl mit einem Minutenstrich zu sehen: x. Das schafft neuen Raum für das Einblenden von Symbolen, z. B. für einen barrie­re­freien Ein- und Ausstieg, und längere Endstationen (Theodor-Heuss-Platz) könnten sogar ausge­schrieben werden. Bei der Minutenangabe ließen sich sogar noch 2 Pixel oben und 1 Pixel rechts einsparen, wenn die BVG statt des typo­gra­fi­schen Apostroph das tatsäch­liche Minutenzeichen (Prime) verwenden würde, also: 4 statt 4 (Fotos: Wikipedia und BVG/ Oliver Lang; Montage: Fontblog).

Hier eine Übersicht der wich­tigsten hoch­ge­stellten Strichlein:


Buchtipp: Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift

Im April 2018 trat Barbara Lüth in München den Jahreskurs „Typografie intensiv“ an (unter der Leitung von Rudolf Paulus Gorbach und Dagmar Natalie Gorbach). Sie war sofort begeis­tert von der Welt der Schrift. Nachdem sie begann, sich mit verschie­denen Schriftgestaltern ausein­an­der­zu­setzen, stellte sich recht bald die Frage: Wo sind eigent­lich die Frauen? Sie begann zu suchen und sie fand sie. 

Tatsächlich waren am Anfang des 20. Jahrhunderts nur wenige Frauen im Bereich Schriftgestaltung sichtbar tätig. Über die Jahrzehnte traten sie dann immer mehr in Erscheinung, auch als Gründerinnen und Herausgeberinnen typo­gra­fi­scher Publikationen. Und auf einmal lieferte diese Recherche das Thema für Barbara Lüths Abschlussarbeit, die in diesem Monat – in über­ar­bei­teter Form – im August Dreesbach Verlag als Buch erschienen ist.

Die Autorin stellt 20 Frauen vor, die von 1918 bis heute Schriften geschaffen haben und dies zum größten Teil noch immer tun. Im ersten Teil des Buches sind diese Frauen zeit­lich und thema­tisch in drei Gruppen unterteilt: 

Handwerk und Straßenschilder: Gudrun Zapf von Hesse, Hildegard Korger und Margaret Calvert
Office Girls, Letraset und Ikarus: Rosmarie Tissi, Patricia Saunders, Kris Holmes, Freda Sack, Fiona Ross, Cynthia Batty, Susan Kare und Carol Twombly
Digital, phäno­menal, erfolg­reich: Sibylle Hagmann, Zuzana Licko, Laura Meseguer, Veronika Burian, Verena Gerlach, Alice Savoie, Nina Stössinger, Natalie Rauch und Christine Hager

Die Frauen wurden auf 2 Doppelseiten kurz vorge­stellt, jeweils mit Kurzbiografie und der etwas ausführ­li­cheren Darstellung einer oder zwei ihrer erfolg­rei­chen Schriften.

Doppelseite aus dem Buch „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“
Doppelseite über die US-Designerin Susan Kare, die 1984 für Apple die ersten Macintosh-Schriften und -Icons entworfen hat. Die Systemschrift Chicago feierte Jahre später ihr Comeback auf dem Bildschirm des ersten iPod.

Im zweiten Teil des Buches beant­worten einige der Gestalterinnen 5 Fragen der Autorin zum Thema Schrift und Gestaltung, zum Beispiel „Was faszi­niert Sie an Schrift?“ oder „Welches ist Ihr Lieblingsbuchstabe?“. Andere Schriftentwerferinnen kommen mit Zitaten zu Wort, in denen klar wird, dass viele dieser Frauen eine essen­zi­elle Rolle in der Schriftindustrie gespielt haben, die über die sicht­baren Zeugnisse – also ihre Schriften – weit hinaus geht. Zuzana Licko, Kris Holms, Susan Care, Fiona Ross und auch Sibylle Hagmann haben echte Pionierarbeit geleistet, meis­tens durch eine krea­tive, unvor­ein­ge­nom­mene Herangehensweise an neue Technologien.

Im Vorwort schreibt Barbara Lüth: „Mit meinem Buch möchte ich einen Einblick in das Leben und die Arbeit dieser 20 Frauen geben und ich hoffe, dass es gelingt, sie dadurch sicht­barer zu machen.“ Tatsächlich füllt diese kompakte Übersicht eine Lücke in der popu­lären typo­gra­fi­schen Literatur. Viel der vorge­stellten Frauen tauchen immer wieder mal im Rahmen von Projekten oder Technologien auf – zum Beispiel Susan Kare, wenn es um den ersten Mac geht, oder Margaret Calvert in der Geschichte der Verkehrsbeschilderung –, wobei ihnen meist nur eine Rolle als Randfigur zuge­standen wird. In Lüths Buch spielen sie jetzt eine Hauptrolle.

Doppel­seite über die Schrift Transport, in den 1960er Jahren von Margaret Calvert und Jock Kinneir für die briti­schen Autobahnen entworfen und nach inten­siver Feldforschung entwickelt.

Gestalterisch und sprach­lich ist „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“ ein Leckerbissen, selbst­ver­ständ­lich gesetzt in der Schrift einer Frau, nämlich der Karina Sans von Veronika Burian. Und was mir beson­ders gefällt: Barbara Lüth wertet nicht. Sie liefert Fakten und Zusammenhänge aus den Laboren der Schriftentwerferinnen, kompakt und ange­nehm zu lesen.

Barbara Lüth: „Unsichtbar – Frauen gestalten Schrift“, August Dreesbach Verlag, München, Juni 2021; Hardcover, 128 Seiten, 17 × 24 cm, ISBN 978-3-96395-023-0, 24 €


Die neue Grotesk-Familie „Werksatz“

Das Wort „Yeah“ in der Schrift Werksatz

Manches ist zeitlos, anderes wird sogar besser. Entweder durchs Altern oder den stetigen Gebrauch. Whisky. Die Musik von Stevie Wonder. Schriften. Zum Beispiel das Genre der Grotesk-Schriften. Generationen von Designern entde­cken sie immer wieder aufs Neue. Und jede Genration von Schriftentwerfern inter­pre­tiert sie aus Neue. Auch Moritz Kleinsorge (Identity Letters), der gerade seine Familie Werksatz heraus­ge­bracht hat … „eine ewig aktu­elle Grotesk, die altert wie guter Wein.“ Als Inspiration dienten ihm die skur­rile Venus und die ewig junge Akzidenz Grotesk.

Auch im Bereich der Schriftgestaltung und -entwick­lung steht die Entwicklung nicht still. Werkzeuge, Technik und Standards entwi­ckeln sich unent­wegt weiter. Die neue Werksatz spie­gelt diese Tatsache wider, indem sie die besten Aspekte der Klassiker von damals aufgreift und mit der Technologie von heute neu belebt.

Mit zehn Strichstärken von Thin bis Black und 940 Zeichen pro Font ist die Familie bestens gerüstet für die typo­gra­fi­schen Herausforderungen der Zukunft. Jeder Schnitt wird durch eine sorg­fältig manuell ausge­gli­chene Kursive ergänzt, was 20 klas­si­sche Fonts ergibt. Werksatz unter­stützt den kompletten Latin Plus-Zeichenumfang, wie er 2014 von Underware konzi­piert wurde, so dass 219 Sprachen abge­deckt werden.

Familienübersicht der Schrift Werksatz

Werksatz ist reich bestückt mit OpenType-Features und bietet dabei sowohl grund­le­gende Funktionen wie Versalspationierung, Case-Sensitive Forms und Ligaturen als auch typo­gra­fi­sche Leckerbissen wie Kapitälchen, hoch- und tief­ge­stellte Ziffern und Buchstaben, diverse Ziffernsätze (propor­tional, tabel­la­risch, Mediävelziffern, kreis­för­mige und quadra­ti­sche Ziffern, Ziffern für Kapitälchen), Null mit Schrägstrich und manches mehr.

Das Erscheinungsbild der Schrift ist neutral, aber weniger forma­lis­tisch und verschlossen als das vieler anderer Neogrotesk-Schriften. Werksatz eignet sich demzu­folge unein­ge­schränkt für seriöse, ernst­hafte Anwendungen, wie Corporate Design, Branding, Editorial Design oder Webdesign, für Branchen und Themen aus Politik, Management oder Recht, über Technologie und Handel bis hin zu Finanzen. Darüber hinaus hinter­lässt der warme, mensch­liche Charakter der Schrift auch in Themenfeldern wie Kultur, Kunst, Mode, Unterhaltung, Sport, Freizeit und Luxus einen über­zeu­genden Einsdruck. Selbst für Leitsysteme, Apps, Packaging-Design und alle Arten von Sachbüchern ist Werksatz bestens geeignet.

Opentype-Features auf einen Blick

Passend zu Werksatz entwi­ckelt Moritz Kleinsorge aktuell die metrisch kompa­tible Serifenschrift Werkdruck, und lässt sich dabei über die Schulter gucken. Noch vor dem offi­zi­ellen Erscheinungstermin kann sie im Lab von Identity Letters zu einem deut­lich redu­zierten Preis lizen­ziert werden. Die frühe Investition lohnt sich: mit jeder Lab-Lizenz gibt es alle zukünf­tigen Verbesserungen und Erweiterungen der Schrift gratis per Update.

Werksatz gibt es im eigenen Shop von Identity Letters, aktuell zum Einführungspreis von 119 € (statt 400 €), jeweils inklu­sive Web- und Desktop-Nutzung (bis 10. Juni). Werkdruck in der Version 0.4 wird mit 9 Schnitten für faire 79 € angeboten.


Ken Garland, 1929–2021

Ken Garland opens TYPO Berlin 2013 “Touch”: The main hall was in total silence for this legen­dary figure of design, as the audi­ence hung onto every word (Foto: kass­ner­foto)

London-based desi­gner, writer, lecturer, editor and publisher Adrian Shaughnessy (Unit Editions) took to Twitter yesterday to inform the inter­na­tional design commu­nity: “Sad news. Ken Garland has died. He died peacefully surrounded by family, friends and his wife Wanda. The world of graphic design is poorer without him.“ 

I first met Ken Garland at TYPO Berlin 2002 “Information”, where he was invited by Erik Spiekermann to talk about “70 Years of Urban Transit Diagrams: A Progress (?) Report“ (TYPO 2002 program sheet). The very title of his talk reflects two key traits of this pionee­ring design thinker: his humor and his relent­less fight for a more progres­sive world through design.

Ken Garland was born in Southampton, and he grew up in Barnstaple, north Devon, next door to a farm, which he loved explo­ring as a child. He studied design at London’s Central School of Arts and Crafts, gradua­ting in 1954. His class­mates included Derek Birdsall, Alan Fletcher, Colin Forbes, Peter Wildbur and Philip Thompson. Ken’s first job from 1956 to 1962 was Art Editor of Design maga­zine, the trade journal of the Society of Industrial Arts. It was during this time that the spirit for Ken’s future work deve­loped – human-centred, elegantly simple and rigo­rously conceived. In 1962 he left the maga­zine to form his own studio, Ken Garland & Associates, a small rota­ting group of desi­gners who shaped British design for nearly 50 years. The studio’s clients included Galt Toys, Race Furniture, the Butterley Group, Dancer & Hearne, Barbour Index, the Labour Party and Paramount Pictures.

Ken’s entire career was marked by poli­tical acti­vity. It began in 1962 with his work for the Campaign for Nuclear Disarmament (CND). He produced mate­rial for CND from until 1968. During this time he redrew the world famous peace symbol ☮ into the clean-lined graphic fami­liar around the world today. 

In 1963 Ken Garland wrote and proclaimed the The First Things First mani­festo “in favour of more useful and more lasting forms of commu­ni­ca­tion“ and demanded “Reversal of prio­ri­ties in favour of the more useful and more lasting forms of commu­ni­ca­tion.” Ken claims for a ”society that will tire of gimmick merchants, status salesman and hidden persua­ders”. The mani­festo was backed by over 400 desi­gners and artists and also received the backing of Tony Benn, radical left-wing MP and acti­vist, who published it in its enti­rety in The Guardian. It was later updated and repu­blished with a new group of signa­to­ries as the First Things First 2000 mani­festo.

10 years after his appearance in Berlin, I had the great plea­sure of meeting Ken again at TYPO London “Social”. Here you can find the video of his talk Word and Image … but beware, it’s on a veeeery slow server. In this talk, Ken is dealing with the original conjunc­tion of spoken word and image: First come the spoken word; then the image; later, the written word; even later, the printed word.

One year later, Ken Garland opened TYPO Berlin 2013 “Touch”. Six years after the launch of the iPhone, which comple­tely rede­fined visual commu­ni­ca­tion, the term “touch” came to repre­sent a whole new way of grasp infor­ma­tion. But Ken kicked off the confe­rence with an enti­rely diffe­rent perspec­tive on “touch”. He approa­ched the subject with a visual explo­ra­tion of what this word actually means to us. Is touch best visua­lised as a scene from Michelangelo’s Creation of Adam fresco on the Sistine chapel? Or, a picture of a a lion mother and cub. Or a picture of the touch of a loving parent holding the foot of a child? Or, a more poignant inter­pre­ta­tion, the hand of a star­ving African hand, in the hand of a Westerner? Ken brought the audi­ence through these, and a range of other images, in a capti­vating and genui­nely moving talk that seemed all too short.

Our TYPO blog editor at the time, Paul Woods, now CEO & CCO of Edenspiekermann Los Angeles and acclaimed book author, captured the moment this way: “The main hall was in total silence for this legen­dary figure of design, as the audi­ence hung onto every word. And, except for one slide showing an image of an infant touching an iPad, the presen­ta­tion was free of any refe­rence to tech­no­logy or design, which made for a refres­hing start to TYPO, given the theme.“

In September 2020, Ken Garland was awarded the London Design Festival’s Medal for Lifetime Achievement at a virtual ceremony. In doing so, the orga­ni­zers reco­gnized his influence and impact over 7 decades of tire­lessly teaching, writing, spea­king, photo­gra­phing, and crea­ting some of the most powerful and playful designs of the era. Oliver Wainwright of the Guardian reviewed Ken’s life on the occa­sion of the award ceremony … an article worth reading.